„Kannst eigentlich nur noch sterben“ – So grausam wird im Nawalny-Straflager „Polarwolf“ gefoltert
Alexeyj Nawalny kam in dem russischen Straflager „Polarwolf“ ums Leben. Insassen, die überlebt haben, erzählen von einer düsteren Zeit in Haft.
Moskau - Der russische Kreml-Kritiker Alexeyj Nawalny galt wohl als einer der unerschütterlichsten Oppositionellen in Russland. Nawalny ließ nicht nur mehrere Gefängnisstrafen über sich ergehen und wurde auf offener Straße mit Antiseptikum übergossen, sondern kämpfte sich 2020 sogar nach einem schweren Giftanschlag zurück ins Leben. Jetzt ist der Oppositionsführer tot. Am 16. Februar starb Alexeyj Nawalny in der russischen Strafkolonie IK-3 in Charp am Polarkreis, auch bekannt unter dem inoffiziellen Namen „Polarwolf“. Die Gegend im hohen Norden des Landes sei „gottverlassen“, sagte zuletzt der langjährige ARD-Korrespondent in Russland, Thomas Roth, in der Sendung Maischberger. Im Winter kann es bis zu -30 Grad kalt werden. „Da kannst du eigentlich nur noch sterben.“
Nach Nawalny-Tod: Häftlinge berichten von extremen Bedingungen im Straflager „Polarwolf“
Wie nah vor allem Insassen des Straflagers jeden Tag dem Tod sind, machen Berichte von ehemaligen Gefangenen deutlich. Dort sollen neben den Temperaturen vor allem die extremen Gefängnisbedingungen Leiden bringen. „Du steigst aus dem Lastwagen, und sie fangen an, dich von allen Seiten mit einem Knüppel zu schlagen“, erzählte ein ehemaliger Insasse bereits 2018 der russischen Tageszeitung Novye Izvestia. Sie „schlagen dich mit aller Kraft auf den Kopf, den Hals, den Rücken, wo immer sie können. Man kann nicht ausweichen, es gibt einen dichten Korridor von Wachen, und jeder schlägt auf dich ein.“

Damals seien alle Insassen täglich bei der morgendlichen Inspektion halbnackt auf die Straße geworfen und mit einem Feuerwehrschlauch abgespritzt worden. Bei gesundheitlichen Problemen habe es keine medizinische Hilfe gegeben. Folter in Form von Würgen, Prügel und unbequemen Aufenthalten in winzigen Zellen zählten offenbar zum Alltag. Wer Beschwerde einlegte oder sich wehrte, wurde erneut bestraft. „Es ist unmöglich, alles zu beschreiben“, sagte der ehemalige Insasse mit dem Pseudonym Mikhail. „Ich werde es nie vergessen.“
Der Bericht deckt sich mit Aussagen weiterer Insassen, die dem US-Sender BBC von ihren Erfahrungen erzählten. Sie beschrieben, dass sie für die Verstöße anderer bestraft wurden, indem sie im Winter ohne Mantel draußen stehen mussten. Diejenigen, die nicht stillstehen, würden mit kaltem Wasser übergossen. Im Sommer sollen die Gefangenen gezwungen werden, sich inmitten von Mückenschwärmen bis zur Hüfte auszuziehen.

Alexeyj Nawalny versuchte, sich die Qualen im „Polarwolf“ nie anmerken zu lassen. Kurz nach seiner Ankunft witzelte der Oppositionelle auf X noch über das kalte Wetter, nannte sich den neuen „Santa Claus“ und schrieb, er sei nach der langen Reise zum „Polarwolf“ nun „bester Laune“. Dabei machen weitere Berichte deutlich, wie sehr auch Nawalny während seiner Haftzeit gelitten haben muss. In der Sendung Maischberger berichtete die Friedensnobelpreisträgerin und Mitgründerin der russischen Bürgerrechtsorganisation Memorial, Irina Scherbakowa, ebenfalls von täglichen Foltermethoden, die in dem Straflager offenbar angewendet werden.
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Gefangene im Straflager „Polarwolf“ werden auf unterschiedlichste Weise gefoltert
Aufseher in dem Gefängnis würden unter anderem mit Temperaturen quälen, indem in den Sonderzellen, wo auch Nawalny die meiste Zeit untergebracht war, entweder extreme Kälte oder extreme Hitze herrsche. Zum Trinken gebe es teils kochend heißes Wasser, das sofort ausgetrunken werden muss. „Die Bedingungen, unter denen er lebte, kann man sich im Westen nicht vorstellen“, sagte Scherbakowa.
Russische Anwälte bestätigten dem russischsprachigen Nachrichtenportal Meduza extreme Bedingungen vor Ort. Im Grunde sei das Programm in dem Straflager in Charp „legalisierte Folter“. Selbst die Staatsanwaltschaft hatte in der Vergangenheit ein Eingreifen für notwendig erachtet und Verstöße unter anderem gegen Arbeitsschutz und Hygienevorschriften gemeldet. Die staatsanwaltliche Aufsicht über die Haftanstalten in Russland sei letztendlich aber nur eine Formalität. Veränderungen sind deshalb nicht absehbar. (nz)