Orthopädie-Spezialist Markus Klingenberg: Arthrose kommt auch aus dem Bauch: Was Ihr Darm mit Gelenkschmerzen zu tun hat
Lange Zeit galt Arthrose als rein mechanische Verschleißerkrankung der Gelenke. Doch aktuelle Forschung zeigt: Unser Darmmikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen im Verdauungstrakt, spielt eine überraschend wichtige Rolle für die Gesundheit unserer Gelenke. Die sogenannte „Darm-Gelenk-Achse“ rückt zunehmend in den Fokus der Orthopädie und Sportmedizin – mit spannenden Perspektiven für Prävention und Therapie.
Über Markus Klingenberg
Markus Klingenberg ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Schwerpunkt auf arthroskopische Chirurgie an Schulter, Ellenbogen, Hand, Knie und Sprunggelenk sowie Fußchirurgie. Er verfügt über Zusatzqualifikationen in Sportmedizin, Chirotherapie/Manuelle Medizin und Notfallmedizin. Nach seinem Medizinstudium in Bonn und Zürich und Aufenthalten in London, Innsbruck und Boston absolvierte er seine Facharztausbildung. Seit 2014 ist er leitender Arzt an der Beta Klinik in Bonn für den Bereich Arthroskopie, Fußchirurgie und Sportmedizin. Hier geht es zu seiner Website www.markusklingenberg.de.
Gibt es eine Darm-Gelenk-Achse?
Der Begriff „Darm-Gelenk-Achse“ beschreibt die Wechselwirkung zwischen dem Mikrobiom, dem Immunsystem und der Gelenkgesundheit. Veränderungen im Darmmikrobiom – etwa durch unausgewogene Ernährung, Medikamente oder Stress – können systemische Entzündungen fördern, die wiederum die Gelenke schädigen.
Gibt es Hinweise auf negative Auswirkungen eines gestörten Mikrobioms?
Ja, die Datenlage ist eindeutig: Eine Dysbiose im Darm steht im Zusammenhang mit erhöhten Entzündungswerten, stärkerem Gelenkschmerz und schnellerem Fortschreiten der Arthrose. Übergewicht, das als Risikofaktor für Arthrose gilt, scheint nicht nur durch mechanische Überlastung, sondern auch durch eine gestörte Darmflora und chronische Entzündungen die Gelenke zu schädigen. Auch bei nicht-gewichttragenden Gelenken wie den Händen wurde dieser Zusammenhang beobachtet.
Gibt es Therapieansätze, die Arthrose über das Mikrobiom beeinflussen?
Die Forschung hierzu ist dynamisch, erste Therapieansätze zeigen vielversprechende Ergebnisse:
- Präbiotika und Probiotika: In Tiermodellen und ersten Humanstudien konnten Präbiotika (zum Beispiel Oligofructose) und Probiotika das Gleichgewicht der Darmflora wiederherstellen, Entzündungen senken und den Verlauf der Arthrose günstig beeinflussen.
- Ernährungsumstellung: Eine ballaststoffreiche, pflanzenbasierte Ernährung fördert die Bildung kurzkettiger Fettsäuren im Darm, die entzündungshemmend wirken. Studien zeigen, dass eine mediterrane oder antientzündliche Ernährung das Arthroserisiko senken und Symptome lindern kann.
- Nutraceuticals: Bestimmte Nahrungsergänzungsmittel wie Omega-3-Fettsäuren, Polyphenole (zum Beispiel aus Kurkuma oder Resveratrol) und sekundäre Pflanzenstoffe können das Mikrobiom günstig beeinflussen und Entzündungen hemmen.
- Fäkale Mikrobiota-Transplantation: In Einzelfällen wird auch die Übertragung eines gesunden Mikrobioms diskutiert, bisher aber vor allem bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen erprobt.
Praktische Tipps für den Alltag bei Arthrose
Auch wenn die Forschung weiterläuft, können Patienten mit Arthrose bereits heute ihr Mikrobiom und damit ihre Gelenkgesundheit positiv beeinflussen:
- Ballaststoffreich essen: Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Gemüse und Beeren fördern „gute“ Darmbakterien und die Produktion entzündungshemmender Fettsäuren.
- Gesunde Fette bevorzugen: Omega-3-Fettsäuren aus Fisch, Lein- oder Walnussöl wirken entzündungshemmend.
- Fermentierte Lebensmittel integrieren: Joghurt, Kefir, Sauerkraut oder Kimchi enthalten natürliche Probiotika.
- Zucker und hochverarbeitete Lebensmittel reduzieren: Sie fördern entzündungsfördernde Bakterien und sollten gemieden werden.
- Übergewicht vermeiden: Jedes Kilo weniger entlastet die Gelenke und verbessert die Darmflora.
- Regelmäßige Bewegung: Moderate Bewegung unterstützt nicht nur die Gelenkfunktion, sondern auch ein gesundes Mikrobiom.
- Antibiotika nur gezielt einsetzen: Sie können das Mikrobiom nachhaltig stören und sollten nicht unnötig eingenommen werden.
Fazit: Die Darm-Gelenk-Achse eröffnet neue Perspektiven in der Orthopädie und Sportmedizin. Ein gestörtes Mikrobiom kann Entzündungen und Arthrose fördern, während eine gezielte Beeinflussung der Darmflora das Fortschreiten der Erkrankung bremsen und Symptome lindern kann.
Ernährung, Lebensstil und – in Zukunft – möglicherweise auch individualisierte Mikrobiom-Therapien bieten Patienten mit Arthrose neue Hoffnung. Wer seine Gelenke schützen möchte, sollte also auch auf seinen Darm achten – und umgekehrt.
Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.