Lieferengpässe bei wichtigen Medikamenten: „Situation sehr angespannt“

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Krebsmedikamente, HIV-Mittel oder Kinderantibiotika: Manche Arzneimittel sind in Deutschland knapp. Daran hat auch ein neues Gesetz nichts geändert.

Ende August letzten Jahres schickte Marcus Freitag einen Brief an Karl Lauterbach. Freitag ist Vorsitzender des Pharmazeutischen Großhandels (Phagro) und damit mitverantwortlich für die Medikamenten-Versorgung in Deutschland. Grund des Schreibens waren Lieferengpässe bei Antibiotika und Kinderarzneimitteln. In seinem Brief an den Gesundheitsminister stellte Freitag fest: „Die Versorgungssituation für diese Arzneimittel ist bereits jetzt nicht nur angespannt, sondern aus unserer Sicht äußerst prekär ist.“ Bei 85 Prozent der dringend benötigten Arzneimittel könne der Pharma-Handel den gesetzlichen Bedarf von zwei Wochen nicht sicherstellen.

Medikamentenknappheit war vergangenes Jahr ein großes Thema. Lauterbach warnte gar vor „Hamsterkäufen“. Der Gesundheitsminister wollte die Lage mit einem neuen Gesetz verbessern: dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz, kurz ALBVVG. Was kompliziert klingt, sieht im Kern folgendes vor: Wichtige Medikamente besonders für Kinder sollen verlässlicher gegen Lieferengpässe abgesichert werden. Aktuell funktioniert das aber nicht immer.

Fast 500 Medikamente in Deutschland knapp: „Versorgungssituation weiter sehr angespannt“

„Insgesamt ist die Versorgungssituation weiter sehr angespannt“, sagt Phagro-Chef Freitag fast ein halbes Jahr nach seinem Brief an Lauterbach gegenüber unserer Redaktion. Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) treten derzeit bei 477 Medikamenten Lieferengpässen auf. Bei insgesamt 104.000 in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln ist das eine Quote von weniger als 0,5 Prozent.

Betroffen sind zum Beispiel Schmerzmittel, Blutdrucksenker, HIV-Medikamente oder Mittel gegen Diabetes – aber auch vereinzelte Krebsmedikamente. Knapp ist momentan das bei einer Chemotherapie eingesetzte Ribofolin oder Fluorouracil, ein Mittel zur Behandlung verschiedener Krebsarten wie Brust- oder Darmkrebs. Kritisch ist die Versorgungslage zudem bei Kinderarzneimitteln wie Fiebermitteln oder Medikamenten gegen Scharlach.

Pharma-Branche klagt an: „Die Politik klebt bloß kleine Pflaster auf die Probleme“

Unter den betroffenen Medikamenten sind vor allem Generika. Das sind Medikamente mit dem identischen Wirkstoff eines Originalmedikaments, dessen Patentschutz ausgelaufen ist. Sie sind also Nachahmerprodukte, die sich an bereits etablierten Medikamenten orientieren. Ein bekanntes Beispiel sind Medikamente mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure. Das Original heißt „Aspirin“. Für Verbraucher ist es in der Regel egal, welches Medikament sie benutzen: Generika dürfen sich in puncto Qualität nicht vom Original unterscheiden.

Generika machen 80 Prozent der Arzneimittel aus. Der Interessensverband Pro Generika sieht sich aber nicht ausreichend von der Politik unterstützt. „Die aktuellen Engpässe zeigen deutlich: Die Politik klebt bloß kleine Pflaster auf die Probleme, geht aber deren Ursache nicht an“, sagt Pro-Generika-Chef Bork Bretthauer auf Anfrage von IPPEN.MEDIA. „Weder das Lieferengpassgesetz noch die Pharmastrategie können das Lieferengpassproblem lösen“.

Das Problem laut Pro Generika: Es gibt zu wenige Hersteller. Bei vielen Arzneimitteln stemme ein einziger Hersteller 50 Prozent der Versorgung. So gebe es für das Brustkrebsmittel Tamoxifen nur einen großen Produzenten am Markt. „Die Produktion vieler Arzneimittel rechnet sich nicht mehr“, sagt Bretthauer. „Immer mehr Unternehmen steigen aus.“ Besonders groß sei der Kostendruck zuletzt bei Kinderarzneimitteln gewesen.

„Lieferengpässe bei lebenswichtigen Medikamenten gehören seit Jahren zum Alltag“

Die Pharmabranche brauche daher mehr Geld. In diese Kerbe schlägt auch Phagro-Chef Freitag, der mehr Vergütung für alle Beteiligten fordert – „Großhandel, Hersteller und Apotheken“. Letztere bekommen die Medikamentenknappheit unmittelbar im Kundenkontakt zu spüren. Sie müssen besorgte Eltern vertrösten, wenn das gewünschte Fiebermittel eben nicht vorhanden ist.

„Leider gehören Lieferengpässe bei lebenswichtigen Medikamenten schon seit Jahren zum Alltag in den Apotheken“, sagt uns dazu die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Regina Overwiening. Ob Lauterbachs Lieferengpassgesetz wirke und wieder mehr Medikamente in die Apotheken bringe, sei noch nicht absehbar. „Das wird sich wohl erst mittel- und langfristig in den kommenden Jahren zeigen.“ Sie nimmt die Politik aber in die Pflicht und fordert „mehr eigenen Entscheidungsspielraum und weniger Bürokratie“.

In deutschen Apotheken sind mehrere Arzneimittel knapp. © Sven Hoppe/dpa//Monika Skolimowska/dpa/picture alliance (Montage)

21-Punkte-Plan der CDU/CSU: „Lauterbach hat Lage nicht in den Griff bekommen“

Mit diesen Forderungen treten die Pharmaverbände am Mittwoch vor den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags. Dort findet eine Anhörung zur Arzneimittelversorgung statt. Dabei kommt auch ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Sprache. Darin fordert die Union die Umsetzung von 21 Punkten, um die Versorgung mit Medikamenten zu verbessern. Denn Lauterbach habe die Situation „nicht in den Griff bekommen“, wie der zuständige Berichterstatter Georg Kippels (CDU) unserer Redaktion sagt. Die aktuelle Lage sei „ähnlich problematisch wie im vergangenen Jahr“.

Kippels meint: „Das Problem der Lieferengpässe wird nur durch eine andere Preispolitik und durch die Veränderung von Lieferketten zu lösen sein.“ Zudem müssten die Apotheken gestärkt werden. „Dazu gehören unter anderem eine verbesserte Vergütung für Aufwendungen im Rahmen des Engpassmanagements und bessere Austausch- und Ersatzmöglichkeiten bei Medikamenten in Mangelsituationen.“ Man müsse schneller auf Engpässe reagieren können. „Insbesondere bei Kinderarzneimitteln wie Antibiotika oder Fiebersäften wollen wir bessere Möglichkeiten für Ärzte und Apotheker schaffen, um Eltern im Falle eines Engpasses schnelleren Ersatz verschaffen zu können.“ (as)

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