In Waldram sorgen die Faulhaber- und Wendelstraße für Streit über Geschichtsbewusstsein und Missbrauchsfälle.
Was eine kurze Information werden sollte, wurde zum hochemotionalen Schlagabtausch. Es ging erneut um die Straßennamen in Waldram – und eigentlich ging es um viel mehr: um Geschichtsbewusstsein und Missbrauch in der Kirche, um offene Fragen zur NS-Vergangenheit und um Zeitgeist-Veränderungswut auf Kosten der Anwohner.
Debatte gibt es auch in München und Würzburg
Besonders zwei Kirchenfürsten stehen in der Kritik: Kardinal Michael Faulhaber und Joseph Wendel. Und nicht nur in Wolfratshausen laufen Debatten darüber, ob diese zwei Namen weiterhin auf Briefköpfen auftauchen sollten. In München tagte ein geheimes Expertengremium – so geheim, dass nicht einmal der Wolfratshauser Stadtarchivar Simon Kalleder eine Silbe zur Erklärung erhielt – und in Würzburg wurden Fakten geschaffen. Der frühere Faulhaber-Platz heißt jetzt Theaterplatz. „Das war eher eine politische Entscheidung“, erklärte Diplom-Historiker Kalleder in der Stadtratssitzung. Eigentlich sollte der Stadtarchivar einen Überblick geben, was in München entschieden wurde. Konnte er nicht. „Es ist unerfreulich, wie das gelaufen ist.“ Er selbst bekam keine Infos, wer wie warum entschieden in der Landeshauptstadt hatte. Es sei um eine unklare Haltung Faulhabers zum NS-Regime gegangen. Es gibt Tagebücher des einstigen Erzbischofs, Experten arbeiten die 15 000 Einträge durch. Einige Fachleute hätten sich gegen eine Umbenennung ausgesprochen. Faulhaber sei eine „ambivalente“ Persönlichkeit gewesen.
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Wie geht es weiter in Waldram? Das war eigentlich kein Punkt auf der Tagesordnung. Diskutiert wurde trotzdem. Manfred Menke (SPD) warb etwa dafür, Geschichtsbewusstsein zu schärfen, statt über das Thema hinwegzugehen. Er empfahl QR-Codes an den Straßenschildern – mit Direktlinks zu einordnenden Texten über die dort genannten Persönlichkeiten. Dr. Ulrike Kirschke (Bürgervereinigung) wies darauf hin, dass es bei der Frage nicht nur um die Haltung zum Dritten Reich ging. Faulhaber und Wendel stehen beide auch wegen ihres Umgangs mit Missbrauchstätern in der katholischen Kirche in der Kritik. Sie sollen Priester, die übergriffig geworden sind, wieder eingesetzt haben. Das ist das Ergebnis des Münchner Missbrauchsgutachtens, das 2022 veröffentlicht wurde. Dritte Bürgermeisterin Annette Heinloth (Grüne) fand es „alarmierend“, dass Personen auf Straßennamen geehrt werden, die nicht auf sexualisierte Gewalt reagierten, obwohl sie zuständig gewesen sind. Krischke sieht das genauso: Die Straßenkarte einer Stadt sei „wie eine Ruhmeshalle“. Wessen Name dort auftaucht, werde öffentlich geehrt. Man müsse genau hinsehen und prüfen.
Dr. Manfred Fleischer (Liste Wor) vertrat eine ganz andere Meinung. Und er tat das wortgewaltig: „Wir sind nicht die ethischen Zensoren“, meinte der Rat der Wolfratshauser Liste. Er sprach von „Wokeness“, die im Rat herrsche, von den Bürgern aber nicht gewollt werde. „Ich finde das ein Affentheater.“ Fleischer riet zu einem offenen Visier: Wer Straßen umbenennen will, soll einen Antrag stellen. „Dann stimmen wir ab.“ Eine andere Idee des Waldramers: die Anwohner fragen. Dann würde man schnell herausfinden, dass es sich in der Debatte um „Zeitgeist“ handle, der an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehe.
Bürgermeister wird Thema nicht mehr aufmachen
Fleischer bekam Unterstützung von Wolfgang Weichlein (CSU). Der Waldramer Pfarrgemeinderat hatte schon in der ersten Straßennamen-Diskussion im Stadtrat von „Kokolores“ gesprochen, mit solchen Debatten Menschen zu verunglimpfen. Und er fand erneut, dass genug über die Verfehlungen von Kardinälen gesprochen worden sei: „Was passiert ist, ist Geschichte. Wir befinden uns im Hier und Jetzt. Die Betroffenen leben schon gar nicht mehr.“ Und überhaupt fand er die Nachfragen zur Vergangenheit lästig. Laut Weichlein müsse man, wenn man das Verhalten der Kardinäle in der NS-Zeit überprüfe, konsequenterweise alle Menschen, „die Adolf heißen, nach einer NS-Vergangenheit fragen“. Einige im Sitzungssaal raunten – „Unsinn“ fand einer.
Bürgermeister Klaus Heilinglechner beendete daraufhin die Diskussion. Er selbst werde das Thema Straßennamen nicht mehr auf die Tagesordnung des Gremiums setzen. Wenn es den Wunsch nach Veränderung gebe, müsse das beantragt werden.