Bei Jobverweigerung droht Bürgergeld-Streichung – doch die angebotenen Stellen sind teils absurd
Jobcenter drohen mit Totalstreichung des Bürgergelds. Doch oft sind die Jobangebote realitätsfern. Die Betroffenen stehen vor absurden Entscheidungen.
München – Seit der Einführung des Bürgergeldes gelten neue, strengere Sanktionsregeln für Arbeitssuchende. Wer ein vom Jobcenter vermitteltes Jobangebot ablehnt, dem kann seit dem am 28. März 2024 aufgrund des Haushaltsfinanzierungsgesetzes der Bundesregierung das Bürgergeld für zwei Monate sogar komplett gestrichen werden – nur die Miete wird weiter bezahlt. Zeigt sich der oder die Betroffene weiterhin „uneinsichtig“, kann die Sanktion auf bis zu acht Monate im Jahr ausgeweitet werden. Die Bundesregierung begründet dies mit der Notwendigkeit, Arbeitsverweigerung zu sanktionieren.
Der Verein Sanktionsfrei e.V. hat laut gegen-hartz.de Betroffene befragt, welche Stellen ihnen vermittelt wurden. Die Ergebnisse zeigen, wie weit die Vorschläge der Jobcenter teils an den realen Qualifikationen der Menschen vorbeigehen.
Jobcenter kassiert enorme Kritik für Stellenangebote – Betroffene berichten von unpassenden Vorschlägen
Eine promovierte Psychiaterin erzählte in einem Kommentar zu einem Zeit-Online-Artikel, dass sie sich auf eine Augenarztstelle habe bewerben sollen. Als sie das ablehnte, habe ihr Sachbearbeiter nur gemeint: „Arzt ist Arzt“. Eine Kunsthistorikerin berichtet, ihr wäre eine Stelle in der Kunststoffproduktion angeboten worden. „Was das mit meinem Beruf zu tun hat, konnte mir niemand erklären“, erklärte sie, wie gegen-hartz.de berichtet.
Ein anderer Betroffener erlitt laut gegen-hartz.de einen Herzinfarkt, der ihm 35 Prozent seiner Herzleistung kostete. Dennoch sollte er in einer geschlossenen Psychiatrie in der Sicherheitsabteilung arbeiten. „Ich bin eigentlich Kaufmann und habe keinerlei Erfahrung in diesem Bereich“, stellt er klar. Eine Vegetarierin, die seit ihrem 13. Lebensjahr kein Fleisch isst, wurde als Fleischverkäuferin vermittelt. „Ich sagte ihnen, dass ich keine Ahnung von Fleisch habe, aber das war ihnen egal“, berichtet sie bei gegen-hartz.de.
Auch Sprachbarrieren spielen offenbar keine Rolle. Eine Frau mit einem Abschluss in Spanisch und Englisch bekam laut eigener Aussage eine Stelle als Übersetzerin für Russisch vermittelt. „Als ich sagte, dass ich kein Russisch spreche, fragte mich der Sachbearbeiter nur: ‚Wollen Sie nicht arbeiten?‘“, kommentiert sie bei Zeit Online.
Ein weiteres Beispiel: Ein Mann berichtet bei gegen-hartz.de, dass er bereits einen unterschriebenen Arbeitsvertrag hatte, doch das Jobcenter habe ihn dennoch zu einem Bewerbungstraining geschickt – als jemand, der das Training selbst durchführen könnte.
Schwere Vorwürfe gegen Jobcenter: Vermittlungssystem oft falsch und realitätsfern?
Der Tonus: Arbeitet das Vermittlungssystem oft schematisch falsch und realitätsfern? Statt passgenaue Stellen zu finden, werden scheinbar wahllos Berufe zugewiesen. Und wer sich weigert, eine unpassende Stelle anzunehmen, wird sanktioniert. Dabei können sich Betroffene oft nicht gegen unzumutbare Vermittlungen wehren.
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Unpassende Jobofferten? Bundesagentur für Arbeit reagiert auf Vorwürfe
Auf Anfrage von IPPEN.MEDIA erklärt die Bundesagentur für Arbeit, dass mit allen Arbeitssuchenden, die in die Vermittlungsprozesse einbezogen werden, ein individuelles Profiling durchgeführt werde. Dabei würden „berufliche Kenntnisse und Kompetenzen mit den Bedarfen des Arbeitsmarktes abgeglichen“, um „gemeinsam eine Integrationsstrategie“ festzulegen. Die Vermittlungsvorschläge würden sowohl „durch die Integrationsfachkräfte, die Beratungsgespräche führen, als auch durch Fachkräfte im Arbeitgeber-Service erstellt“, so eine Sprecherin. Technische Unterstützung erfolge durch ein Matching-System, das den erlernten Beruf, vorhandene berufliche Kompetenzen und individuelle Rahmenbedingungen berücksichtige.
Zudem betonte die Bundesagentur, dass Betroffene sich bei unpassenden Stellenangeboten an ihre zuständige Integrationsfachkraft wenden könnten, um die Situation zu besprechen. „Kann eine Einigung über Festlegungen in einem Kooperationsplan nicht erzielt werden, können sich Kundinnen und Kunden an die Schlichtungsstelle des jeweiligen Jobcenters wenden. Darüber hinaus können sie belastende Entscheidungen des Jobcenters mittels Widerspruchs und gegebenenfalls Klage einer Prüfung unterziehen lassen“, so die Bundesagentur für Arbeit.
Bürgergeld-Politik verfassungswidrig? Experten erwarten Klagewelle
Die harten Sanktionen gegen säumige Bürgergeld-Empfänger sind zunächst auf zwei Jahre befristet. Danach soll evaluiert werden, ob sie dauerhaft bestehen bleiben. Experten rechnen jedoch mit einer Klagewelle, da die Totalstreichung des Bürgergelds als verfassungswidrig gilt. Der Druck auf Betroffene bleibt hoch, vor allem, wenn ein unpassendes Jobangebot im Nacken sitzen sollte. (ls)