Arbeitspflicht für Geflüchtete? „Wer in Deutschland Solidarität erfährt, muss dafür auch etwas zurückgeben“

  1. Startseite
  2. Politik

KommentareDrucken

Vier Stunden Arbeit für 80 Cent pro Stunde: Asylbewerber sollen in Thüringen zur Arbeit verpflichtet werden, so die Idee von Landrat Christian Herrgott. Kritiker halten das indes für Populismus.

Berlin – Ein Vorstoß in Thüringen löst deutschlandweit Diskussionen aus: Christian Herrgott, CDU-Landrat im Saale-Orla-Kreis, will Asylbewerber zur Arbeit zu verpflichten. Flüchtlinge sollen, so der Plan, täglich vier Stunden einfache Arbeiten verrichten, hauptsächlich in ihren Gemeinschaftsunterkünften. Dafür gibt es 80 Cent pro Stunde. Bei Arbeitsverweigerung sollen finanzielle Sanktionen drohen.

„Es geht natürlich darum, den Flüchtlingen eine Tagesstruktur zu geben und diejenigen, die arbeiten können, auf den ersten Arbeitsmarkt perspektivisch vorzubereiten“, so Herrgott. Unterstützung erhält er von der Landes-CDU. Deren Vorsitzender, Mario Voigt, sagt gegenüber IPPEN.MEDIA: „Wir müssen die Botschaft aussenden: Wer in Deutschland die Solidarität der Gemeinschaft erfährt, muss dafür auch etwas zurückgeben.“ Gleichzeitig sei Herrgotts Politik im Saale-Orla-Kreis „ein Zeichen für die notwendige Begrenzung von Zuwanderung“.

Arbeitspflicht für Flüchtlinge: „Die einen hetzen, die anderen machen“

Der Vorstoß in Ostthüringen ist auch ein Signal im Wahlkampf auf überregionaler Ebene: In wenigen Monaten stehen Landtagswahlen in dem Bundesland an und die Union möchte sich insbesondere gegenüber der AfD positionieren, die aktuell in Umfragen stärkste Kraft ist. Die Thüringer CDU-Landtagsabgeordnete Beate Meißner etwa kommentiert bei X (ehemals Twitter): „Apropos, was macht eigentlich dieser erste AfD-Landrat Deutschlands in Sonneberg? Nichts als heiße Luft: weder Bezahlkarte noch Arbeitsverpflichtung für Flüchtlinge! Die einen hetzen, die anderen machen.“

„Christian Herrgott beweist als Landrat Handlungsfähigkeit“

All das schwingt mit, wenn CDU-Landeschef Christian Voigt betont: „Die CDU geht voran und schafft praktische Lösungen. Wenn die Ampel im Bund und die Ramelow-Regierung im Land nicht handeln, müssen wir dort, wo wir es können, eigene Wege gehen.“ Er fordert dieselbe Entschlossenheit, die die CDU auf kommunaler Ebene zeige, auch auf Bundes- und Landesebene. „Christian Herrgott beweist als Landrat Handlungsfähigkeit“, so Voigt.

Verpflichtende Arbeit für Geflüchtete

Geflüchtete zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten, entspricht geltendem Recht. Geregelt ist das im Asylbewerberleistungsgesetz (§ 5 Abs. 1 S. 1).

Neu am Gesetz ist seit dem 27. Februar 2024 der zweite Satz. Darin heißt es: Geflüchtete Menschen sollen Arbeitsmöglichkeiten bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern bekommen, wenn das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient.

Filiz Polat, Migrationsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht das alles gänzlich anders. „Es ist absurd, eine Arbeitspflicht zu fordern, während für viele Geflüchtete bislang sogar noch Arbeitsverbote bestehen“, äußert sie gegenüber unserer Redaktion. Menschen mit Duldungsstatus dürfen in Deutschland keine Arbeit aufnehmen. Dieses Verbot endet erst, wenn sie als schutzbedürftig anerkannt werden, was viele Monate dauern kann. Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsländern dürfen grundsätzlich nicht in Deutschland arbeiten.

Kritik an Arbeitspflicht für Geflüchtete: „Menschen zu Billigst-Arbeit zu zwingen, ist Populismus“Arbeitspflicht für Geflüchtete? „Menschen zu Billigst-Arbeit zu zwingen, ist Populismus“

Polat argumentiert: „Menschen, die nicht arbeiten dürfen, zu Billigst-Arbeit zu zwingen, ist Populismus. Statt auf immer mehr Zwang zu setzen, müssen diese Arbeitsverbote dringend abgeschafft und Wege über den Arbeitsmarkt in ein dauerhaftes Bleiberecht ausgebaut werden“. Das komme allen zugute: „Die Betroffenen können sich selbst versorgen und eine selbstbestimmte Perspektive aufbauen, die Unternehmen gewinnen Mitarbeitende und erhalten Planungssicherheit und die Kommunen werden entlastet“, so die Grünen-Politikerin. Sie bezeichnet es als „völlig abstrus“, dass Deutschland weiterhin Menschen, die für ihren Lebensunterhalt sorgen könnten, zum Nichtstun verurteile.

Polat ist überzeugt, dass eine Arbeitspflicht die Integration von Geflüchteten nicht fördert: „Was die Integration von Geflüchteten fördert, ist selbstbestimmte und ordentlich bezahlte Arbeit.“ Sie hält verpflichtende Arbeit zu niedrigen Löhnen für nicht zielführend. „Kommunen haben schon jetzt die Möglichkeit, solche Arbeitsgelegenheiten anzubieten, und setzen sie aus gutem Grund praktisch nicht ein“, so Polat.

Auch interessant

Kommentare