Greift Putin die Nato an?

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Greift Putin die Nato an? – „Eine mögliche Handlungsoption für den Kreml“

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Es ist nicht die erste, aber eine deutliche Warnung: Der Chef des Bundesnachrichtendienstes hält einen russischen Angriff auf die Nato für denkbar.

Berlin – In Schweden ist die Gefahr greifbar, buchstäblich. Erst kürzlich haben die dortigen Behörden eine Broschüre veröffentlicht – mit Verhaltensregeln für den Fall einer russischen Invasion. 32 Seiten dick ist das Heftchen, in dem auch zur Landesverteidigung aufgerufen wird. „Wenn Schweden angegriffen wird, muss jeder seinen Teil dazu beitragen, Schwedens Unabhängigkeit und Demokratie zu verteidigen“, heißt es dort. In Norwegen und Finnland gibt es ähnliche Kampagnen.

Droht der Nato ein Angriff durch Putin?

Im Norden Europas dürfte das, was der Präsident des deutschen Auslandsgeheimdienstes gerade öffentlich erklärte, also wirklich niemanden überraschen. „Russland bereitet sich auf einen Krieg mit dem Westen vor“, sagte BND-Chef Bruno Kahl am Mittwochabend. Ende des Jahrzehnts würden die Streitkräfte „personell und materiell in der Lage“ zu einem Angriff auf Nato-Territorium sein. „Eine militärische Konfrontation wird zu einer möglichen Handlungsoption für den Kreml.“

Schon Mitte Oktober äußerte Kahl diese Befürchtung, damals flankiert von den Chefs des Verfassungsschutzes und des Militärischen Abschirmdienstes. Seither hat Russland seinen Krieg gegen die Ukraine weiter eskaliert. Offenbar zieht der Kreml aus der oft zögerlichen Reaktion des Westens längst seine Lehren.

"Tag der Marine" in Russland
Was plant Wladimir Putin? „Russland bereitet sich auf einen Krieg mit dem Westen vor“, sagt BND-Chef Bruno Kahl. © Maxim Shipenkov/dpa

Hochrangige russische Regierungsvertreter hätten zunehmend Zweifel daran, „ob die Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 im Ernstfall halten würde“, sagte Kahl. Dass der künftige US-Präsident Donald Trump jenen Artikel 5 vor Monaten infrage stellte, dürfte den Eindruck noch befeuern.

Moskaus Zweifel am „Bündnisfall“

Die Beistandspflicht besagt, dass jeder Angriff auf ein Nato-Mitglied als Angriff auf das ganze Bündnis gewertet wird. Es ist eine große Stärke des Bündnisses, aber auch eine potenzielle Schwäche. Würden die USA einen Konflikt mit Russland riskieren, um, sagen wir, das kleine Estland zu verteidigen? In Moskau wachsen die Zweifel und mit ihnen offenbar die Bereitschaft, das auszutesten.

Experten diskutieren die Gefahr schon lange. Plausibler als ein großer Angriff auf die Nato ist demnach ein von Moskau inszenierter begrenzter Zwischenfall. Der Kreml würde das Bündnis so zur Reaktion zwingen, schrieb der Sicherheitsexperte Ulrich Speck in der NZZ. Schnelle Gegenwehr könne den Konflikt eindämmen. „Ein langes Zögern würde es Russland hingegen erlauben, einen Keil in die Allianz zu treiben.“ Kahl formuliert es drastischer: Russland wolle die Nato scheitern sehen, um dann „seinen Einfluss in Europa durch eine aggressive Machtpolitik ausbauen“ zu können.

Berlin stationiert Flugabwehr in Polen

Deutschland bereitet erneut eine vorübergehende Verlegung des Luftverteidigungssystems Patriot nach Polen vor. Das Bundesverteidigungsministerium teilte mit, es habe der Nato angeboten, die Patriot-Staffeln zum Jahresanfang dorthin zu entsenden. Die Einheiten könnten bis zu sechs Monate in Polen bleiben.

„Wir werden damit einen logistischen Knotenpunkt in Polen schützen, der für die Lieferung von Material an die Ukraine von zentraler Bedeutung ist“, sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Die Bundeswehr sichere so die Versorgung mit Fahrzeugen, Waffen und Munition, die die Ukraine zur Abwehr der russischen Angriffe dringend brauche. Polen begrüße die deutsche Entscheidung, erklärte Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz. Geplant ist nach dpa-Informationen die zeitweise Stationierung von Soldaten und Waffensystemen im Raum Rzeszow im Südosten Polens. Die Erkundungen dafür sollen in den kommenden Tagen starten.

Planz Putin begrenzte Invasion im Baltikum

Der BND-Chef nennt auch zwei denkbare Szenarien: Russlands Präsident Wladimir Putin könnte demnach eine begrenzte Invasion im Baltikum wagen und den Schutz der dortigen russischen Minderheit als Vorwand nutzen. Auch Skandinavien hält er für ein Ziel, speziell die norwegische Insel Spitzbergen. Putin könne dort eine „territoriale Geländebereinigung“ anstreben, sagte Kahl. Und wieder die Frage: Würde die Nato wegen einer Arktis-Insel Krieg riskieren?

Anderswo gibt es weitreichendere Szenarien. Der Befehlshaber der schwedischen Streitkräfte, Micael Bydén, sagte im Mai, er sei sicher, dass Putin auch die Insel Gotland im Visier habe. „Putins Ziel ist es, Kontrolle über die Ostsee zu gewinnen“, sagte er. Militärisch wäre die Insel tatsächlich von Wert für Moskau, um das Baltikum unter Druck zu setzen.

Russland rüstet auf, hybride Angriffe nehmen zu

Fakt ist, dass Putin massiv aufrüsten lässt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagte kürzlich, Russland stelle in drei Monaten so viele Waffen und Munition her wie alle EU-Länder in einem Jahr. Auch hybride Angriffe auf Länder des Westens nehmen spürbar zu. Sie seien „eine Vorstufe des russischen Krieges“, sagte der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter der „Rheinischen Post“. Russland sehe sich längst im Krieg mit dem Westen. „Das heißt, auch Deutschland ist längst Kriegsziel, ob wir das wollen oder nicht.“

Kahl glaubt, dass Putin vorerst versuchen werde, die Nato zu spalten, indem er einzelne Mitglieder auf seine Seite zieht. Was sich in Ungarn andeutet, könnte sich mit der Wahl des prorussischen rumänischen Präsidentschaftskandidaten fortsetzen.

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