„Es fehlt an allen Ecken und Kanten“: Debatten über Pflichtjahr beim Bund oder in der Pflege
Egal ob Bundeswehr oder Pflegesektor – an vielen Ecken herrscht Fachkräfte- und Nachwuchsmangel. Gleichzeitig wird wieder über eine Wehrpflicht sowie ein soziales Pflichtjahr debattiert.
Landkreis – Es steht nicht gut um die Bundeswehr. Die deutsche Armee will bekanntlich personell aufstocken, liegt bislang aber noch weit hinter den gesteckten Zielen zurück. Könnte eine Reaktivierung der Wehrpflicht eine Trendwende einläuten?
Verteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete das Aussetzen des verpflichtenden Wehrdienstes im Jahr 2011 rückblickend als „Fehler“, der nicht so ohne Weiteres zu korrigieren sei. Mittlerweile handele es sich bei der Bundeswehr nämlich um eine Berufsarmee, was die Pläne des Verteidigungsministers, der als mögliches Konzept mitunter das schwedische Wehrpflichtmodell ins Spiel gebracht hatte, politischem Gegenwind aussetzt – und das mitunter aus der eigenen Partei.
Debatten über Wehrplficht und soziales Pflichtjahr
„Da sind wir ein bisschen zu weit weg“, sagte Oberstleutnant Chris Goldhahn von der Franz-Josef-Strauß-Kaserne Altenstadt hinsichtlich einer möglichen Reaktivierung der Wehrpflicht. Er könne es in gewisser Hinsicht nachvollziehen, dass sich die Politik mit klaren Aussagen eher zurückhält. Immerhin werde es nicht von allen positiv aufgenommen, „wenn man mit Zwang kommt“, so der Kommandeur. Mit dem Freiwilligendienst sei man bislang aber ganz gut gefahren.
Das Thema sei auch kein hauseigenes Problem der Bundeswehr, sondern es fehle „an allen Ecken und Kanten. Es drückt ja bei jedem der Schuh“, sagte er und verwies beispielsweise auf Hilfsorganisationen und Rettungskräfte. Häufig würde schlichtweg zu einfach gedacht.
„Ich bin aber keiner, der schreit: Ich brauche die Wehrpflicht“
Dass eine neue Wehrpflicht auch an einer zu geringen Zahl an Ausbildern scheitern könnte, glaubt er indes nicht. Sollte irgendwann zu einer Form des verpflichtenden Wehrdienstes zurückgekehrt werden, hält er in Deutschland einen „ganzheitlichen Ansatz“, bei dem sich jeder für das Allgemeinwohl engagiert, für sinnvoll. Bislang sei das natürlich nur ein Gedankenspiel, ergänzte er. Dass sich vor der kommenden Bundestagswahl noch etwas tun wird, bezweifelt Goldhahn. Da gebe es auch einfach „zu viele Stellschrauben“. „Ich bin aber keiner, der schreit: Ich brauche die Wehrpflicht“, stellte er klar.
Doch nicht nur in den Reihen der Bundeswehr mangelt es an Personal. Auch in anderen Bereichen geht die Suche nach Nachwuchs nur schleppend voran. Um junge Menschen für die Arbeit in der Pflege oder bei diversen Hilfsorganisationen zu gewinnen, stehen schon seit einiger Zeit verschiedene Konzepte wie ein „Soziales Pflichtjahr“ zur Debatte, das sowohl Interessen wecken als auch die Solidarität fördern soll und Chris Goldhahns „ganzheitlichem Ansatz“ am nächsten kommt. Immer wieder wird ein derartiges Modell mit dem ehemaligen Zivildienst verglichen. Das Ableisten einer solchen temporären Tätigkeit könnte beispielsweise in Pflegeeinrichtungen, bei der Feuerwehr oder dem Technischen Hilfswerk (THW) erfolgen.
Auf Dienstpflicht wäre man beim THW nicht angewiesen
Letztere betont, dass sich die Zahl der ehrenamtlichen Helfer seit der Aussetzung der Wehrpflicht sogar erhöht habe. Mit 85 000 Ehrenamtlichen verfüge das THW heute sogar über mehr freiwilliges Personal als noch in früheren Zeiten. Auch wenn sie natürlich eine wertvolle Unterstützung wäre – auf eine Dienstpflicht angewiesen ist man beim THW letztlich nicht, heißt es schriftlich.
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Von Seiten der Feuerwehr war bezüglich eines sozialen Pflichtdienstes kein umfangreicheres Statement einzuholen. Wie Kreisbrandrat Rüdiger Sobotta mitteilte, sei das Ganze bei der Feuerwehr „kein Thema, das heiß diskutiert wird“. Immerhin seien die Brandschützer auch nicht ununterbrochen im Einsatz und könnten potenzielle Interessenten dementsprechend nicht rund um die Uhr beschäftigen.
BRK: „Wären froh, wenn wir mehr hätten“
„Wir halten uns aus politischen Debatten raus“, stellte BRK-Kreisgeschäftsführerin Anke Ringel klar. Allerdings „wären wir froh, wenn wir mehr hätten“, ergänzte sie. Es engagierten sich zwar einige Freiwillige beim Kreisverband des Roten Kreuzes, Verstärkung würde aber nicht schaden. Ein soziales Jahr könne für viele junge Menschen eine echte Bereicherung sein und in mancher Hinsicht „die Augen öffnen“, sagte sie. Viele hätten später „einen anderen Blick auf die Welt“.
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Das gelte allerdings meist nur für diejenigen, die die Sache auch motiviert angehen. Wird man gezwungen, „dann bringt das auch nichts“, merkte Ringel an. Auch wenn sie sich etwas mehr Nachwuchs wünschen würde, könne man den Bedarf dennoch ganz gut decken. „Andere tun sich da schwerer.“
Allen möglichen Planspielen zu einem sozialen Pflichtjahr steht auch noch das Grundgesetz im Weg. Das schützt die Bevölkerung nämlich vor einem Arbeitszwang. Eine Verfassungsänderung wäre dafür wohl unumgänglich. Von Florian Zerhoch