Sprachforschung im Brucker Land: Wie „Beiddamü“ und „Obaschamba“ Dialektgeschichte erzählen

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„Bleimaschwang“ statt Pleitmannswang und „Beiddamü“ statt Peutenmühle: Der gebürtige Türkenfelder Ewald Brix spricht in das Mikrofon von Florina Kronenbitter die mundartliche Form der Ortsnamen rund um Türkenfeld ein. © mjk

Der Dialekt geht zunehmend verloren. Deswegen erfasst die Kommission für bayerische Landesgeschichte mit dem Verband für Orts- und Flurnamenforschung seit drei Jahren die mundartliche Form aller Ortsnamen in Bayern. Florina Kronenbitter ist derzeit mit ihrem Aufnahmegerät im westlichen Brucker Land unterwegs.

Fürstenfeldbruck – Wenn jemand sagt, dass er aus „Obaschamba“ stammt, weiß man vermutlich schon drei Dörfer weiter nicht mehr, wo das denn sein soll. Für den Großteil der Landkreis-Bürger dürfte auch „Beiddamü“ nicht lokalisierbar sein. Des Rätsels Lösung: Es handelt sich um Oberschweinbach beziehungsweise Peutenmühle, einen zugegebenermaßen sehr kleinen Ortsteil Türkenfelds.

Etwas einfacher verhält es sich mit Kottgeisering, wo gemäß Aussprache des dort geborenen Oskar Ostermeir (87) lediglich das Doppel-t weggelassen und der Ort im Original „Kogeisering“ ausgesprochen wird.

Henaberg

Dass sich die im Dialekt gesprochenen Ortsnamen vielfach deutlich von den verschriftlichten Formen unterscheiden, erklärt der ehemalige Kreisheimatpfleger Toni Drexler folgendermaßen: „Pfarrer oder andere befragte Personen haben dem Kataster-Ersteller den Ortsnamen wohl etwas vernuschelt diktiert – und der hat es im 19. Jahrhundert dann womöglich etwas gespreizt niedergeschrieben“, so der 76-Jährige, der als gebürtiger Hörbacher die Ortsnamen für Althegnenberg („Henaberg“) eingesprochen hatte.

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„Alteingesessene Mundartsprecher zu finden ist gar nicht so einfach“, berichtet Florina Kronenbitter. „Gemäß Vorgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften sollen die Dialektsprecher deutlich über 70 Jahre alt und so etwas wie ,Eingeborene‘ in ihren Dörfern sein.“ Denn gesucht werde die traditionelle Form der Aussprache, die, wenn sie nicht völlig verloren geht, sich aber in der fortschreitenden Zeit zunehmend verändert.

Tschäswäng

„Mit dem inzwischen bei den Jüngeren verbreiteten ,Tschäswäng‘ für Jesenwang oder ,Kodering‘ für Kottgeisering können wir natürlich nichts anfangen“, sagt Florina Kronenbitter, die aus Kottgeisering kommt. Bei der Suche nach sogenannten Gewährspersonen helfen in vielen Fällen die jeweiligen Bürgermeister weiter, die aber wegen des Datenschutzes mit der Weitergabe von Namen und Telefonnummern geeigneter Leute vorsichtig seien.

Beim Besuchstermin in der heimatlichen Küche oder im Wohnzimmer fällt dann meist sehr schnell die Scheu vor dem auf dem Tisch aufgebauten Mikrofon. Dieses ist so sensibel, dass das Ticken der Wanduhr, die Spülmaschine oder das Knistern im Holzofen störende Hintergrundgeräusche sein können. Zuerst werden im Gespräch persönliche Daten und Sprach-Hintergründe erfasst. Danach beginnt die eigentliche „Arbeit“.

Leodegar Rupp (Egenhofen) sucht die Schreibweise der Ortsnamen aus dem 19. Jahrhundert aus dem Rechnungsbuch der Kirche heraus.
Leodegar Rupp (Egenhofen) sucht die Schreibweise der Ortsnamen aus dem 19. Jahrhundert aus dem Rechnungsbuch der Kirche heraus. © mjk

Dialektsprecher und Explorator (so die wissenschaftliche Bezeichnung eines Aufnahmen-Erfassers) beugen sich über eine kleinmaßstäbliche Flurkarte. Um den Wohnort herum nennt der Mundartsprecher die Nachbarorte. „Ganz wichtig ist dabei, ob man dorthin nüber, obe, nauf oder wie auch immer fährt“, berichtet die 19-Jährige. Herzstück des Projekts ist die dialektgetreue Aufnahme der Ortsnamen samt aller Ortsteile.

Das Projekt

Warum gerade jetzt Exploratoren im ganzen Freistaat unterwegs sind, erklärt Johann Wellner, Geschäftsführer für das Projekt „Mundartliche Ortsnamenerfassung“ innerhalb der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: „Jetzt besteht noch die Chance, Sprecher zu finden, die einen kaum beeinflussten Dialekt beherrschen. Mit dem Schwinden der Mundart schwinden ebenso die Dialektformen der Ortsnamen.“ Und weiter: „Deren Erhaltung dient nicht nur einer bloßen Archivierung für die Nachwelt, sondern ist essenziell für eine etymologische Deutung der Ortsnamen und damit auch für die regional- und siedlungsgeschichtliche Forschung.“

Nach vollständiger Erfassung werden die eingesprochenen Mundartformen – voraussichtlich Ende November 2024 – in die Teuthonista-Lautschrift transkribiert, die in der deutschen Dialektologie breite Anwendung findet. „Später können auf einer Kartendarstellung im Internet alle Orte Bayerns – vom Einödhof bis zur Großstadt – angeklickt und die dialektalen Aussprachen angehört werden“, berichtet Wellner.

Alle Sprachaufnahmen in ganzer Länge – die nicht unmittelbar der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen – werden auf Rechnern der Kommission für bayerische Landesgeschichte und des Leibniz-Rechenzentrums langzeitgespeichert. Somit sind die Tondateien in Gesamtlänge auch später für Forschungszwecke verwendbar.

Im Fall von Egenhofen hatte Leodegar Rupp (86) also 23 weitere Orte wie Dirlesried, Holzmühl, Rottenfuß und Weyhern einzusprechen. Beim Ortschronisten Manfred Mahl (74) aus Purk waren es neben Moorenweis weitere 17 Orte oder Weiler, darunter solche wie Burxl, Moarbaur und Franzbaur, die nicht in der offiziellen Ortsliste verzeichnet sind.

Nebenbei wird deutlich, dass die Sprachgrenze zwischen dem Oberbairisch-Münchnerischen und dem Lechrainisch-Schwäbischen durch den westlichen Landkreis führt. Heißen Blumen in Grafrath noch Bleame, sind es in Türkenfeld Bloama.

„Eingeborene“ gesucht

In den Orten Adelshofen, Oberschweinbach und Mammendorf werden noch Mundartsprecher gesucht. Diese sollten deutlich vor dem Jahr 1950 – möglichst im jeweiligen Ort – geboren und durchgängig dort ansässig sein. Für den östlichen Brucker Landkreis, sowie für einige Landkreise in Oberbayern, gibt es noch gar keinen Explorator, also Aufnahmen-Erfasser, geschweige denn Mundartsprecher. Wer Interesse an der Mitwirkung hat, wendet sich an die Kommission für bayerische Landesgeschichte: per E-Mail an die Adresse Mundartformen @kbl.badw.de wenden.

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