Ukraine ändert die Taktik im Krieg mit Russland
In der Abwehr des russischen Angriffs gerät die Ukraine in die Defensive – und ändert nun offenbar ihre Taktik. Wie der Ukraine-Krieg weitergeht, hängt auch von westlichen Waffenlieferungen ab.
Kiew – Die Ukraine ist zuletzt an der Front in die Defensive geraten. Der Munitionsmangel aufgrund der zögerlichen Waffenlieferungen aus dem Westen macht sich immer stärker bemerkbar. Offenbar ändert Kiew nun seine Strategie – auch in Bezug auf die geforderten Waffen.
Ukraine von der Initiative in die Defensive: Die Folgen des Munitionsmangels an der Front
Unlängst tauschte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Ukraine-Krieg seinen Armeechef aus: Statt Walerij Saluschny steht nun Oleksandr Syrsky an der Spitze des Militärs. Nicht nur auf personeller, sondern auch auf taktischer Ebene gibt es Änderungen: Nach mehr als einem Jahr festgefahrener Kämpfe geht Moskau mittlerweile vor allem in der Ostukraine wieder in die Offensive. Mit der Einnahme der Stadt Awdijiwka gelang Moskau zudem ein symbolischer Sieg – unter hohen menschlichen Verlusten. Die Initiative im Abwehrkampf gegen Russland liegt aktuell nicht mehr bei Kiews Truppen.
Grund ist ein Mangel an Munition, Flugabwehr und weitreichenden Waffen. Selbst das Versprechen, bis März eine Million Geschosse an die Ukraine zu liefern, konnte die EU nicht erfüllen: Bislang kamen lediglich 300.000 in Kiew an. Die USA versorgten das angegriffene Land bislang mit zwei Millionen 155-mm-Artilleriegeschossen, doch der Haushaltsstreit und die deshalb stockende Militärhilfe lässt die Vorräte der Ukraine schrumpfen. Es herrscht die Befürchtung, dass die Unterstützung des Westens schwindet, auf die Kiew in seinem Abwehrkampf aber angewiesen ist.
Die Änderungen an der Front schlagen sich offenbar auch in der Waffenliste der Ukraine nieder. Der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umerow, der Armeechef Syrsky und US-Außenminister Lloyd Austin besprachen in einem Telefongespräch am vergangenen Dienstag (20. Februar) Details zur Ausrüstung. Demnach wünsche sich Kiew weiterhin Luftverteidigungssysteme, doch statt Kampfflugzeugen und Panzern stünden nun Drohnen ganz oben auf der Liste, gefolgt von Systemen zur elektronischen Kriegsführung, hieß es laut der US-Zeitung Politico von einem Insider. Die Angaben ließen sich jedoch nicht unabhängig verifizieren. Drohnen hatten zuletzt im Verteidigungskampf der Ukraine immer mehr an Bedeutung gewonnen.
Experten: So könnte es 2024 weitergehen
Der Kreml hat längst auf Kriegswirtschaft umgestellt und die Rüstungsproduktion im Land angekurbelt. Im vergangenen Jahr hat Moskau die Produktion von Artilleriemunition Schätzungen zufolge verdreifacht, wie aus einem Diskussionspapier des Verteidigungsministeriums von Estland hervorgeht. Russland hat nicht nur mehr Munition, sondern mit einer dreimal so großen Bevölkerung potenziell mehr Kämpfer – auch wenn sich der russische Präsident Wladimir Putin noch vor einer Generalmobilmachung sträubt. „Es gibt weder Aussichten auf Verhandlungen zur Beendigung des Krieges im Jahr 2024, noch kann eine der beiden Seiten einen entscheidenden Sieg erringen“, so die Prognose der Putin-Expertin Angela Stent.
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Es gibt weder Aussichten auf Verhandlungen zur Beendigung des Krieges im Jahr 2024, noch kann eine der beiden Seiten einen entscheidenden Sieg erringen.
Die USA bleiben demnach weiterhin von zentraler Bedeutung. Würde der Kongress die weitere Unterstützung der Ukraine nicht genehmigen, wären „Aussichten für die Fähigkeit der Ukraine, sich 2024 gegen Russland zu wehren, wesentlich schlechter“, so die Expertin weiter. Der frühere General und Oberkommandierende der US-Landstreitkräfte in Europa, Ben Hodges, sieht die aktuelle Verteidigung der Ukraine positiver: „Dieser Krieg dauert nun schon seit zehn Jahren an, Russland hatte alle Vorteile, und nach zehn Jahren halten sie nur 18 Prozent der Ukraine besetzt“, sagte Hodges. „Sie haben eine halbe Million Soldaten verloren, die Schwarzmeerflotte wird von Tag zu Tag schwächer, und die Luftwaffe ist nicht in der Lage, die Luftüberlegenheit zu erlangen.“
Die versprochenen F-16-Kampfjets würden bald eintreffen. Die USA könnten womöglich mehr Atacms-Raketen senden und der Druck auf Deutschland, Taurus-Marschflugkörper zu liefern, steige. „Was wir brauchen“, so Hodges, „ist ein klares Bekenntnis der westlichen Staats- und Regierungschefs [...] dass sie ihr die Waffen zur Verfügung stellen, die sie braucht, um den Krieg tatsächlich zu gewinnen.“ Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab sich am zweiten Jahrestag des russischen Angriffs trotz der jüngsten Rückschläge weiter zuversichtlich. „Wir werden siegen“, sagte er am vergangenen Samstag (24. Februar) bei einer Gedenkveranstaltung nahe Kiew.