Trend zu Atomwaffen: Dreieck aus China, USA und Russland erschwert Kontrolle

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Sipri berichtet von einer Aufrüstung der Atommächte. Arsenale werden modernisiert, internationale Verträge zunehmend geschwächt. Ein neues Wettrüsten?

Stockholm – Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt, die Lage mit China und dem US-Präsidenten Donald Trump: Die Weltlage ist zunehmend angespannt. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri warnt angesichts der Situation vor einem neuen Rüstungswettlauf unter den Atommächten. Der aktuelle Jahresbericht des unabhängigen Instituts deutet auf die möglichen Anfänge: Die weltweiten Atomwaffenarsenale werden weiter aufgerüstet und umfassend modernisiert.

Laut Sipri befinden sich nahezu alle Atomwaffenstaaten im Jahr 2024 in umfangreichen Modernisierungsprogrammen. Bestehende Sprengköpfe werden aufgerüstet und durch neue Modelle ersetzt. Die Forscher sehen ein gefährliches nukleares Wettrüsten heraufziehen – in einer Zeit, in der internationale Rüstungskontrollverträge zunehmend geschwächt sind. Der mögliche Rüstungswettbewerb passiere „in einer komplizierteren Situation als früher“, meinte der scheidende Direktor von Sipri, Dan Smith, gegenüber der ARD.

Atomwaffen-Zahl steigt: Mehr als 12.000 nukleare Sprengköpfe – USA und Russland weiterhin Spitzenreiter

Sipri schätzt den globalen Bestand an Atomsprengköpfen auf 12.241. Davon befinden sich rund 9.614 in militärischen Lagern für den potenziellen Einsatz – ein Anstieg um 29 gegenüber dem Vorjahr. Etwa 3.912 dieser Sprengköpfe sind auf Raketen montiert oder auf aktiven Militärstützpunkten stationiert, rund 2.100 davon befinden sich in hoher Einsatzbereitschaft. Die Zahlen beziehen sich auf den Stand von Januar 2025.

Neun Staaten verfügen über Atomwaffen: USA und Russland – gemeinsam weiterhin mit fast 90 Prozent des weltweiten Arsenals –, außerdem Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel. Letzteres bestreitet offiziell weiterhin den Besitz von Atomwaffen. Deutschland besitzt keine eigenen Atomwaffen, beteiligt sich jedoch an der nuklearen Teilhabe der Nato.

Mögliche Wende bei den Atomwaffen? Ära nach dem Kalten Krieg „geht zu Ende“

Zwar ist die Gesamtzahl der Atomwaffen seit dem Kalten Krieg deutlich gesunken – damals existierten mehr als fünfmal so viele –, doch dieser Trend könnte sich nun umkehren. Während die USA und Russland weiterhin ältere Sprengköpfe abbauen, verlangsamt sich deren Demontage. Gleichzeitig nimmt die Stationierung neuer Waffen zu. Laut Sipri ist bald damit zu rechnen, dass mehr neue Atomwaffen hinzukommen als alte entfernt werden – der globale Bestand könnte somit erstmals seit Jahrzehnten wieder steigen.

„Die Ära der Verringerung der weltweiten Atomwaffenzahl, die seit dem Ende des Kalten Krieges andauerte, geht zu Ende“, warnt Sipri-Experte Hans Kristensen. Stattdessen seien wachsende Arsenale, aggressive nukleare Rhetorik und das Scheitern von Abrüstungsverträgen zu beobachten.

Zunehmende Spannungen im Nahen Osten: Konflikt zwischen Israel und Iran verstärkt Unsicherheit

Die erneute Eskalation zwischen Israel und dem Iran verstärkt laut Sipri die atomare Unsicherheit. In Europa, Ostasien und dem Nahen Osten gebe es neue Debatten über eigene Atomwaffenprogramme. Besonders im Iran beeinflusst der Konflikt mit Israel zunehmend die Diskussion über nukleare Abschreckung. Während die iranische Regierung bei Gesprächen mit den USA Bereitschaft zur atomaren Zurückhaltung signalisiere, wird innenpolitisch offen über die strategischen Vorteile eigener Atomwaffen diskutiert.

Israel hatte kürzlich umfassende Luftangriffe auf iranische Städte und Atomanlagen durchgeführt und dies unter anderem mit angeblichen iranischen Plänen zum Bau einer Atombombe begründet – ein Vorwurf, den Teheran zurückweist. Kurz darauf folgte der Gegenschlag vom Iran, beide Länder greifen sich weiter gegenseitig an.

Eines von fünf hergestellten Gehäusen für die Atombombe «Little Boy», ausgestellt im Imperial War Museum.
Die Atombombe „Little Boy“ wurde am 6. August 1945 als erste im Krieg eingesetzte Atombombe über Hiroshima abgeworfen. © picture alliance/dpa/PA Wire | Yui Mok

Chinas Aufstieg zur Atommacht: Dreiecksbeziehung mit den USA und Russland erschwert Abrüstung

Während die USA und Russland im Mittelpunkt der nuklearen Weltpolitik stehen, tritt laut Sipri auch China zunehmend als bedeutende Atommacht auf. Der Bestand an chinesischen Sprengköpfen wird auf rund 600 geschätzt – mehr als Frankreich und Großbritannien zusammen. Allein seit 2023 soll China rund 100 neue Sprengköpfe pro Jahr hinzugefügt haben. Tendenz: steigend. Smith spekulierte, dass Chinas Atomwaffenarsenal in etwa 20 Jahren die Größenordnung dessen von den USA und Russland erreichen würde.

Laut Smith befände sich China mit den USA und Russland in einer Dreiecksbeziehung. „Das macht es deutlich schwieriger, sich auf Maßnahmen zur Rüstungskontrolle zu einigen“, so Smith. Vor diesem Hintergrund sei es besorgend, dass Anfang 2026 auch der letzte Vertrag über die nukleare Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland ausläuft. Erkennbare Bemühungen zur Verlängerung oder für einen neuen Vertrag gebe es nicht.

Der Vertrag würde sich in eine Liste mehrerer internationaler Abrüstungs- und Kontrollabkommen einreihen, die in den letzten Jahren gescheitert oder außer Kraft gesetzt worden sind. 2019 kündigten die USA den INF-Vertrag über landgestützte atomare Kurz- und Mittelstreckenraketen. Kurz darauf folgte der Ausstieg aus dem Open-Skies-Vertrag. Russland zog nach. 2022 setzte Russland den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) aus und suspendierte zudem den letzten großen Abrüstungsvertrag mit den USA, „New START“. Ein neues Abkommen ist nicht in Sicht – läuft der Vertrag aus, endet er 2026 endgültig.

Konflihtherd Indien und Pakistan – Sipri-Direktor mutmaßt: Wir könnten in einen „Atomkrieg hineinstolpern“

Auch zwischen Indien und Pakistan bleibt die Lage angespannt. Nach jüngsten Spannungen herrscht seit Mai eine Waffenruhe. Laut Sipri bestand die reale Gefahr, dass ein konventioneller Konflikt in eine nukleare Eskalation übergeht. „Dies sollte eine eindringliche Warnung für Staaten sein, die ihre Abhängigkeit von Atomwaffen erhöhen wollen“, sagt Sipri-Experte Matt Korda. Atomwaffen verhinderten keine Konflikte, betont er: Sie garantieren „keine Sicherheit.“

Diese Einschätzung teilt auch Greenpeace. „Die Kombination aus atomarer Aufrüstung und dem Erstarken nationalistischer und populistischer Kräfte in den Atomwaffenstaaten macht Angst“, sagte Greenpeace-Abrüstungsexperte Alexander Lurz. Auch Deutschland sei mit der Anschaffung atomwaffenfähiger F-35-Kampfjets Teil dieser globalen Entwicklung.

Sipri-Direktor Smith sorgte sich auch, dass „es einen Unfall geben könnte“, zum Beispiel durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. „Und dass der in diesem Klima der Feindseligkeit und des Misstrauens fehlinterpretiert wird“. Er mutmaßte: „Vielleicht würden wir dann in einen Atomkrieg hineinstolpern, den niemand bei klarem Verstand jemals wollen würde.“ (lismah/dpa)

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