Der europäische Atomeinstieg – Deutschland bleibt außen vor

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Der Atomausstieg steht fest. Zu teuer seien die Kraftwerke, zu unsicher, heißt es in Deutschland. Die anderen europäischen Staaten steigen dagegen erst ein.

Brüssel – Kernenergie soll dauerhafter Bestandteil des europäischen Energiemixes sein. Das jedenfalls war eines der Ziele des Atomgipfels, ausgerichtet erst gestern (21. März) von der internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) und dem belgischen Staat. Während viele europäische Staaten den Ausbau von Kernenergie vorantreiben, zieht Deutschland sich zurück. Zu hoch seien die Kosten, zu unsicher die Technologie. Was steckt dahinter?

Das Aus für deutsche Atomkraftwerke – Schröders „historische Reform“

Werfen wir einen Blick zurück. Während aktuell die Ampel-Koalition oder die Regierung Merkel als Verantwortliche für das Atom-Aus im Rampenlicht stehen, hatte die Gesetzgebung einen wesentlich früheren Ursprung. Im Jahr 1998 betitelte der Spiegel das entsprechende Gesetz, angetrieben vom ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als seine „erste wirklich historische Reform“. Das Ziel war klar: Binnen 20 Jahren sollte sich die Bundesrepublik von der Kernkraft verabschieden. Das „Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität“ trat dann 2002 in Kraft. Schröder ist heute eng mit Wladimir Putin und Rosneft verbandelt, hatte einen Aufsichtsratsposten bei Gazprom in Aussicht.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, in Brüssel.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, in Brüssel. Der Atomausstieg steht fest. Zu teuer seien die Kraftwerke, zu unsicher, heißt es in Deutschland. Die anderen europäischen Staaten steigen dagegen erst ein. © IMAGO / Xinhua

Die Grünen, damals schon in Regierungsverantwortung, treiben heute den Ausbau der erneuerbaren Energien voran, der aktuell enorme Mehrkosten verlangt. Aus der Opposition klangen damals ähnliche Töne wie heute, wie in den Archiven des Bundestags zu lesen ist. „Sie machen Schnellschüsse, ohne sich genau zu überlegen, welche Konsequenzen daraus resultieren“, warf CDU-Energieexperte Dr. Klaus Lippold damals Jürgen Trittin (Grüne) vor, der damals Bundesminister für Energie und Reaktorsicherheit war. Die FDP warf der Regierung Konzeptlosigkeit vor, und dass der Atomausstieg zulasten des Klimaschutzes gehe. Was das heißt, zeigen heute die USA – spätestens seit Obama setzt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf Atomkraft, um den CO₂-Ausstoß zu senken.

Wie teuer ist Atomstrom wirklich?

Neben der Frage nach der Sicherheit war die Kostenfrage stets eine der wichtigsten, wenn es um die Reaktivierung oder den Neubau von Kernreaktoren ging. Gegner der Kernkraft führen Projekte wie das britische Projekt Hinkley Point C ins Feld, dessen Kosten sich am Ende auf 40 Milliarden Euro beliefen – wesentlich mehr als geplant. Dafür waren jedoch individuelle Faktoren verantwortlich, die zum Beispiel beim Bau der deutschen Kraftwerke im vergangenen Jahrtausend nicht zum Tragen kamen. Welche Kosten Atomkraft tatsächlich verursacht – auch langfristig – verrät die Maßeinheit „Levelized Cost of Energy“ (LCOE).

Diese zeigt an, welche Kosten notwendig sind, um eine Energieform in elektrischen Strom umzuwandeln. Investoren und Wissenschaftler nutzen sie dazu, um die Investitionskosten auf die insgesamt produzierten Kilowattstunden umzurechnen. Die IEA liefert hierzu eine ausführliche Tabelle, die unter anderem die Kosten der Anlage, Treibstoffkosten oder die Kosten für Wartung und Reparatur verrechnet. Kurz vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie gehörten zu den zehn Kraftwerkstypen, die auf Jahre gerechnet die niedrigste LCOE aufwiesen, sechs Kernenergieanlagen.

Kostenfaktor Kernkraftwerk – „sehr hohe Anfangsinvestitionen“

Darunter fielen zum Beispiel Kernkraftwerke in Schweden (28,18 US-Dollar Umwandlungskosten pro Megawattstunde), in der Schweiz (29,60 US-Dollar) oder in Frankreich (30,65 US-Dollar). Der LCOE-Report der Investmentbank Lazard von 2023 zeigte, dass Kernenergie eine niedrigere LCOE hatte als auf Dächern angebrachte Solaranlagen und mit Gaskraftwerken gleichauf lag. Lazar nutzt als Grundlage allerdings US-Kraftwerke – die in Europa sind laut der IEA kostengünstiger.

„Kernkraft erfordert unbestritten sehr hohe Anfangsinvestitionen“, zitierte die WirtschaftsWoche Hort-Michael Prasser, einen Professor für Reaktortechnologie an der ETH Zürich. „Aber ein modernes Kernkraftwerk läuft viele Jahrzehnte.“ Langfristig könnten solche Kraftwerke Strom für vier bis fünf Cent pro Kilowattstunde liefern. Bei Kohle- und Gaskraftwerken sei dagegen auf lange Sicht mit höheren Kosten zu rechnen, weil die CO₂-Preise stetig steigen.

Europa belebt die Kernkraft wiederr

Innerhalb der Europäischen Union erlebt die Kernenergie derzeit eine Renaissance. Ursula von der Leyen, einst Teil der Bundesregierung, die den Atomausstieg mit vorangetrieben hatte, rief auf dem Atom-Gipfel der Atomenergie-Agentur Staatschefs und Minister aus 37 Staaten dazu auf, eine mögliche Laufzeitverlängerung ihrer Kraftwerke zu prüfen. Auch ein zusätzlicher Neubau von Kernkraftwerken ist geplant.

Kernenergie ist nun bereits im Net Zero Industry Act (NZIA) verankert. Laut der Tagesschau betreiben zwölf von 27 EU-Ländern Kernkraftwerke. Die Niederlande und Belgien hatten ihre ursprünglichen Ausstiegspläne verschoben oder aufgehoben, Polen will erst einsteigen. Frankreich gilt als nukleares Powerhouse und will sechs weitere Anlagen aufbauen – 65 Prozent ihres Stroms bezieht die Grande Nation bereits aus Kernkraft.

Energiewende in Deutschland braucht mehr Tempo

Und Deutschland? Hier stehen die letzten drei Anlagen seit 2023 still. Der Welt zufolge müsste die Erzeugung von Atomkraft vervielfacht werden, wenn die Industrieländer ihre Klimaziele erreichen will. „Egal, ob Bund, Länder oder Kommunen: Die Energiewende braucht mehr Tempo“, sagte vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt erst kürzlich. Allein die Sicherheitsmaßnahmen zur Stabilisierung des Stromnetzes hätten 2022 rund fünf Milliarden Euro gekostet.

Ob es auch in Deutschland zum Umdenken kommt, wird sich zeigen. Im Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen stand 1998 jedenfalls geschrieben: „Der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie wird innerhalb dieser Legislaturperiode umfassend und unumkehrbar geregelt.“

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