Selenskyj äußert sich erstmals zur Kursk-Offensive: „Russland muss spüren, was es angerichtet hat”

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Russland gerät durch den Überraschungsangriff der Ukraine in Kursk unter Zugzwang. Präsident Selenskyj meldete sich nun erstmals seit dem Grenzübertritt zu Wort.

Kiew/Moskau – Seit Dienstag (6. August) rücken ukrainische Streitkräfte in der russischen Grenzregion Kursk immer weiter vor. Internationalen Medienberichten zufolge gelang es der Ukraine, einzelne Dörfer in der Region zu besetzen und russische Soldaten gefangenzunehmen. Wladimir Putin rief den Ausnahmezustand für die Region Kursk aus, auch verstärkte er den Schutz des lokalen Atomkraftwerks. Bis Donnerstagabend äußerte sich Kiew nicht zur Situation. Dann aber meldete sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit einer Videoansprache aus Kiew zur Situation in Kursk.

Selenskyj hoffnungsvoll: „Ukrainer können ihre Ziele erreichen“

„Russland hat den Krieg in unser Land gebracht und muss spüren, was es angerichtet hat“, erklärte der ukrainische Präsident am Donnerstagabend (8. August) in seiner Videobotschaft aus Kiew. Den Vorstoß seiner Truppen über die Grenze hinweg nach Russland und die andauernden Kämpfe in Kursk benannte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache aber bewusst nicht explizit beim Namen. 

Mit dem Vorstoß seiner Truppen in der russischen Grenzregion Kursk gelang Wolodymyr Selenskyj ein Überraschungsangriff. Nun meldete sich der ukrainische Präsident erstmals seit Beginn der Offensive zu Wort.
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine. © picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Der Bezug seiner Aussage zu den Kampfhandlungen in Kursk dürfte jedoch schon alleine durch den Zeitpunkt von Selenskyjs Statement offensichtlich sein. Seiner abendlichen Ansprache fügte der ukrainische Präsident hinzu, dass sein Land so schnell wie möglich einen gerechten Frieden im anhaltenden Ukraine-Krieg erreichen wolle. 

„Ukrainer können ihre Ziele erreichen“, unterstrich Selenskyj in seiner Videobotschaft. Er habe sich vom Oberkommandanten der ukrainischen Streitkräfte, Olexander Syrskyj, über die Lage in Kursk informieren lassen. Details nannte Selenskyj nicht, betonte aber, dass die Ergebnisse so seien, wie sie das Land derzeit brauche. Zuvor hatte Syrskyj in sozialen Netzwerken ein Foto veröffentlicht, das ihn im Aufmarschgebiet zeigen soll – vermutlich in Sumy an der Grenze, von wo aus die ukrainischen Soldaten in die russische Region Kursk vordrangen.

Selenskyj-Berater Podolja: Reaktion der Ukraine ist „absolut ruhig, ausgewogen und objektiv“

Auch Selenskyjs Berater, Mychajlo Podoljak, äußerte sich in einem Beitrag auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) zum ukrainischen Vorstoß in Kursk. Die Reaktion der Ukraine sei „absolut ruhig, ausgewogen und objektiv“, resümierte Podoljak demnach. Sie sei dem „Geist des internationalen Rechts“ verpflichtet und richte sich nach den „Prinzipien der Führung eines Verteidigungskrieges“, betonte Podoljak in seinem X-Beitrag.

Der ukrainische Vorstoß über die russische Grenze hinweg setzt Wladimir Putin unter Druck. Noch ist unklar, ob Kiew mit dem Vorstoß logistisch-strategische Ziele verfolgt, oder ob es Wolodymyr Selenskyj auf das Kursker AKW abgesehen hat.
Ein russischer Soldat der Luftabwehreinheit des zentralen Militärbezirks an der Front in Awdijiwka. (Symbolbild) © IMAGO/Stanislav Krasilnikov

Zuvor hatte etwa die EU erklärt, die Ukraine habe in ihrem Verteidigungskampf gegen den russischen Angriffskrieg das Recht, zu Verteidigungszwecken auch das Staatsgebiet des Aggressors anzugreifen. Während sich auch einige deutsche Politiker in diese Richtung hin äußerten, zeigten sich andere besorgt.

Gefechte auf russischem Gebiet in Kursk gehen weiter – Drohnenangriffe in der Ukraine

In der Nacht auf Freitag kam es Berichten zufolge erneut zu Angriffen auf russischem Gebiet. Neben Kursk waren unter anderem die Grenzregionen Belgorod, Brjansk sowie das Gebiet Lipezk südlich von Moskau betroffen. In der Ukraine gab es ebenfalls zahlreiche Drohnenangriffe.

„Lipezk ist einer massiven Drohnenattacke ausgesetzt“, wurde der Gouverneur des Gebiets, Igor Artamonow, von staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zitiert. „Die Luftabwehr arbeitet dagegen an“, hieß es demnach. Beim Absturz einer Drohne sei eine Elektrizitätsanlage beschädigt worden, infolgedessen sei es zu Stromausfällen gekommen. Zudem sei es fernab ziviler Infrastruktur zu einer „Explosion von Gefahrenstoffen“ gekommen.

Konkretes Ziel der Ukraine in Kursk noch unklar – Expertin hält Offensive für politisch „sehr erfolgreich“

Da sich Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache nicht direkt zur Operation seiner Streitkräfte in Kursk äußerte, muss auch die konkrete Zielsetzung der Ukraine in Kursk vorerst Gegenstand von Mutmaßungen bleiben. Denkbar ist, dass Kiew hiermit das Ziel verfolgt, russische Truppen lokal zu binden – auch, um Truppenverschiebungen Putins zu erschweren und Russland neben logistischen auch vor strategische Herausforderungen zu stellen.

Nahe liegt aber auch, dass Putin den Schutz des örtlichen AKW in Kursk erhöhte, weil er sich um eine baldige potenzielle Übernahme durch ukrainische Truppen sorgt. So hält etwa der russische Militärexperte Jurij Fjodorow es durchaus für möglich, dass das Kursker AKW zum Ziel des ukrainischen Vorstoßes werden könnte: „Wenn die ukrainischen Truppen das AKW Kursk erobern und besetzen können, dann bestünde die Aussicht, das AKW Kursk gegen das AKW Saporischschja einzutauschen“, wie er es gegenüber einem unabhängigen YouTube-Kanal ausdrückte.

Jade McGlynn, eine Ukraine-Expertin und Forschungsstipendiatin am King‘s College London, sagte dem britischen Guardian: „Als militärische Strategie bleibe ich ein wenig ratlos, aber als politische Strategie war sie sehr erfolgreich. Es zeigt einmal mehr, dass Putins ‚rote Linien‘ nur Worte sind und dass Russland nicht so stark ist, wie manche behaupten.“ (fh)

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