Kommt da noch was? Warum Männer über 50 heute wichtiger sind, als viele glauben

Business Punk: Herr Janik, Sie erleben um Sich herum, dass Managemententscheidungen in Agenturen schlicht wegen des Alters getroffen werden. Was passiert da gerade?

Oliver Janik: „Die Lage ist angespannt, aber nicht hoffnungslos“, sagt man ja landläufig.
Leider gilt das ganz aktuell für die hiesige makro- und mikroökonomische Gesamtsituation, insbesondere aber für die Agenturbranche. Und KI tut ihr übriges. Da ist es zunächst einmal fahrlässig Kompetenz, vor allen Dingen Führungskompetenz, zu verlieren. Und vor allen Dingen die, die sich aus jahrelanger Erfahrung, insbesondere aus Krisenerfahrung speist. Denn: Neben der Innovations- und Transformationsstärke eines Systems werden die Führungsrollen- und -kräfte essenziell wichtig, die einer Organisation Orientierung und Sicherheit geben können. Und die werden gerade eher aus-, als einsortiert.

Willkommen in der Ageism-Debatte. Werden ältere Manager in Deutschland systematisch unterschätzt?

Janik: Ich weiß nicht, ob das System das tut. Aber deren Rollen werden schon unterschätzt. Und Jüngere in punkto Führung möglicherweise ein wenig überschätzt. Karrierepfade sind heute weit durchlässiger, funktionieren schneller. Unternehmen und gerade Agenturen fürchten, junge Talente zu verlieren, also geben sie ihnen rascher Führungsverantwortung. Wenn da Ältere im Weg stehen, mit einem anderen Preisschild, dann wirkt es wie ein Win-Win: Junge halten, Alte raus.

Jungen Leute zu früh zu große Führungsverantwortung zu übertragen ist also kritisch – was fehlt denn konkret?

Janik: Wer ohne Sturm- und Krisenerfahrung, ohne große Umwege auf den Chefsessel rutscht bzw. relevante Führungsaufgaben übernimmt, steht ständig auf den Zehenspitzen. Dann fehlt häufig die Luft, um andere zu führen, weiterzubilden, Sicherheit zu geben. Ich nenne das „Spurtreue“. Gerade die jüngeren Generationen brauchen heute aber deutlich mehr Orientierung, und sie fordern das auch massiv ein, insbesondere was das häufige Spiegeln ihrer Performance betrifft.

Viele Unternehmen scheinen trotzdem zu glauben: Die neue Generation wird es schon richten. Ist das dann Naivität oder Kalkül?

Janik: Ein wenig von beidem. Kalkül heißt: Kosten massiv senken, ältere, damit meist teurere Mitarbeiter über Konsolidierungsprogramme aus dem System nehmen. Hinzu kommt noch etwas anderes: Junge und diverse Profile in Managementpositionen sind gut für die Außenwirkung und das Employer Branding. Aber wirken auch nach innen: „Hier kann man schnell was werden“. Leider ist das auf der Zeitachse aber auch ein wenig naiv. Denn die Zuversicht, dass das schon irgendwie klappen wird, basiert selten auf belastbaren empirischen Daten. Meist ist es schlicht Hoffnung. Ein elementarer Unterschied.

Sie betonen oft, dass Erfahrung eine Funktion von Zeit ist. Was macht den Unterschied?

Janik: Zeit ist nur die notwendige Bedingung. Erfahrung entsteht durch Erleben – Entscheidungen, Fehler, Erfolge. Mit der Zeit erkennt man Muster, entwickelt Intuition. Aber erst die Reflexion macht es wertvoll: nicht nur das Erleben, sondern vor allen Dingen das Verarbeiten.

Wenn Sie heute auf Ihre eigene Karriere schauen – gab es Momente, in denen Sie allein Ihre Erfahrung gerettet hat?

Janik: Permanent. Mein Job existiert, weil mir Erfahrung zugeschrieben wird. Jedes Problem braucht seine eigene Lösung. Auf die kommt man nur, wenn man schon in viele Einbahnstraßen reingelaufen ist, aber eben auch vielversprechende neue Abzweigungen gefunden hat.

Also halten Sie Niederlagen oder falsche Abbiegungen für unbedingt notwendig? 

Janik: Grundsätzlich habe ich schon meine Probleme mit diesem „Fail early, fail harder, fail sonstwas“, was zeitweise Mantra-artig durch den Markt geprügelt wurde. Wenn ich die Wahl habe, nehme ich immer noch gerne „not fail“. Aber dass Rückschläge und Verluste besondere Energien, Widerstandsfähigkeit, Kräfte für neue Wege freisetzen können, davon bin ich fest überzeugt. Und selbst weiß ich es ziemlich genau. Seit meinem 30. Lebensjahr lebe ich mit der Diagnose Multiple Sklerose, eine unheilbare chronische Krankheit. Das war jederzeit und ist noch schwierig. Trotzdem wurde ich mit knapp 50 „Agenturmanager des Jahres“. Gerade auch, weil ich meiner eigenen Spur treu geblieben bin.

In Ihrem aktuellen Roman Kopfjudo" (Anzeige) – da geht es auch um Verluste – aber es geht auch um mentale Beweglichkeit…

Janik: Kopfjudo zeigt, wie Menschen mit Veränderung umgehen. Drei Figuren, die etwas verloren haben und auf ihre Weise wiederfinden. Der Text ist eine Abrechnung mit einer Welt, die vorgibt, zu funktionieren – aber es nicht tut. Und trotzdem voller Zuversicht ist. Allerdings weiß man das erst ganz am Ende…

Ihr neues Buch trägt den Arbeitstitel „Kommt da noch was?“. Worum geht’s?

Janik: Um Männer über 50, von denen so einige bei mir im Coaching sitzen. Die sind heute nicht am Ende ihrer beruflichen Laufbahn, sondern am Beginn der nächsten Etappe. Und das ahnen und hoffen sie. Denn: Viele von uns werden noch bis Mitte 70 arbeiten – weil wir können, weil wir wollen, und weil wir’s uns auch leisten können müssen. Das sind 20 Jahre! Dafür braucht es einen guten Plan. Es beginnt also nicht der letzte berufliche Abschnitt, sondern der nächste. Es kommt also nicht nur „was“, sondern noch jede Menge.

Welche Rolle spielt hierbei die Selbstreflexion der Männer über 50 in einer Arbeitswelt im Umbruch?

Janik: Eine entscheidende. Man muss sich zum Beispiel fragen: Gibt es denn das gute „Neue“ für mich und was könnte es sein? Was darf es definitiv nicht mehr haben? Habe ich ein „Hin-zu“-Ziel – oder nur ein „Weg-von“-Ziel? Ohne die Beantwortung dieser Fragen, ohne diese mentale Beweglichkeit, wird es schwierig, einen guten nächsten Schritt zu machen.

Das Gespräch führte Oliver Stock. Dieser Artikel entstand in Kooperation mit "Business Punk".