„Historischer“ Schritt: Haubitzen, Granaten, Versprechungen – Ampel rüstet Ukraine nach
Präsident Selenskyj hat fleißig Spenden gesammelt: Haubitzen, Granaten und eventuell noch weit feuernde Raketen. Deutschland feiert sich dafür selbst.
München – Boris Pistorius ist im Auftreten gern verhalten, rhetorisch aber ein rauer Krieger: Kaum ein deutscher Verteidigungsminister nach Franz-Josef Strauß hat rhetorisch so herumgeballert wie er: „Kriegstüchtig“ solle die Bundeswehr werden, hat er gesagt, und manchen politischen Leisetreten haben die Ohren geschlackert – das hatte sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch keiner getraut, schon gar kein Spitzenpolitiker. Und jetzt der nächste verbale Husarenritt: „Historisch“ nannte er den Federstrich, mit dem Deutschland der Ukraine im Kampf gegen die Invasionsarmee Wladimir Putins unterstützen will.
Im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz hat Deutschland dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Lieferung weiterer Waffen versprochen und noch dazu den engen Schulterschluss. Konkret sagte die Bundesregierung von Ende 2025 bis 2027 weitere 18 Panzerhaubitzen 2000 aus Industriebeständen zu sowie 18 Radhaubitzen RCH 155. Zudem soll erstmals Artilleriemunition vom Kaliber 122 Millimeter geliefert werden für die Haubitzen aus russischen Beständen; von den Granaten noch in diesem Jahr 120.000 Schuss. Hinzu kommt 2025 ein zweites SkyNex-Luftabwehrsystem. Bereitgestellt werden in diesem Jahr auch weitere hundert Lenkflugkörper für das Luftabwehrsystem Iris-T. In den kommenden Jahren sollen 10,5 Milliarden Euro die Militärhilfe für die Ukraine aufstocken.
„Künftige Aggression“: Bundeskanzler verspricht ein Ende des Zauderns
„Unsere Sicherheitsvereinbarung mit der Ukraine ist historisch“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). „Erstmals in ihrer Geschichte tritt die Bundesrepublik in der Rolle als Garantiestaat in Erscheinung. Die heutige Unterzeichnung ist ein klares Zeichen dafür, dass Deutschland seiner gewachsenen sicherheitspolitischen Verantwortung in Europa gerecht wird.“ Deutschland und die Ukraine sind jetzt vertraglich verbunden über die im Original betitelte „Vereinbarung über Sicherheitszusammenarbeit und langfristige Unterstützung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine“.
Ein Bestandteil davon ist das sechste Kapitel unter dem Titel „Künftige Aggression“: Im Falle eines künftigen bewaffneten Angriffs Russlands auf die Ukraine werden sich die Teilnehmer auf Ersuchen eines der beiden Teilnehmer binnen 24 Stunden beraten, um über angemessene weitere Schritte zu entscheiden. Das heißt im Klartext: Der oft als Zauderer verschrieene Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will künftig schneller handeln – mit welchem Ziel, unklar; ab welchem Zeitpunkt eine Aggression als „künftig“ gilt, bleibt abzuwarten.
„Zeitenwende“: Mehr Geld für Rüstung – bisher nur ein Versprechen
Aber: Die Rhetorik schindet Eindruck. In der Bevölkerung. Die Wissenschaft bleibt skeptisch, wie der deutsche Militärhistoriker Sönke Neitzel schon vor einiger Zeit im ARD-Podcast „Strategien und Streitkräfte“ klargemacht hat am Beispiel der „Zeitenwende“-Formulierung des Kanzlers sowie der geplanten Aufstockung des Rüstungsetats: Die Nato verlangt von ihren Partnern, jährlich zwei Prozent des Brutto-Inlandsprodukts (BIP), also der Gesamt-Wirtschaftsleistung eines Staates in die Verteidigung der Nato einzubringen. Was auch Deutschland regelmäßig unterschritten hatte und künftig aufgrund der „Zeitenwende“ ändern will.
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Das wären pro Jahr geschätzt bis zu 30 Milliarden Euro zusätzlich zu den bisherigen Verteidigungsausgaben. Neitzel hält das für eine rhetorische Mogelpackung. „Scholz kann in bestimmten Momenten wichtige, gute Reden halten; was danach kommt in der Politik ist immer interpretationswürdig. Und Olaf Scholz weiß ja auch gar nicht, ob er beispielsweise 2027 noch Bundeskanzler ist. Ich glaube, das war eher ein Signal an die Opposition und an die FDP, die Schuldenbremse auszuhebeln. Und damit bleibt er unter der politischen Schmerzgrenze, um beispielsweise zehn Milliarden vom Bürgergeld zu nehmen und sie in die Verteidigung zu packen. Das tut er nicht, er wird keinem etwas wegnehmen.“
Fehlende Haubitzen: Bundeswehr muss sich in Geduld üben
Wird er allerdings doch: der Bundeswehr. Die jetzt versprochenen Panzerhaubitzen sind zwar durch die Industrie eingelagert, aber letztendlich fehlen sie dann vor Ort, und Ersatz kommt irgendwann, wie der Spiegel schon nach einer ersten gelieferten Tranche Anfang vergangenen Jahres berichtet hatte: Die Bundeswehr wird demzufolge nach der Abgabe von 14 Panzerhaubitzen 2000 an die Ukraine mindestens drei Jahre auf Ersatz warten müssen. Laut den vertraulichen Vertragsunterlagen zur Nachbeschaffung von mindestens zehn neuen Artilleriesystemen für rund 184 Millionen Euro kann der Hersteller Krauss-Maffei Wegmann die ersten sechs Haubitzen frühestens 2025 ausliefern. Wenn alles nach Plan geht, sollen vier weitere 2026 bei der Bundeswehr eintreffen.
Militärhistoriker Neitzel beurteilt die Situation auf dem osteuropäischen Kriegsschauplatz vor allem deshalb als schwierig, „weil in den USA die Republikaner und Teile der Demokraten immer schon gesagt haben, dass der Schwerpunkt eigentlich China ist“. Seiner Meinung nach sehen die Amerikaner eher die Europäer am Zuge der Ukraine zu helfen. „Wir wissen aber auch: Ohne die USA gäbe es die Ukraine nicht mehr; und ohne die USA wäre auch Europa außerstande, die Ukraine so sehr zu unterstützen, dass sie diesen Krieg weiterhin führen könnte.“
Erster Fronteinsatz: Erstmals soll die Radhaubitze RCH 155 in die Ukraine
Deutschland kommt mit der in München geschlossenen Vereinbarung seiner Verantwortung scheinbar näher. Mit der Deutsch-Ukrainischen Sicherheitsvereinbarung vertiefen die Partner die gemeinsame Erklärung vom Nato-Gipfel in Vilnius, in der sich die G7-Staaten und weitere Nato-Mitglieder für bilaterale Sicherheitsgarantien ausgesprochen haben. Die Garantien sollen denen der Nato entsprechen, die Nato aber nicht unmittelbar in den Konflikt verwickeln – die Beistandsvereinbarung nach Artikel 5 ist beispielsweise ausgeschlossen.
Wie das Magazin Europäische Sicherheit & Technik ausführt, werden in der Vereinbarung unter „Sicherheitspolitische und militärische Unterstützung“ aufgeschlüsselt, wie erreicht werden kann, moderne, nato-kompatible und tragfähige ukrainische Verteidigungskräfte aufzubauen. Hierzu gehören gemeinsam gestaltete Fähigkeiten für integrierte Luftverteidigung- und Flugkörperabwehr, Artillerie, gepanzerte Gefechtsfahrzeuge, maritime Sicherheit, Informationstechnologie, Drohnen und Minenräumung. Angesprochen werden auch gemeinsame Übungen und Ausbildung, die Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie und die Abwehr von ABC-, sowie Cyber- und hybriden Bedrohungen.
Geplant ist zwischen 2025 und 2027 die Lieferung von:
- Panzerhaubitzen 2000
Zusätzlich zu den bisherigen 14 Panzerhaubitzen 2000 aus Bundeswehrbeständen liefert die Bundesregierung aus Industriebeständen 18 weitere Panzerhaubitzen 2000, inklusive Ausbildung, Ersatzteilen und Munition. - Radhaubitze RCH 155
Zusätzlich zu den bisher geplanten 18 Radhaubitzen RCH 155 wird die Bundesregierung der Ukraine weitere 18 Stück liefern, inklusive Ausbildung, Ersatzteile und Munition. - Artilleriemunition
Erstmals liefert die Bundesregierung der Ukraine Artilleriemunition im Kaliber 122 Millimeter. Noch in diesem Jahr sollen 120.000 Schuss Artilleriemunition im Kaliber 122mm geliefert werden. Die Ukraine verfügt über einige hundert Haubitzen russischer Bauart mit diesem Kaliber. - Luftverteidigungssystem SkyNex:
Die Bundesregierung wird der Ukraine ein zweites SkyNex-System bereitstellen. Die Lieferung soll im Jahr 2025 erfolgen. Das erste ist im Januar 2024 ausgeliefert worden. - Lenkflugkörper IRIS-T SLS:
Zusätzlich zu den bereits gelieferten und geplanten Flugkörper IRIS-T SLS wird die Bundesregierung der Ukraine noch in diesem Jahr weitere 100 Flugkörper IRIS-T SLS liefern. (Quelle: Europäische Sicherheit & Technik)
Auch die USA legen vermutlich nach: Der US-Senat hat einen Gesetzentwurf für Militärhilfen an die Ukraine, Taiwan und Israel im Umfang von 88 Milliarden Euro gebilligt. Davon gehen 56 Milliarden Euro in die Ukraine. 70 Senatorinnen und Senatoren, darunter zahlreiche Republikaner, stimmten für das Hilfspaket, 29 dagegen. Das US-Repräsentantenhaus ist mehrheitlich von Republikanern besetzt und wird das Geld vermutlich stoppen. Nach Berichten von Zeit Online bekräftigte das auch zuletzt der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner Mike Johnson: „Weil in dem Entwurf kein Geld für die Sicherung der US-Grenze zu Mexiko enthalten ist, werde seine Kammer dem Entwurf nicht zustimmen, sagte er. Die Republikaner fordern, die Militärhilfen an eine Verstärkung des Grenzschutzes zu koppeln. Viele Abgeordnete aus dem Trump-Lager sprechen sich aber auch generell gegen eine Fortsetzung der US-Ukraine-Hilfen aus.“
NBC News berichtet aus Pentagon-Quellen, die Biden-Regierung tendiere dazu, die Ukraine mit Langstreckenraketen zu beliefern – Ende vergangenen Jahres hatten die USA begonnen, die Ukraine mit taktischen Raketensystemen ATACMS (Army Tactical Missile System) aufzurüsten; sie haben aber bisher nur die älteren ATACMS mittlerer Reichweite geliefert. Jetzt neigen die USA dazu, die Version der Rakete mit größerer Reichweite zu schicken, um der Ukraine zu ermöglichen, weiter hinein in die von Russland kontrollierte Halbinsel Krim anzugreifen.
Für Jack Watling vom Royal United Services Institute für Verteidigungs- und Sicherheitsstudien (RUSI) ein dringend notwendiger Schritt: „Wenn die Partner der Ukraine deren Armee weiterhin ausreichend Munition und Ausbildungsunterstützung zur Verfügung stellen, um die russischen Angriffe im Jahr 2024 abzuschwächen, ist es unwahrscheinlich, dass Russland im Jahr 2025 nennenswerte Erfolge erzielen wird. Wenn Russland aufgrund seiner Unfähigkeit, die Qualität der Streitkräfte für Offensivoperationen zu verbessern, keine Aussicht auf Erfolge im Jahr 2025 sieht, bedeutet dies, dass es Schwierigkeiten haben wird, Kiew bis 2026 zur Kapitulation zu zwingen.“