Waffenstillstand im Ukraine-Krieg: „Für Putin innenpolitisch schwieriger als für Selenskyj“

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Wann und wie endet der Ukraine-Krieg? Das angegriffene Land sei derzeit „in einer relativ guten Verhandlungsposition“, sagt ein Beobachter aus Kiew.

Der Ukraine-Krieg geht in wenigen Wochen ins vierte Jahr. „Derzeit entwickelt sich die militärische Situation auf den ersten Blick nicht zum Vorteil der Ukraine“, sagt der deutsche Politikwissenschaftler Andreas Umland, der in Kiew lebt und arbeitet. Dennoch hat er die Hoffnung, dass es schon bald zu einem Waffenstillstand kommen kann.

Herr Umland, seit mehreren Monaten kämpfen Soldaten aus Nordkorea im Ukraine-Krieg. Welche Auswirkungen hat das bislang auf den Verlauf des Krieges?

Aktuell machen die nordkoreanischen Soldaten keinen großen Unterschied. Sie sind nicht vorbereitet auf die Situation, in der sie kämpfen müssen: Sie sprechen kein Russisch, und die Russen sprechen kein Koreanisch. Zudem verfügen die Nordkoreaner nicht über das technische Know-how für einen Hightech-Krieg, wie er in der Ukraine geführt wird.

Angeblich sind bereits 3000 nordkoreanische Soldaten verwundet oder getötet worden. Kim Jong-un könnte deshalb schon bald Zehntausende weitere Soldaten nach Russland schicken, heißt aus der Ukraine.

Wenn wirklich so viele nordkoreanische Soldaten in den Krieg geschickt würden, dann wäre das für die Ukraine ein Problem. Aber auch dann gilt: Technisch sind diese Soldaten unterlegen. Umso entscheidender ist es, die Ukraine weiter gut und ausreichend zu bewaffnen und auszurüsten. Bisher konnte die Ukraine mit besserer militärischer Technik, Koordination, Führung und Ausbildung ihre physische Unterlegenheit ausgleichen. Auch ist das viel diskutierte ukrainische Personalproblem an der Front bisher eher eine finanzielle als eine demografische Frage. Wäre die Vorbereitung, Ausrüstung, Bewaffnung, Versorgung und Besoldung der Frontsoldaten besser, würde es deutlich weniger Probleme in dieser Hinsicht geben. Es würden sich wieder mehr Ukrainer freiwillig für den Frontdienst melden beziehungsweise sich nicht einer Einberufung entziehen. Hier muss deutlich mehr Hilfe geleistet werden.

Zur Person

Andreas Umland ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er hat in Cambridge, Oxford, Stanford und Berlin studiert und arbeitet derzeit als Analyst am Swedish Institute of International Affairs. Umland lebt in Kiew.

Andreas Umland
Andreas Umland © Swedish Institute of International Affairs

Ukraine-Krieg: „Russland ist auf dem Vormarsch, wenn auch nur sehr langsam“

Wie beurteilen Sie die Lage der Ukraine derzeit?

Derzeit entwickelt sich die militärische Situation auf den ersten Blick nicht zum Vorteil der Ukraine. Das Land verliert täglich Territorium, Russland hingegen ist auf dem Vormarsch, wenn auch nur sehr langsam. Schaut man sich an, wo die Frontlinie Anfang 2024 und wo sie Ende 2024 verlaufen ist, stellt man fest, dass sich trotz der russischen Geländegewinne im Gesamtmaßstab der Ukraine nicht allzu viel verändert hat.

Was sich geändert hat, ist, dass die Ukraine seit letztem August Teile der Oblast Kursk kontrolliert.

Ja, und ich denke, dass das für die anstehenden Verhandlungen von Bedeutung ist. Die Ukraine hat mit ihren Geländegewinnen in der russischen Oblast Kursk seit August 2024 ein kleines, aber politisch und diplomatisch wichtiges Faustpfand in den Händen.

Wie meinen Sie das?

Militärisch hatte der Vorstoß der Ukraine in der Oblast Kursk natürlich keine große Bedeutung. Er hat lediglich bezüglich des Gefangenenaustauschs mit Russland einige Verbesserungen gebracht, da es der Ukraine gelang, hundert Gefangene zu machen und später gegen eigene Leute auszutauschen. Strategisch sieht es etwas anders aus. Sollte zum Beispiel aus Washington die Forderung an beide Seiten kommen, die jetzige Frontlinie sofort einzufrieren, würde das bedeuten, dass legitimes russisches Staatsgebiet durch die Ukraine besetzt bliebe.

„In der Ukraine hat sich die Stimmung gewandelt, viele Menschen sind kriegsmüde“

Russland dürfte dem kaum zustimmen.

Das mag sein. Es wäre jedoch für Moskau ein Problem, wenn Washington daraufhin seinen Druck mit weiteren Sanktionen gegen Russland und mit Waffenlieferungen an die Ukraine erhöht. Daher ist die Ukraine trotz der ungünstigen Frontlage derzeit in einer relativ guten Verhandlungsposition. Auch sehen wir, dass die EU und etliche europäische Nationalstaaten, wie Norwegen und Großbritannien, ihre Hilfen für die Ukraine fortsetzen beziehungsweise – anders als Deutschland – erhöhen. Und wenn dann noch die USA zumindest ihre bisherigen Hilfen nicht zurückschrauben, dann sieht es für die Ukraine nicht so schlecht aus. Zudem schafft es die Ukraine immer mehr, mit Langstreckendrohnen tief in russisches Gebiet vorzudringen und dort Industrieanlagen, die für die Armee wichtig sind, beziehungsweise militärische Stützpunkte sowie Technik zu beschädigen. Hinzu kommt, dass die ökonomische Situation in Russland – Stichwort: Inflation – zusehends schwieriger wird.

Russland hält weiterhin Teile der Ostukraine besetzt. Wäre die Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt bereit, den Krieg an der Frontlinie einzufrieren?

Ich denke, in der Ukraine hat sich die Stimmung gewandelt, viele Menschen sind kriegsmüde. Immer mehr Ukrainer sind inzwischen bereit, jetzt zu einem Waffenstillstand überzugehen. Zumal, wenn das bedeuten würde, dass die Ukraine legitimes russisches Staatsgebiet in der Oblast Kursk besetzt halten kann. Denn das würde die Perspektive eröffnen, später diese besetzten russischen Territorien auszutauschen gegen ukrainische Gebiete, die bei einem Waffenstillstand zunächst unter der Kontrolle Russlands bleiben würden.

Würde Russland unter solchen Bedingungen einem Waffenstillstand zustimmen?

Aus russischer Sicht wäre das natürlich schwierig. Putin könnte es der eigenen Bevölkerung nur schwer erklären, wenn legitimes russisches Gebiet bei einem Waffenstillstand weiter von der Ukraine kontrolliert würde. Erschwerend kommt hinzu, dass die vier ukrainischen Festlandregionen, die Russland 2022 annektiert hat, seither in der russischen Verfassung als Teil Russlands definiert sind.

„Dann würden die USA Russland für seinen Angriffskrieg belohnen“

Also die Oblaste Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja.

Genau. Aber paradoxerweise steht keine dieser vier Regionen unter vollständiger russischer Kontrolle. In Cherson und Saporischschja kontrolliert Russland nicht einmal die Regionshauptstädte. Das macht es für Putin innenpolitisch schwieriger als für Wolodymyr Selenskyj, sich mit der jetzigen Frontlinie einverstanden zu erklären und einem Waffenstillstand zuzustimmen. Für den Kreml wäre das sowohl im In- als auch Ausland peinlich.

Könnte Donald Trump die Ukraine zwingen, die vier von Russland beanspruchten Regionen vollständig abzutreten, um den Krieg zu beenden?

Ich glaube nicht, dass Trump das fordern würde. Denn es wäre ein klares Zeichen der Schwäche der Vereinigten Staaten, wenn Russland Territorien zugeschlagen bekommt, die es noch gar nicht erobert beziehungsweise seit 2022 wieder verloren hat. Dann würden die USA quasi Russland für seinen Angriffskrieg belohnen und sich Putin unterordnen. Einem Waffenstillstand unter solchen Bedingungen – also mit freiwilligen Gebietsabtretungen der Ukraine – würde wohl auch Kyjiw nicht zustimmen und womöglich in diesem Fall sogar einen Bruch mit Washington riskieren.

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