Ein Bad für alle – Bademeister verrät praktische Tipps für mehr Inklusion

Barrierefreiheit – ein großes Wort. Eines, das in fast jedem städtischen Konzept vorkommt. Auf Flyern, auf Webseiten, in Ausschreibungen. Doch wer tagtäglich in einem Schwimmbad arbeitet, weiß: Zwischen dem Versprechen auf Papier und der Realität im Alltag klafft oft eine Lücke.

Nicht selten steht morgens jemand an der Kasse, der mit strahlenden Augen sagt: „Heute will ich mal wieder ins Wasser.“ Man spürt die Freude. Und doch bleibt sie oft nur kurz – weil genau das, was so selbstverständlich scheint, eben nicht geht. Nicht für alle.

Ralf Großmann wuchs im Schwimmbad auf und lebt Bäderbetrieb seit Kindheitstagen. Auf H2ohero.de teilt er seine Erfahrung aus deutschen Bädern – authentisch, alltagsnah und mit Herz für Sicherheit und Qualität. Er ist Teil unseres Experts Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Ein Bad für alle? Nicht wirklich.

Wer in einem Rollstuhl sitzt oder sich auf Gehhilfen stützt, hat es schwer. Schon der Weg von der Umkleide zur Dusche wird zur Herausforderung. Keine Haltegriffe, keine durchgängigen Rampen, rutschige Böden – und am Becken dann die nächste Hürde: Leitern, Stufen, kein Lifter. Für viele endet hier der Ausflug ins Bad – noch bevor er wirklich begonnen hat.

Dabei geht es nicht nur um körperliche Einschränkungen. Auch Menschen mit Sehbehinderungen, mit geistigen Einschränkungen, mit Ängsten oder Reizüberflutung erleben das Bad ganz anders als andere. Und fühlen sich oft ausgeschlossen – nicht weil man sie nicht will, sondern weil man nicht mitgedacht hat.

Nicht böse gemeint – aber trotzdem nicht gut

Die meisten Bäder wurden gebaut, als das Thema Barrierefreiheit noch kaum eine Rolle spielte. Und selbst wenn später nachgerüstet wurde: Vieles ist Stückwerk. Ein Aufzug, der ständig defekt ist. Ein Umkleideraum, der zu eng ist. Oder ein Behinderten-WC, das gleichzeitig Lagerraum ist. Es fehlt oft nicht an gutem Willen – sondern an Plan, Budget und manchmal auch am Blick für das Wesentliche.

Ein Bad ist mehr als nur Wasser. Es ist Bewegung, Begegnung, Teilhabe. Und all das wird für manche Menschen durch Hindernisse unmöglich gemacht, die andere nicht einmal wahrnehmen.

Es geht auch um Haltung

Barrierefreiheit beginnt nicht bei der Technik. Sie beginnt im Kopf. Es geht um Fragen wie: „Können wir helfen?“ – „Fühlen Sie sich bei uns wohl?“ – „Was brauchen Sie, damit Sie gern wiederkommen?“ Und manchmal sind es genau diese Gespräche, die mehr bewirken als jeder Umbau.

Wir hatten schon Gäste, die zum ersten Mal seit Jahren wieder schwimmen wollten. Weil sie gehört hatten, dass unser Bad barrierefrei sei. Und dann saßen sie vor der Treppe ins Becken – und mussten umkehren. Kein Lifter. Keine Rampe. Kein Ausweg. Solche Momente brennen sich ein.

Kleine Zeichen – große Wirkung

Nicht alles braucht tausende Euro. Ein Duschhocker, ein gut lesbares Schild, ein freundliches Angebot, mit zum Becken zu begleiten. Diese Gesten zeigen: Du bist willkommen. Auch wenn nicht alles perfekt ist – wir sehen dich.

Denn manchmal ist nicht die Stufe das größte Hindernis – sondern das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Es gibt auch Lichtblicke

Einige Bäder machen es besser. Da gibt es spezielle Familientage für Menschen mit Beeinträchtigungen. Da werden Mitarbeitende geschult, wie man einfühlsam unterstützt. Da fragt niemand, ob ein Mensch „zu viel Aufwand“ bedeutet – sondern was man tun kann, damit er sich sicher fühlt.

Und dort entstehen Begegnungen. Ein Kind mit Rollstuhl und ein Mädchen, das gerade Schwimmen lernt, lachen gemeinsam im Nichtschwimmerbecken. Eine ältere Dame sagt: „So wohl habe ich mich lange nicht mehr gefühlt.“ Das sind die Momente, in denen man weiß: Es lohnt sich.

Ein Aufruf, kein Urteil

Dieser Text will nicht anklagen. Sondern erinnern. Daran, dass Bäder Orte für alle sein sollten – und dass wir noch weit davon entfernt sind. Es geht nicht darum, Schuldige zu suchen. Sondern um das Bewusstsein: Wenn wir Inklusion ernst meinen, müssen wir bei den kleinen Dingen anfangen. Und mit offenem Blick durch unsere Bäder gehen.

Ein Schwimmbad ist dann barrierefrei, wenn niemand draußen bleiben muss.

Es darf nicht davon abhängen, wie mobil jemand ist, ob er ins Wasser kann. Ob er sich sicher fühlt. Ob er sich willkommen fühlt. Ein Bad, das wirklich für alle da ist, zeigt sich nicht an der Architektur – sondern an der Haltung der Menschen, die dort arbeiten.

Und solange jemand gehen muss, bevor er schwimmen durfte, haben wir noch zu tun.