Kempten: Integrationsbeirat fordert Anlaufstelle gegen Diskriminierung
Der Integrationsbeirat macht das erste Mal seit Jahren von seinem Recht Gebrauch, Vorschläge für den Stadtrat zu unterbreiten, und fordert mit einem einstimmig verabschiedeten Beschluss die Schaffung einer Anlaufstelle zum Schutz vor Diskriminierung und zur Förderung der Chancengleichheit.
Kempten – Das Thema steht seit Jahren auf der Agenda und sorgte im Gremium immer wieder für hitzige Diskussionen. Um diese auf eine sachliche Basis zu stellen, führte Abed Alshalaby 2023 eine Befragung durch, die Ergebnisse wurden im Frühjahr 2024 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Studie, die sich in Kempten erstmalig für die Sichtweise der Betroffenen interessierte, kam zu dem Ergebnis, dass „Diskriminierungen in Kempten alltägliche und folgenreiche Erfahrungen darstellen“, wodurch Grundwerte des städtischen Zusammenlebens „täglich infrage gestellt werden“.
Der Antrag beinhaltet auch die wesentlichsten Punkte einer möglichen Stellenbeschreibung. Der Träger soll politisch und weltanschaulich neutral sein und niederschwellig arbeiten. Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt, in der Bildung, in der Arbeitswelt, bei Ämtern und Behörden, im öffentlichen Raum und im Bereich Gesundheit und Pflege sollen im Mittelpunkt der Arbeit stehen. Der Beirat schlägt vor, dass die Stelle sich auf Ausgrenzungen aufgrund rassistischer und ethnischer Zuschreibungen, Religion und Weltanschauung, Behinderung und Geschlecht konzentriert. Zu den Zielen sollten die Sichtbarmachung von Diskriminierung, die Beratung und psychosoziale Unterstützung von Betroffenen gehören. Zu den Aufgaben gehört auch, gegen ausgrenzende institutionelle Praktiken und Strukturen vorzugehen.
Anlaufstelle gegen Diskriminierung: Finanzielle Notlage macht Umsetzung schwierig
Oberbürgermeister Thomas Kiechle bedankte sich für das Engagement des Beirats und der Arbeitsgruppe, die den Vorschlag vorbereitet hatte und bezeichnete das Thema als vielfältig und wichtig. Diskriminierung habe Konsequenzen für das persönliche Sicherheitsgefühl der Menschen. Er versprach, die Erkenntnisse zu reflektieren. Dann fügte er aber hinzu: „Ich muss persönlich deutlich sagen: Ich werde den Antrag nicht unterstützen können.“ Als Begründung nannte er die aktuellen großen Herausforderungen, vor denen die Stadt steht. „Ich bin seit zehn Jahren im Amt. Früher konnten wir solche Anliegen positiv begleiten. Jetzt stehen wir vor einer anderen Situation“, sagte er und schilderte die Folgen der Krisen, in deren Folge die Stadt im Verwaltungshaushalt fünf Millionen Euro im Jahr einsparen müsse. In der Situation sei die Neuschaffung einer Stelle bestenfalls durch die Streichung einer anderen vorstellbar. Er bat um Verständnis und betonte, dass seine Entscheidung nichts mit der Wertschätzung des Beirats zu tun habe.
Fachliche Einschätzung: Professionelle Beratung statt Ehrenamt
Sabine Fixmer vom Stadtjugendring warnte aus fachlicher Sicht davor, die Aufgabe mit einem ehrenamtlichen Netzwerk lösen zu wollen. Die intensive biografische Arbeit würde dieses klar überfordern. Man müsse schauen, wie man es hinbekomme. „Im Ehrenamt sehe ich es nicht.“
Auch Franz Josef Natterer-Babych (ÖDP) betonte die Notwendigkeit einer professionellen Beratung und schlug vor, mit den Netzwerkpartnern des Kommunalen Integrationskonzeptes nach einer Lösung zu suchen und sich dabei auf Einrichtungen wie das Haus International zu fokussieren. Was nach dem Spruch „Das darf man nicht mehr sagen“ komme, seien Beschimpfungen, Beleidigungen und Diskriminierung, so der Stadtrat. Man müsste in das Konzept auch die Schwierigkeiten von Frauen, die nach der Elternzeit in den Beruf zurückkehren wollen, einbeziehen, forderte er.
Anlaufstelle gegen Diskriminierung: Verwaltung mit der Suche nach Lösungen beauftragen
Abed Alshalaby wies auf die Dringlichkeit des Anliegens hin. Das Ziel des Antrags sei, dass dieser bearbeitet werde. Die Verwaltung habe die Ressourcen, nach Lösungswegen zu suchen und beispielsweise zu schauen, wie es andere Städte hinbekommen haben oder ob man auf Bundesmittel zurückgreifen könne. Wie man die Aufgabe löse, sei zweitrangig. Das sei die richtige Haltung zum Thema, meinte Kiechle.
Meine news
Diskriminierung: Gefahr durch Isolation
„Wir diskutieren hier auf einem hohen sprachlichen Niveau“, sagte Sylvia Novak und schilderte die Angst, die Verzweiflung von Betroffenen, die zusätzlich durch sprachliche Barrieren gehemmt werden. Frust führe schnell zur Isolation mit schwerwiegenden Folgen, warnte sie. Eine Einrichtung mit „open doors“ sei notwendig, die die Menschen auf die richtige Fachstelle hinweise und sie bei Bedarf dorthin begleite.
„Wir als Integrationsbeirat dürfen unsere Wünsche äußern“, stellte Integrationsbeauftragte Ilknur Altan (SPD), Vorsitzende des Beirats fest. Sie betonte, dass das Gremium lange an dem Thema gearbeitet habe und jetzt sei es Aufgabe der Verwaltung, sich damit auseinanderzusetzen.
Philipp Wagner, Leiter des Amtes für Integration, erklärte, dass er in der Arbeitsgruppe mitgearbeitet habe. Es sei wichtig, dass die Inhalte des Antrags in die Umsetzung kommen. Bei der Abstimmung gehe es an erster Stelle darum, ob das Gremium diese Inhalte mittrage. Altan ließ über den ursprünglichen Antragstext abstimmen. Alle 19 Stimmberechtigten waren dafür.
In einigen bayerischen Städten wurden in den letzten Jahren Antidiskriminierungsstellen geschaffen. Aber nicht nur Kempten, sondern viele andere bayerische Kommunen stehen noch vor der Herausforderung. Um diese über den aktuellen Stand zu informieren und zu vernetzen, veranstaltet ein breites Bündnis, zu dem auch der Dachverband des Kemptener Integrationsbeirats, Agaby, und der BJR gehören, am 22. November im Historischen Rathaussaal Nürnbergs eine hochkarätig besetzte Konferenz mit dem Titel „Zukunft der Diskriminierungsarbeit in Bayern“.
Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.
Mit dem Kreisbote-Newsletter täglich zum Feierabend oder mit der neuen „Kreisbote“-App immer aktuell über die wichtigsten Geschichten informiert.