Das sind die Folgen: 83.000 Ukrainer fallen mit Bürgergeld-Stopp aus GKV

Am Mittwoch hat ein wichtiges Gesetz der von Kanzler Friedrich Merz versprochenen "Migrationswende" die erste große Hürde passiert: Das Kabinett hat beschlossen, dass ukrainische Geflüchtete, die seit April in Deutschland angekommen sind, kein Bürgergeld mehr erhalten. Zuvor war der Tagesordnungspunkt mehrfach verschoben worden.

Dass es nun vorangeht, dürfte dennoch nur wenige freuen. Sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften hatten zuvor Bedenken angemeldet, Arbeitsmarktforscher warnten vor dem Schritt, selbst in der Union gab es Zweifler. Und Arbeitsministerin Bärbel Bas, aus deren Haus das Gesetz stammt, hatte in der vergangenen Woche in einer Regierungsbefragung gesagt: "Mir gefällt es nicht – ich sage das ganz offen."

Im Video: Ukrainer sauer über Bürgergeld-Aus: Einer macht Rückzahlungs-Ansage

Bärbel Bas
Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hat sich bei einer Regierungsbefragung von ihrem eigenen Gesetz zum Bürgergeld-Stopp für Ukrainer distanziert. Bernd von Jutrczenka/dpa

Damit gab Bas in Teilen dem Fragesteller Timon Dzienus recht. Er ist für die Grünen Obmann im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Im Gespräch mit FOCUS online bekräftigt er seine Kritik an den Plänen: "Das ist ein klassisches Lose-Lose-Gesetz, das eigentlich niemand mehr möchte."

Bürgergeld-Stopp für Ukrainer schafft neue Probleme

Das liege auch daran, dass es gleich mehrere neue Probleme aufmache: "Es schafft in den Kommunen Chaos und Bürokratie, es macht Erfolge auf dem Arbeitsmarkt bei den ukrainischen Geflüchteten zunichte, es erschwert durch wegfallende Kurse die Integration, es spart nichts ein und ist damit haushaltspolitisch widersinnig. Und es gefährdet die Gesundheitsversorgung der Geflüchteten", so Dzienus.

Während die meisten Punkte davon schon länger diskutiert werden, spielen die Folgen für die Gesundheitsversorgung der derzeit mehr als 83.000 betroffenen Ukrainer in der politischen Debatte bislang kaum eine Rolle. Womöglich liegt das daran, dass es sich dabei eher um eine Nebenwirkung des Gesetzes handelt. 

83.000 Ukrainer fallen aus gesetzlicher Krankenversicherung 

Bislang werden die Ukrainer durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) versorgt – wie auch deutsche Bürgergeldempfänger. Mit dem sogenannten Rechtskreiswechsel fallen die ab April ankommenden Ukrainer unter das Asylbewerberleistungsgesetz. In dem ist auch die Gesundheitsversorgung der Betroffenen definiert. Die erfolgt nicht über die GKV und ist deutlich sparsamer dosiert. 

Darunter fallen laut Asylbewerberleistungsgesetz:

  • Behandlungen akuter Erkrankungen und Schmerzzustände
  • Schutzimpfungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten
  • Medizinisch gebotene Vorsorgeuntersuchungen
  • ärztliche und pflegerische Hilfe für Schwangere und frische Mütter
  • Versorgung mit Zahnersatz nur bei medizinisch unaufschiebbaren Fällen

"Falscher Weg, die psychologische Versorgung einzuschränken"

Grünen-Politiker Dzienus hält das für zu wenig und begründet das unter anderem mit der besonderen Situation der Ukrainer: "Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen, sind oft in einer psychischen und emotionalen Ausnahmesituation. Es ist daher der falsche Weg, die psychologische Versorgung einzuschränken."

Ähnlich kritisch äußert sich Clara Bünger, innen- und fluchtpolitische Sprecherin der Linken, auf Anfrage von FOCUS online: "Viele der Menschen, die jetzt nach Deutschland kommen, haben den Krieg hautnah miterlebt und sind traumatisiert. Eine umfassende medizinische Versorgung ist für sie unabdingbar. Doch die neuen Regelungen machen dies unmöglich, wie die Erfahrung mit anderen Schutzsuchenden bereits zeigt."

Gibt es langfristig finanzielle Belastung statt Entlastung?

Die Kritiker gehen zudem davon aus, dass es anders als im Gesetzentwurf behauptet, langfristig keine finanzielle Entlastung der Beitrags- und Steuerzahler geben wird. Dzienus erklärt: "Gerade wenn wir davon ausgehen, dass diese Menschen dauerhaft in Deutschland bleiben, wäre Prävention doch wichtig", erklärt er FOCUS online. "Es ist zum Beispiel im Interesse des Gesundheitssystems, eine gute zahnärztliche Versorgung sicherzustellen, damit später die Rechnung nicht noch viel größer wird, wenn aufgrund der mangelnden Vorsorge ein teurer Zahnersatz notwendig wird."

Auch die Caritas, die viele Ukrainer unterstützt, sieht sinkende Kosten nicht als Argument für das Gesetz. Oliver Müller, der für Migration zuständige Vorstand des Verbandes, sagt zu FOCUS online: "Neben einer Verschlechterung der medizinischen Versorgung für die Gruppe geflüchteter Ukrainerinnen und Ukrainer steht dem Rechtskreiswechsel aus Sicht der Caritas kein echter Mehrwert für die deutschen Steuerzahler gegenüber. Geringe Einsparungen dürften durch bürokratischen Mehraufwand weitgehend aufgezehrt werden."

Bas-Ministerium verteidigt die Änderungen

Im Arbeitsministerium steht man vor der Herausforderung, das Gesetz zu verteidigen, obwohl Bas als Chefin des Ressorts nicht zufrieden damit ist. Auf Anfrage von FOCUS online zur Gesundheitsversorgung der Ukrainer teilt ein Sprecher mit, dass "Ansprüche auf die verschiedenen und umfangreichen Präventionsleistungen von Kranken-, Renten- und Unfallversicherung" insbesondere bei der Wahrnehmung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung entstehen würden. Das sei auch bisher schon der Fall. Soll heißen: Entscheidend ist nicht die Gesetzesänderung, sondern ob ein Ukrainer arbeitet oder nicht.

Menschen mit besonderen Bedürfnissen werde auch mit der neuen Regelung die erforderliche Hilfe gewährt. Das Ministerium nennt als Beispiel "unbegleitete Minderjährige oder Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben". Menschen mit normalen Kriegstraumata fallen darunter allerdings nicht.

Das Arbeitsministerium widerspricht zudem der Auffassung, dass mehr Bürokratie entstehen würde. Ukrainer müssten schon heute einen Antrag stellen, wenn sie Zusatzleistungen benötigen, die über die Grundversorgung hinausgehen. "Es ändert sich im Einzelnen nur die zuständige Stelle, an die der Antrag zu richten ist", erklärt ein Sprecher. Künftig lande der Antrag nicht mehr bei der Krankenkasse, sondern bei den zuständigen kommunalen Ämtern.

CDU betont Gleichbehandlung bei Ukrainern und anderen Flüchtlingen

Marc Biadacz, sozialpolitischer Sprecher der Union, erklärt auf Anfrage von FOCUS online, Ukrainer würden auch weiterhin Schutz sowie Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts erhalten. "Sie haben Zugang zum Arbeitsmarkt und einen Anspruch auf Gesundheitsversorgung – so wie andere Geflüchtete auch." Der CDU-Politiker betont vor allem die Vorteile, die da Gesetz seiner Meinung nach bei der Schaffung von Arbeitsanreizen bietet. Fragen zu den konkreten Kritikpunkten bei der Gesundheitsversorgung beantwortet er nicht genauer.