Infrastruktur für E-Autos: Deutschland könnte bald von „Ladeleichen“ übersät sein
Ladesäulen werden vielerorts zum Problem, was auch den Ausbau der Elektromobilität behindert. Ein Experte erläutert, warum die Infrastruktur vielerorts mit „Leichen“ gepflastert ist.
München - Elektromobilität gilt als zukunftsweisend, doch der Ausbau der erforderlichen Infrastruktur bleibt in Deutschland ein anspruchsvolles Problemfeld. In einem exklusiven Interview erklärt ein Branchenexperte, warum das Land im Vergleich zu anderen Nationen hinterherhinkt und weshalb Ladesäulen technische Schwachstellen offenbaren.
Dr. Jörg Heuer ist CEO des europaweiten Marktführers für Softwarelösungen von Ladesäulen und bezeichnet viele der Stromspender als „Toaster“, die nicht mehr zeitgemäß sind. Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA erläutert der Chef von EcoG die Herausforderungen, welche für ein breiteres Marktvolumen von E-Autos bewältigt werden müssen.
Was die Ladeinfrastruktur für E-Autos betrifft, hat Deutschland Probleme, die andere Regionen nicht haben. Woran liegt das?
Dr. Jörg Heuer: Ich glaube, Märkte, die früh gestartet sind, müssen eine gewisse technologische Entwicklung durchlaufen. Der erste Teil, den wir - glaube ich - gut gelöst haben, sind die unterschiedlichen Standards und Normen der Schnittstellen zwischen Ladeinfrastruktur und Fahrzeugen. Man erinnere sich noch an die Diskussion rund um die Chademo-Stecker (Standard aus Japan) für DC-Laden. Dann hat man sich sinnvoll auf das CCS (Standard aus Europa) geeinigt, was sich jetzt in westlichen Ländern etabliert hat. Hinzu kommt dann noch die Frage, ob AC oder DC (Schnellladen). Was all diese Themen betrifft, findet eine Lernkurve statt. Das Problem ist, dass in der Ladeinfrastruktur nicht wie bei den Fahrzeugen, über die Zeit ein signifikanter Austausch stattfindet. Die erste Generation der E-Autos ist schon wieder am abklingen, aber die Ladeinfrastruktur steht wahrscheinlich bis zu 15 Jahre im Feld und deswegen müssen wir uns überlegen, wie bauen wir das nachhaltig. Da heißt es dann zwar, wir haben doch in Deutschland genug Ladepunkte, nur sind halt viele davon für eine schnelle Versorgung der neueren Fahrzeuge ungeeignet.
E-Autos in Europa: Ladestecker-Thematik gelöst - nicht das der Ladesäulen
Sie kommen gerade aus Indien zurück, das in Sachen E-Mobilität stark aufgeholt hat. Wo liegt der Unterschied zu Deutschland?
Heuer: Indien hat die Anfangslernkurve übersprungen: Hier in Deutschland sind wir ab 2012 gestartet, also sieben Jahre vorher und da tut sich jetzt Indien leichter, weil gleich entsprechend stark in die Schnellladeinfrastruktur investiert werden kann. Um nochmal auf das Thema Ladestecker zurückzukommen: Ich glaube die Entscheidung Richtung CCS ist global gesehen richtig und von daher ist der Teil gelöst und alles Weitere jetzt eher eine Frage der schnellen Skalierbarkeit. Wenn da ein Ecosystemprozess hervorgeht, es viele Komponentenlieferanten gibt und man schnell eine Ladeinfrastruktur nach einem Standardmodell bauen kann, lässt sich das gut umsetzen. Was ich damit meine: Es gibt im Prinzip eine Architektur, nach der solche Lader gebaut werden, die ähnlich ist wie bei E-Autos. Mit einer solchen Lösung lässt sich einfach und schnell ein Volumen herstellen. Das ist etwas, wo wir bei EcoG sehr aktiv sind und das mit unseren Partnern etablieren.

Weitere Probleme der E-Mobilität sind die große Zahl unterschiedlicher Anbieter und spezifische Abrechnungsarten. Was muss sich diesbezüglich ändern?
Heuer: Ein vielschichtiges Thema. Wir haben heute im Endeffekt drei Arten, mit denen wir Strom für ein Elektroautos bezahlen können: Ladekarten, Kreditkarten oder Plug-and-Charge. Ich war vor fünf Jahren unterwegs, da brauchte man noch ein Set an zehn Ladekarten, wenn man durch Europa kommen wollte. Aufgrund des Roamings hat sich das stark verbessert und die Anzahl der benötigten Karten abgenommen.
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Mittlerweile hat man das vielleicht so auf drei, vier Karten reduziert. Was aber zugenommen hat, ist die absolute Preisintransparenz: Wenn ich irgendwo hinfahre, weiß ich an sich nicht, zu welchem Preis ich da lade - und es wird mir auch nicht angezeigt. Auf der einen Seite haben wir in Deutschland mit der Eichrechtskonformität auf eine wahnsinnige Präzision zu achten, auf der anderen Seite habe ich überhaupt keine Transparenz, was es mich kostet, mein Elektroauto zu laden. Das ist ein ganz komisches Verhältnis.
Elektroauto laden: Preistransparenz lässt oft zu wünschen übrig
Man sieht also selten den direkten Strompreis, der beim Ladevorgang anfällt. Woran liegt das?
Heuer: Stand heute sieht man es nur, wenn man mit der Kreditkarte zahlt. Da hängt es nicht vom Mobility Service Provider im Hintergrund ab, welche Kosten an der Ladesäule verrechnet werden. In den anderen Fällen ist die Preistransparenz deswegen nicht da, weil der Provider eine bestimmte Vereinbarung mit den Netzbetreibern hat, zu einem bestimmten Preis. Deswegen kann der Säulenbetreiber zu dem Zeitpunkt, wo man einsteckt, eigentlich keinen Preis anzeigen. Das heißt, es gibt enormen Regulierungsbedarf, auch international. Wenn wir uns Kalifornien als Vorbild anschauen, sehen wir da, dass die Politik solche Anforderungen mandatiert und sagt okay, lieber Anbieter, du musst dir klar sein, ein bestimmter Preis X ist der Fall und den musst du gefälligst anzeigen, bevor der Ladevorgang startet. Wenn die Anforderung von Seiten der Regierung kommt und es technisch zu lösen ist, dann wird es auch gelöst.
Was muss passieren, dass auch hier ein Umdenken stattfindet?
Heuer: Die Skalierung muss weiter vereinheitlicht werden. Wenn dieses Klein-Klein der Hersteller weitergeht und man nicht festlegt, wie eine Standard-Ladesäule gebaut werden muss, dann glaube ich, können wir nicht ausreichend schnell skalieren. Außerdem muss dafür gesorgt werden, dass die Ladeinfrastruktur aktualisiert werden kann. Wahrscheinlich 80 Prozent der derzeitigen Ladesäulen sind eine Art Toaster - die funktionieren nur so wie gekauft. Da können solche Regulierungen gar nicht umgesetzt werden. Das heißt, man hat dann einen ganzen Altbestand, der eigentlich nicht mehr artgerecht funktioniert, aber trotzdem an den Straßen steht. Bei dem Thema muss gesagt werden: Wer als Ladesäulen-Anbieter in den Markt eintritt und diesen bedient, muss auch dafür sorgen, dass in der Laufzeit sein Produkt entsprechend aktualisiert werden kann.
Ladeinfrastruktur: Was Deutschland von Ländern wie Indien lernen kann
Das ist nicht wünschenswert. Indien ist für dich diesbezüglich ein Negativbeispiel.
Heuer: Es droht ein negativer Effekt, wie wir ihn in Indien in der Hochlaufphase gesehen haben: Dort gibt es viele indische Anbieter bei der Ladeinfrastruktur, die aus China billige Lader importieren. Nach kurzer Zeit sind diese nicht mehr benutzbar, weil sehr viele neue Fahrzeuge in den Markt reinkommen und die chinesischen Hersteller die Ladeinfrastruktur in Indien nicht aktualisieren. Das heißt, wir sehen einen großen Bestand, geschätzt etwa 20 Prozent, der am Straßenrand steht und praktisch nicht mehr mit den aktuellen Fahrzeugen funktioniert. Der Parkraum kann auch nicht anderweitig genutzt werden. Somit verschandeln diese Ladesäulen dann einfach das Umgebungsbild, haben aber keinen Nutzwert mehr.
Warum sehen Sie Indien dennoch auch als Vorbild für Länder wie Deutschland?
Heuer: Was wir aus Indien lernen können, ist dieser starke Fokus auf DC-Schnellladen. Die werden relativ schnell in neue Architekturen gehen, das heißt, die Anzahl der Hersteller, die lokal in den Markt eintreten, ist massiv. Die schauen sich genau an, wie sieht eigentlich so eine Architektur einer Ladesäule aus. Der zweite Aspekt, wo Indien sehr fortschrittlich unterwegs ist, sind Payment-Mechanismen, die nicht mehr auf Plastikkarten basieren, sondern auf handybasierten Payments. Das wird in die Software-Funktion der Ladesäulen integriert, nicht mehr mittels Terminal - denn die sind teuer und machen schnell zehn Prozent eines Laders aus.
Ladesäulen für E-Autos: Warum China anderen Ländern deutlich voraus ist
Wie sieht es beim E-Mobilitäts-Vorreiter China aus?
Heuer: Ich glaube, China ist ein deutlich regulierterer und auch schneller skalierbarer Markt. Wenn wir uns die Größenordnung in der Ladeinfrastruktur anschauen, ist China deutlich allen anderen Regionen voraus. Allerdings, und das ist spannend, halt mit einem gänzlich anderen Standard: nicht CCS, sondern einem eigenen Ladestandard (GB/T, ChaoJi-1, Anm. d. Red.). Deren Equipment ist auch entsprechend durch die Betreiber so organisiert, dass es aktualisierbar ist und drumherum ist eine sehr gute Logistik etabliert.
Was wäre der größte Treiber, damit die Ladeinfrastruktur hierzulande schnellstmöglich in die Gänge kommt?
Heuer: Unabdingbar ist die Aktualisierbarkeit der Ladeinfrastruktur. Wenn wir das nicht stärker in den Vordergrund rücken, dann entwickeln wir im Straßenbild zunehmend „Ladeleichen“. Wir sehen das schon jetzt, weil der Markt sehr dynamisch ist. Die Ladesäulen von „Early Movern“ wie beispielsweise Tritium (insolventer Hersteller, d. Red.), schwierig zu handhaben sind, weil die nicht aktualisiert werden können. Die Infrastruktur steht sehr lange und stellt ein sehr hohes Invest dar. Da muss genau überlegt werden, wie wir diese up to date halten können. Sonst führt das dazu, dass kaum mehr jemand diese Ladestationen anfährt und sie damit zu „Denkmälern“ einer frühen Phase der E-Mobilität verkommen.
E-Mobilität in Deutschland: Das Ecosystem der Ladesäulen entscheidet
Da kommt ihr als Dienstleister ins Spiel?
Heuer: Das tun wir so oder so, weil wir entsprechend viele Hersteller haben, die davon abhängen. Was wir aber noch sehen: Es gibt teilweise Hersteller, die im Endeffekt sagen, ich kalkuliere nicht ein, dass ich die Aktualisierung in Zukunft bezahlen muss, sondern subventioniere das aus dem Neugeschäft. Das geht gut, solange die Steigerungsraten sind wie heute. Aber 2030, wenn wir bei den Ladesäulen nur noch „normales“ Wachstum haben, geht es schief. Die Aufgabe ist, dies den Betreibern transparent zu machen und zu sagen, das ist vertragliche Verpflichtung, dafür gibt es aber dann auch entsprechende Abwicklung und Vergütung.
Eure Kunden sind somit diejenigen, welche die Stromtankstellen entwickeln?
Heuer: Richtig. Wir haben mittlerweile ein Ecosystem von über 120 internationalen Firmen, von Komponentenherstellern bis hin zu Auftragsfertigern, die unseren Kunden helfen, ihren Lader in kurzer Zeit zu entwickeln. Wo wir vor einigen Jahren nur die Hersteller hatten, haben wir jetzt ein ganzes Ecosystem drumherum. Wir müssen uns eigentlich nur noch darum kümmern, was das Produkt unserer Kunden einzigartig, oder besser integrierbar macht. Da sieht man auch, dass frühere Marktführer nicht notwendigerweise die Marktführer von heute sind, weil heute andere Alleinstellungsmerkmale wichtiger sind und nicht mehr die Kunst, überhaupt eine funktionierende Ladesäule zu bauen. Das Interview führte Patrick Freiwah