SPD-Urgestein warnt FDP: Bruch der Ampel-Koalition vor US-Wahl wäre „unverantwortlich“

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Zuletzt sorgte das Lindner-Papier für Furore. In dieser Woche werden sie erneut Thema von Gesprächen sein. Unverständnis für den Plan äußerte SPD-Politiker Schäfer.

Berlin – Zwar sind Meinungsverschiedenheiten und potenzielle Zerwürfnisse der Ampel-Koalition inzwischen keine Seltenheit mehr, doch aktuell droht die Krise der Ampel-Koalition gar eine existenzielle zu werden. Sichtbar wurden die Sollbruchstellen innerhalb der Bundesregierung etwa vergangenen Dienstag, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) separate Gespräche mit Wirtschaftsvertretern abhielten. Am Sonntagabend kamen Scholz und Lindner im Kanzleramt zusammen, wobei der Ausgang des Gesprächs unbekannt blieb.

In dieser Woche nun stehen weitere Gespräche an, am Mittwoch etwa soll der Koalitionsausschuss zusammenkommen. Denn Redebedarf gibt es mit Lindners am Freitag publik gewordenem Grundsatzpapier, der in anderthalb Wochen terminierten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses im Bundestag sowie der anstehenden US-Wahl genug. Nun setzte es auch noch vehemente Kritik an der Rolle der FDP innerhalb der Regierungskoalition – und zwar vom erfahrenen SPD-Politiker Axel Schäfer. 

Linder-Papier sorgt für Aufregung: Forderungen sind laut SPD-Politiker Schäfer „überhaupt nicht leistbar“

Lindners 18-seitiges Grundsatzpapier, das Ende vergangener Woche – wie er selbst sagte – durch Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangte, sieht eine Reihe von ökonomischen Handlungsansätzen für die von Inflation und Insolvenzen geplagte deutsche Wirtschaft und den kriselnden Industriesektor vor.

Das am Freitag publik gewordene Grundatzpapier Lindners sorgt in der Ampel-Koalition für neuen Gesprächsstoff. SPD-Politiker Schäfer betonte nun Unverständnis für die Forderungen des Bundesfinanzministers.
Axel Schäfer (SPD) bei einer Bundestagssitzung © IMAGO / dts Nachrichtenagentur

In seinem Grundsatzpapier fordert Lindner, die Wirtschaft etwa durch Steuersenkungen für Unternehmen oder Lockerungen der Klimavorgaben voranzutreiben. Außerdem sollen Subventionen und Sozialleistungen zurückgeschraubt werden. Schon heute will Lindner erneut mit Wirtschaftsvertretern sprechen, auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr soll laut ARD-Tagesschau am Treffen teilnehmen.

Lindner-Papier sorgt für Sorge um Ampel-Koalition: Zukunft ungewiss

Thema sind Lindners Forderungen aktuell natürlich auch bei den Noch-Regierungspartnern, etwa der SPD. Die Sozialdemokraten beraten in diesen Tagen, wie sie sich gegenüber den zahlreichen wirtschaftspolitischen Ansätzen und Ansprüchen Lindners, darunter der Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Spitzenverdiener, positionieren wollen. Unverständnis für Lindners Forderungen wurde unterdessen von SPD-Urgestein Axel Schäfer laut. Ihm zufolge enthalte Lindners Grundsatzpapier Forderungen, „die überhaupt nicht leistbar sind“, wie der 72-jährige SPD-Bundestagsabgeordnete dem Tagesspiegel erklärte.

Aber auch angesichts der anstehenden US-Wahl am Dienstag zeigte sich der langjährige SPD-Politiker besorgt. Im Falle eines Wahlsiegs Trumps fürchten viele Experten weitreichende Folgen für die deutsche Wirtschaft, mitunter wegen potenziellen Strafzöllen gegen europäische und insbesondere deutsche Unternehmen. Mit Blick auf die US-Wahl sowie die übrige Weltlage warnte Schäfer die FDP davor, die Ampel-Koalition zu sprengen. Vor allem betreffend der Möglichkeit einer Rückkehr des ehemaligen Präsidenten Trump ins Oval Office nach Washington sei dies „unverantwortlich“, betonte er.

Wegen Lindner-Papier: SPD-Politiker Schäfer hebt historische Richtungswechsel der FDP hervor

Als unverständlich hebt Schäfer auch die zahlreichen politischen Richtungswechsel der FDP-Historie und die Auswirkungen, die dies für damalige Regierungskoalitionen hatte, hervor. Gegenüber dem Tagesspiegel erinnerte Schäfer etwa an das Jahr 1966, als die Koalition zwischen CDU und FDP wegen einer Debatte um geplante Steuererhöhungen zerbrach. Oder ans Jahr 1982, als die Liberalen von der SPD zur Seite der Union wechselten. 

Nach dieser Einordnung resümiert Schäfer: „Wir verstehen nicht, was die FDP treibt, weil sie bei Wahlen nicht profitiert.“ Damit knüpft das SPD-Urgestein jedoch auch an die im anhaltenden Jahr konstanten Zahlen an, derer zufolge es alles andere als rosig um die Liberalen in der Wählergunst bestellt ist. Bei den Landtagswahlen in Sachsen fuhr die FDP mit 0,9 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte in, in Brandenburg waren es mit 0,83 Prozent am Ende insgesamt 3,25 Prozentpunkte Wählerstimmen weniger als noch 2019. In Thüringen kam sie, wie übrigens auch Die Grünen, auf 1,6 Prozent Wähleranteil. 

Aber auch im aktuellen Sonntagstrend des Meinungsforschungsinstituts Insa bestätigte sich, womit die FDP es auch bei der Wählergunst auf Bundesebene schon das ganze Kalenderjahr 2024 zu tun hat. 4 Prozent der vom im aktuellen Insa-Sonntagstrend Befragten würde aktuell die FDP wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl gewesen wäre. Danach müsste die FDP also um ihren Wiedereinzug in den Bundestag bangen – über die 5-Prozent-Marke schaffte sie es im Insa-Sonntagstrend das letzte Mal am 26. August: Und auch da war es mit 5,5 Prozent knapp.

Schäfer: „In einer Koalition darf es weder Sieger noch Besiegte geben“ 

Eine Minderheitsregierung im Falle eines Ausscheidens der FDP aus der Ampel-Koalition bezeichnete Schäfer gegenüber dem Tagesspiegel als „fraglich“, da eine derartige Konstellation die Legitimität der Bundesregierung zu sehr infrage stellen würde. Grundsätzlich müsse angesichts der Diskussion über Lindners Forderungskatalog laut Schäfer der Grundsatz gelten: „In einer Koalition darf es weder Sieger noch Besiegte geben.“ 

Dass die SPD Lindners Grundsatzpapier in einigen Kernpunkten nicht mitgeht, machte unterdessen SPD-Co-Vorsitzender Lars Klingbeil deutlich. Auf die Frage, ob er bereit sei, einige Gesetze nach Lindners Vorschlägen neu zu überdenken und zu verhandeln, gab sich Klingbeil am Sonntag in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin offen, aber bestimmt. Etwa beim Bürokratieabbau sei er auf jeden Fall für zusätzliche Maßnahmen zu haben.

„Wenn da am Ende aber das durchschimmert, was Herr Lindner schon 500 Mal vorgeschlagen hat und was wir schon 500 Mal abgelehnt haben, nämlich dass die reichen Leute in diesem Land noch mehr Geld in der Tasche haben, dann werden wir diesen Weg nicht mitgehen“. betonte Klingbeil. (fh)

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