Es geht beim Soli um 78 Milliarden: Verfassungsrichter entscheiden am 26. März

Falls Sie nicht zu den oberen zehn Prozent der deutschen Einkommen gehören oder mit Aktien handeln, dann spielt der Solidaritätszuschlag für Sie keine Rolle mehr. Genau dagegen hatten schon 2020 sechs Politiker der FDP vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Sie argumentieren, es sei ungerecht, wenn nur noch Reiche und Kapitalanleger eine Abgabe zahlen müssten. Dies verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. 

Die Richter in Karlsruhe werden am 26. März urteilen, ob sie diese Ansicht teilen oder der Meinung der Bundesregierung folgen, wonach der Soli auch in seiner abgespeckten Form noch immer seinem ursprünglichen Zweck diene. Damit Sie verstehen, worum es in diesem Verfahren überhaupt geht, warum dahinter 78 Milliarden Euro stecken und welche Auswirkungen welches Urteil auf Sie hätte, beantworten wir die wichtigsten Fragen. Denn: So viel Geld kriegen Sie, wenn die Richter den Soli kippen.

Was ist der Solidaritätszuschlag überhaupt?

Der Solidaritätszuschlag ist eine „Ergänzungsabgabe“. Als solche werden juristisch Abgaben bezeichnet, deren Höhe von einer anderen Abgabe abhängt. Neben dem Soli ist derzeit die Kirchensteuer die einzige weitere Abgabe dieser Art. Die Höhe beider wird nach der Höhe der Einkommensteuer berechnet, die Sie bezahlen. Der Soli beträgt aktuell 5,5 Prozent dieser Einkommensteuer, aber nur auf den Teil, der über 19.950 Euro im Jahr liegt. Wer weniger als 19.950 Euro Einkommensteuer im Jahr bezahlt, zahlt ihn nicht. Selbst darüber gibt es eine Gleitzone. Die vollen 5,5 Prozent werden erst ab 33.760 Euro Einkommensteuer fällig. So viel zahlen nur die wenigsten Menschen in Deutschland. 

Um überhaupt Soli zahlen zu müssen, brauchen kinderlose Singles ein jährliches Bruttoeinkommen von rund 90.000 Euro. Für den vollen Soli-Satz sind rund 125.000 Euro notwendig. Diese Einkommen erreichten nach Daten des IW Köln 2022 nur zehn beziehungsweise vier Prozent aller Deutschen.

Soli wird als Ergänzung zur Kapitalertragsteuer und Körperschaftssteuer fällig

In voller Höhe wird der Soli noch als Ergänzung zur Kapitalertragsteuer und zur Körperschaftsteuer fällig. Ersteres betrifft Sie, wenn Sie zum Beispiel mit Zinsen oder aus Aktienverkäufen mehr als 1000 Euro Gewinn pro Jahr (2000 Euro als Paar) machen. Dann zahlen Sie 25 Abgeltungsteuer plus eben die 5,5 Prozent Solidaritätszuschlag auf die Abgeltungsteuer. Zusammen sind das dann 26,375 Prozent.

Unternehmen, die Körperschaftsteuer bezahlen, müssen darauf ebenfalls zusätzlich den Soli entrichten. Bei 15 Prozent Körperschaftsteuer und 5,5 Prozent Soli ergibt das eine Gesamtabgabe von 15,825 Prozent auf den Unternehmensgewinn.

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Bundesverfassungsgericht: Richter in Karlsruhe haben am 26. März über den Solidaritätszuschlag entschieden. Uli Deck/dpa

Warum gibt es den Solidaritätszuschlag?

Der Soli wurde erstmals am 24. Juni 1991 beschlossen. Er sollte als einmalig in diesem Jahr zu entrichtende Sonderabgabe die Kosten decken, die Deutschland durch seine Beteiligung am Zweiten Golfkrieg hatte. Der fand von Januar bis März 1991 statt. Deutschland hatte damals rund 16,9 Milliarden D-Mark an Kosten übernommen. Der Soli sollte einmalig 22 Milliarden D-Mark einbringen. Er wurde von Juli 1991 bis Juni 1992 erhoben und betrug damals noch 7,5 Prozent der Einkommensteuer. Der Überschuss im Vergleich zu den tatsächlichen Kriegskosten sollte der Unterstützung osteuropäischer Länder nach Zusammenbruch der Sowjetunion sowie den gerade wiedervereinigten ostdeutschen Bundesländern dienen. Der Soli war dabei nur Teil eines Bündels an Maßnahmen. Unter anderem wurden auch Steuervergünstigungen abgeschafft und die Mineralölsteuer erhöht.

Nach dieser einjährigen Abgabe wurde der Soli planmäßig wieder abgeschafft – allerdings nur für zwei Jahre. 1993 hatte die Schwarz-Gelbe Koalition den Solidarpakt I beschlossen. Mit ihm wurde festgelegt, dass die ostdeutschen Bundesländer jedes Jahr Milliardensummen für den Wiederaufbau ihrer Wirtschaft bekommen sollten, denn durch den Zusammenbruch der DDR waren auch die dortigen staatseigenen Betriebe zerstört worden und rund 2,5 Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit gerutscht. Von 19995 bis 2004 wurden deswegen 160,7 Milliarden D-Mark über einen Fonds ausgezahlt.

1995 wurde der Solidaritätszuschlag wieder eingeführt

Um eben diesen Fonds zu füttern, beschloss die Bundesregierung 1995, den Solidaritätszuschlag wieder einzuführen. Von 1995 bis 1997 betrug er erneut 7,5 Prozent der Einkommensteuer, ab 1998 wurde er auf die heutigen 5,5 Prozent gesenkt. Außerdem wurden ab 1995 erstmals Freibeträge eingeführt, anfangs nur von 1332 D-Mark Einkommensteuer. Begründet wurde die Abgabe jetzt mit den „finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands“. Wichtig dabei: Solidarpakt und Solidaritätszuschlag sind damit zwar zweck-verwandt, aber voneinander unabhängig. So wurde der Solidarpakt I ab 2005 mit dem Solidarpakt II verlängert, der bis 2019 lief.

Schon 2017 hatten CDU, CSU und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen beschlossen, den Soli für niedrige und mittlere Einkommen zu streichen. Umgesetzt wurde das aber erst ab 2021, indem der Freibetrag von vormals 972 auf 16.956 Euro angehoben wurde. Seitdem wurde dieser Freibetrag jährlich händisch weiter angehoben, es gibt hier aber keinen Automatismus.

Warum gibt es einen Rechtsstreit um den Solidaritätszuschlag?

Der Solidaritätszuschlag beschäftigt die Justiz aktuell nicht zum ersten Mal. Bereits 2008 und 2023 urteilte das Bundesverfassungsgericht über den Soli. Dazwischen haben sich auch verschiedene Finanzgerichte und der Bundesfinanzhof damit beschäftigt. Erster Kläger war 2006 der Bund der Steuerzahler. Der hatte sich zuvor durch sämtliche Instanzen bis nach Karlsruhe geklagt, wo als erstes der Bundesfinanzhof die Klage ablehnte. 

Anschließend legte der Bund der Steuerzahler Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Organisation argumentierte, jede Zahlung des Soli seit 2002 sei verfassungswidrig, weil die Deutsche Einheit zu diesem Zeitpunkt schon zwölf Jahre her sei und eine zweck-erhobene Ergänzungsabgabe nicht über eine so lange Dauer erhoben werden dürfte. Der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) nahm das Verfahren so ernst, dass er Finanzämter anwies, den Soli nur noch vorläufig zu erheben, so dass er bei einem entsprechenden Urteil der Richter hätte zurückgezahlt werden können. Doch das Bundesverfassungsgericht entschied 2008, die Klage gar nicht erst anzunehmen.

2009 wurde der Soli den Verfassungsrichtern zur Prüfung vorgelegt

2009 legte dann das niedersächsische Finanzgericht den Verfassungsrichtern den Soli zur Prüfung vor. Die Richter aus Hannover argumentierten, der Aufbau Ost habe sich deutlich zu einer Daueraufgabe entwickelt und solch eine dürfte nicht durch eine Ergänzungsabgabe finanziert werden. Die Karlsruher Richter widersprachen dem 2010. Das Grundgesetz verpflichte die Bundesregierung nicht, Ergänzungsabgaben zeitlich zu begrenzen. 2014 versuchte es das niedersächsische Finanzgericht erneut. Erst neun Jahre später, 2023, erklärte das Bundesverfassungsgericht diese zweite Anrufung für nichtig. 

Damit war das Argument, der Soli müsse zeitlich begrenzt sein, erledigt. Das ist logisch, denn die zweite Ergänzungsabgabe in Deutschland, die Kirchensteuer, kennt auch keine zeitliche Begrenzung.

Die Klage vor dem Bundesfinanzhof 2023

Mit der Anhebung des Freibetrages 2021 änderte sich denn auch die Stoßrichtung der Kläger. Jetzt ging es – wie in der aktuell zu entscheidenden Klage – darum, ob es den Gleichheitsgrundsatz verletze, wenn nur eine kleine Gruppe der Gesellschaft noch den Soli bezahlen müsse. 

Als erstes klagte sich dagegen ein Ehepaar aus Bayern 2023 bis zum Bundesfinanzhof. Die Klage wurde vom Bund der Steuerzahler unterstützt. Die Kläger argumentierten einerseits, dass mit dem Auslaufen des Solidarpaktes II 2019 auch der Soli hätte abgeschafft werden müssen und zweitens, dass die Beschränkung des Soli auf die obersten zehn Prozent der Einkommen seit 2021 willkürlich sei und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. 

Das oberste deutsche Finanzgericht widersprach dem vor zwei Jahren. Es sieht keinen rechtlichen Zusammenhang zwischen dem Soli und dem Solidarpakt I und II. Es sei „unerheblich, ob die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag zweckgebunden für den ‚Aufbau Ost‘ verwendet wurden“, schrieben die Richter. Der Bund habe Gestaltungsfreiheit, wann er welche Ausgaben tätige. Zudem betonte der Bundesfinanzhof erneut, dass eine Ergänzungsabgabe nicht zeitlich befristet sein müsse. Ob der Soli irgendwann aufgehoben werden müsse, wenn der „Aufbau Ost“ abgeschlossen sei, habe noch kein Gericht entschieden. Da dies aber bisher noch nicht der Fall sei, dürfe der Soli auf jeden Fall weiter erhoben werden – auch ohne Solidarpakt. 

Reiche sollen stärker als Arme besteuert werden

Zudem sei auch die Beschränkung des Soli auf hohe Einkommen zulässig, weil der Staat sogar angehalten sei, Menschen nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit zu besteuern – Reiche also stärker als Arme. „Warum eine entsprechende soziale Staffelung bei der Einkommensteuer verfassungskonform sein soll, beim Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe hingegen nicht, erschließt sich dem Senat nicht“, urteilten die Richter.

Das Urteil des Bundesfinanzhofes ist wichtig, weil die sechs Bundestagsabgeordneten, die dort 2020 gegen die Neuregelung klagten, im Wesentlichen dieselben Argumente anführen: Erstens, dass der Aufbau Ost mittlerweile 35 Jahre nach der Wiedervereinigung keine Sonderabgaben mehr rechtfertige und zweitens, dass die Beschränkung auf die oberen zehn Prozent eine verkappte Reichensteuer darstelle und den Gleichheitsgrundsatz verletze.

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Es ist offen, inwieweit das Bundesverfassungsgericht der Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Jahr 2023 folgt. Uli Deck/dpa

Was könnte das Bundesverfassungsgericht entscheiden?

Wie sich die Karlsruher Richter dazu positionieren, ist offen. Vielleicht gibt es eine leichte Tendenz, der Einschätzung des Bundesfinanzhofes zu folgen, aber garantiert ist das nicht. Das Argument, dass der Aufbau Ost abgeschlossen sei und einen Soli nicht mehr rechtfertige, dürfte wohl abgewiesen werden. Der hohe Freibetrag könnte aber kontrovers diskutiert werden.

Das Gericht hat dabei vier Möglichkeiten. Es kann die Klage entweder komplett abweisen. Dann würde der Soli so bestehen bleiben, wie er ist. Es könnte der Klage komplett rechtgeben. Dann müsste der Soli komplett abgeschafft werden. Oder es gibt der Klage nur in Teilen Recht und weist den Staat zu Veränderungen an. Das könnte etwa beim Soli auf Kapitalerträge und Unternehmensgewinne gelten, weil hier andere Regeln angesetzt werden als bei der Einkommensteuer. Die vierte Möglichkeit wäre, dass der Soli so bestehen bleiben darf, wie er ist, das Gericht aber für künftige Ergänzungsabgaben strengere Regeln ansetzt, also etwa zeitliche Begrenzungen vorschreibt.

Was wären die finanziellen Folgen des Urteils?

Wir gehen hier einmal von den beiden deutlichsten Urteilen aus. Wird der Soli in seiner jetzigen Form bestätigt, ändert sich nichts. Kippt das Gericht die Abgabe aber, entgehen dem Staat hohe Einnahmen. Allein in diesem Jahr werden sie auf 12,25 Milliarden Euro geschätzt, die dem Bundeshaushalt fehlen würden. Sollte des Bundesverfassungsgericht sogar eine Rückzahlung der seit 2020 entrichteten Abgaben anordnen, käme eine einmaliges Loch von 65 Milliarden Euro hinzu. Dieses Geld müsste finanziert werden, der Staat müsste also für dieses Jahr für 78 Milliarden Euro andere Einnahmequellen finden.

Als Bürger würden Sie von einer Abschaffung kaum etwas merken. Singles bekämen erst ab einem Bruttoeinkommen von 100.000 Euro merkliche Rückzahlungen. Diese läge bei 3120 Euro. Paare mit 140.000 Euro Jahreseinkommen bekämen 1192 Euro zurück, Familien mit einem Jahreseinkommen von 200.000 Euro kämen auf 11.200 Euro. Zudem würden auch Unternehmen befreit. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schätzt die Entlastung auf 7 Milliarden Euro pro Jahr.

Was wird die Politik machen?

Weil der Soli umstritten ist, haben sich mehrere Parteien schon damit beschäftigt, ihn komplett, aber nicht ersatzlos, abzuschaffen. Wahrscheinlichstes Szenario wäre etwa ein Vorschlag der SPD, den Soli abzuschaffen und durch einen höheren Spitzensteuersatz zu ersetzen. Stiege dieser um zwei Prozent, wäre das vom Aufkommen her neutral.