AfD auf dem Weg zum Tiktok-Monopol – weil den anderen Parteien etwas fehlt
Die AfD hat bei Tiktok mehr Reichweite als alle anderen Parteien. Dabei hilft auch ein Trick. Vor allem den Linksliberalen wird unterdessen eine Eigenschaft auf Dauer zum Verhängnis, sagt ein Politikberater.
Berlin – Tiktok wird für extremistische Kreise zu einer Art Volksempfänger 2.0: Die Plattform ist ein mächtiges Werkzeug für die Verbreitung von Propaganda, unabhängig davon, wie radikal oder absurd die Botschaften sein mögen. Radikale Islamisten nutzen Tiktok schon lange, um junge Menschen zu erreichen. Tiktok ist längst nicht mehr nur eine Plattform für kreative Kurzclips und Tanz-Videos. Das haben auch AfD-Politiker erkannt. Und sie verbreiten ihre Positionen effektiver als Politiker demokratischer Parteien.
Eine Studie des Politikberaters Johannes Hillje zeigt, dass Videos der AfD-Bundestagsfraktion auf Tiktok zwischen Januar 2022 und Dezember 2023 durchschnittlich dreimal so oft aufgerufen wurden wie die aller anderen Fraktionen zusammen. Hillje sieht dahinter eine klare Strategie: „Die AfD ist ein First Mover: Sie hat als erste Partei intensiv und systematisch diese Plattform bespielt und dadurch einen Wettbewerbsvorteil erlangt.“
AfD-Videos bei Tiktok: „Die Bundesregierung hasst dich“
Die Videos der AfD sind meist kurze Clips, oft unterlegt mit einem lauten Hip-Hop-Beat. Der ist bisweilen so laut, dass man kaum versteht, was gesagt wird. Das sind dann oft Slogans wie: „Die Bundesregierung hasst dich“ oder „Echte Männer sind rechts. Echte Männer sind Patrioten. Dann klappts auch mit der Freundin.“ Diese direkte Ansprache ist zugeschnitten auf die Zielgruppe – und funktioniert immer wieder: „Wenn man sich die Videos mancher AfD-Politiker anschaut, erkennt man eine direkte Ansprache auf emotionaler Ebene.“ Beispiel: AfD-Politiker Martin Krah, der jungen Männern vermeintliche Dating-Ratschläge gibt. „Er spricht in dem Video Teenager auf ein intimes Thema an. Und das ist zunächst apolitisch. Dann aber kommt der Dreh: Wenn du eine Frau haben willst, sei nicht grün, sondern rechts.“
Die AfD nutzt Tiktok auch, um Bundestagsreden zu verbreiten, die erstaunlich kompakt und zugespitzt sind. Hillje erklärt: „Die Reden im Bundestag sind plattformkonform. Die AfD gestaltet die Reden so, dass sich kurze Passagen mit radikalen Aussagen auskoppeln lassen. Das ist ein direkter Message-Transfer vom Plenum in die Plattform. Den anderen Fraktionen gelingt das nicht.“
SPD, CDU, Grüne und FDP bei Tiktok eher zaghaft
Die anderen Fraktionen haben Tiktok lange ignoriert und sind erst spät mit eigenen Accounts eingestiegen. Der Tenor, der lange vorherrschte: Bei Tiktok kann man nur mit unseriöser Polarisierung Reichweite erzielen. „Das ist eine Ausrede, die von Unwissenheit zeugt“, sagt Hillje und betont, dass keineswegs nur polarisierende Botschaften in den sozialen Medien viele Menschen erreichen können: „Als demokratische Partei kann man nicht sagen: Das ist kein Kommunikationsraum für uns.“
Die Versuche von SPD, Grünen, FDP und Union auf Tiktok sind bisher eher zurückhaltend. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert versucht beispielsweise, in einem achtminütigen Video das Lieferkettengesetz zu erklären. „Das wird jetzt ein bisschen länger, aber das ist ein wichtiger Punkt, zu dem ich ein bisschen ausholen möchte“, sagt er mit ernstem Gesicht. Hillje kritisiert die Emotionsaversion der demokratischen Parteien: „Die Emotionsaversion von demokratischen Parteien ist fatal. Emotionalisierung wird gerade im linksliberalen Milieu mit Entsachlichung gleichgesetzt. Aber Menschen denken Politik per se emotional.“
AfD setzt auf Wut und Angst
Hillje betont, dass Emotionen nicht mit Affekten wie Angst oder Wut gleichgesetzt werden dürfen. „Mit denen arbeitet die AfD. Aber es gibt auch demokratische Emotionen“, sagt er. Er rät Kühnert, Gesetze nicht über technische Inhalte zu erklären, sondern über die Werte, die durch das Gesetz verwirklicht werden: „Kevin Kühnert würde ich raten, ein Gesetz nicht über technische Inhalte zu erklären, sondern eher darüber, welche Werte über das Gesetz verwirklicht werden.“
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Video von Robert Habeck zum Nahost-Konflikt: „Wertebezogene politische Kommunikation“
Es gibt Beispiele, die zeigen, dass nicht nur kurze, knallige Clips erfolgreich sein können. Robert Habeck war mit seinem Video zum Nahostkonflikt extrem erfolgreich in den sozialen Medien. „Das ist mehrere Minuten lang und eben kein polarisierender kurzer Snippet. Das Gefühl von ‚Nie wieder ist jetzt‘ wendet er auf politische und gesellschaftliche Praxis an. Das ist eine Art der wertebezogenen politischen Kommunikation, die auch in Social Media funktioniert“, sagt Hillje.