„Der Wohnungsmarkt ist so gut wie dicht“: Wohnungsnot im Landkreis weitet sich aus

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Steht den Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite: Sozialpädagogin Barbara Stärz von der Caritas Wohnungslosenhilfe in Bad Tölz. © Franziska Selter

Immer mehr Menschen sind von Wohnungslosigkeit betroffen. Caritas-Beraterin Barbara Stärz erklärt, wie sich der Wohnungsmarkt verändert hat.

Bad Tölz-Wolfratshausen – 26 000 Menschen in Südbayern sind wohnungslos. Sie leben in Hotels, bei Freunden auf dem Sofa oder auf der Straße. Zahlreiche weitere stehen kurz davor, ihre Wohnung zu verlieren. Darauf soll der Tag der Wohnungslosigkeit aufmerksam machen. Hilfe können Betroffene unter anderem bei der Wohnungslosenhilfe der Caritas in Bad Tölz finden. Barbara Stärz, Sozialpädagogin und Wohnungsnotfallberaterin, erklärt, warum das Thema immer mehr Menschen betrifft.

Von Jung bis Alt: Die Betroffenen kommen aus allen Bevölkerungsschichten

Warum droht Menschen der Verlust ihrer Wohnung?

Dafür gibt es viele unterschiedliche Gründe. Der Klassiker ist natürlich die Eigenbedarfskündigung. Aber auch Mietschulden können den Vermieter dazu veranlassen, eine Kündigung auszusprechen. Auf der anderen Seite suchen Menschen von sich aus nach einer neuen Bleibe, weil sie es in der alten Wohnung nicht mehr aushalten. Beispielsweise, weil sie sich von ihrem Partner getrennt haben oder aber derzeit in unzumutbaren Verhältnissen, wie Schimmelbefall, leben. Sie alle haben das Problem, dass sie auf dem Wohnungsmarkt nichts Neues finden.

Wer kommt zu Ihnen in die Beratungsstelle?

So gut wie alle Bevölkerungsgruppen. In den vergangenen Jahren hat aber der Anteil der jungen Erwachsenen zugenommen. Sie kommen meistens aus schwierigen Familienverhältnissen und wurden zu Hause rausgeworfen. Hinzu kommen immer mehr Rentner, die aus Altersarmut ihre Miete nicht mehr zahlen können oder aus anderen Gründen gekündigt werden. Seit 2015 haben wir zusätzlich anerkannte Asylbewerber, die keine eigene Wohnung finden und deshalb weiter in der Asylunterkunft leben. Zu uns in die Beratung kommen aber auch Personen, die schon Jahre lange obdachlos sind.

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Hat sich das Problem ausgeweitet?

Früher war der typische von Wohnungsnot Betroffene männlich, um die 50 und hatte eine Suchterkrankung oder war arbeitslos. Mittlerweile sind viel mehr Personengruppen betroffen, die Situation hat sich dramatisch verschoben. Eigentlich dachte man vor ein paar Jahren noch, dass man das Problem so gut wie überwunden hätte.

Viele Menschen haben kaum eine Chance auf dem Wohnungsmarkt

Tatsächlich?

Als ich im Jahr 2008 hier bei der Wohnungslosenhilfe angefangen habe, war man sich unsicher, ob man eine solche Stelle überhaupt noch braucht. Damals konnte ich verschiedene Vermieter abtelefonieren und meinen Klienten so zu einer neuen Wohnung verhelfen. Das wäre heute undenkbar. Der Wohnungsmarkt ist seit rund zehn Jahren so gut wie dicht.

Wer hat ein hohes Risiko, wohnungslos zu werden?

Personen, die eine chronische Erkrankung haben, arbeitslos sind oder einen engen finanziellen Spielraum zur Verfügung haben, haben es deutlich schwerer auf dem Wohnungsmarkt. Wer Kinder oder Haustiere hat, hat meist ebenso geringere Chancen, eine neue Wohnung zu finden. Im Gegensatz dazu gilt häufig: Je höher das Einkommen und je besser der Gesundheitszustand, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass derjenige obdachlos wird. Inzwischen sind aber auch immer mehr Menschen von Wohnungslosigkeit bedroht, die keine dieser Risikofaktoren aufweisen.

Im schlimmsten Fall wendet sich das persönliche Umfeld ab

Wie läuft eine Beratung bei Ihnen ab?

Zu Beginn verschafft man sich einen Überblick über die Situation. Im Falle einer Kündigung schaut man sich zum Beispiel an, ob die Voraussetzungen dafür überhaupt gegeben sind. Danach kann man sich überlegen, ob es lohnt, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Es gilt immer, individuelle Lösungen zu finden. Wir helfen aber auch akut, indem wir Lebensmittel oder Kleidung ausgeben. Vielen hilft es schon, wenn sie ihre Gedanken ordnen können und sich akzeptiert fühlen. Das ist in ihrem persönlichen Umfeld nicht immer der Fall. 

Inwiefern?

Es kann vorkommen, dass sich Freunde und Familie abwenden. Sie verstehen nicht, warum die Person bei der Wohnungssuche noch keinen Erfolg hatte und geben oft dem Betroffenen die Schuld. Zum Beispiel heißt es dann: „Wenn du dich anstrengen würdest, hättest du schon längst etwas gefunden.“

Wie gehen die Betroffenen mit der Situation um?

Wer das erste Mal damit konfrontiert ist, womöglich bald obdachlos zu sein, für den ist das natürlich sehr belastend. Die Betroffenen können zum Teil nicht mehr essen oder schlafen. Sie sind mit der Situation heillos überfordert. Andere gehen sehr kontrolliert mit ihren Gefühlen um oder bringen erste Lösungsansätze mit, die wir dann gemeinsam in der Beratung besprechen.

Düstere Prognose: Die Wohnungslosigkeit wird weiter zunehmen

Wie wird sich das Problem in Zukunft weiterentwickeln?

Da kann leider keine Entwarnung geben. Im Gegenteil: Die Wohnungslosigkeit wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Ich gehe davon aus, dass auch die Zahl meiner Klienten weiter zunehmen wird. Ohne zusätzlichen Wohnraum geht es schlichtweg nicht. Zu einem menschenwürdigen Leben gehört auch ein menschenwürdiges Wohnen.

(Franziska Selter)

Zahlen und Fakten

Die Beratungsstelle für Wohnungslosenhilfe in Bad Tölz wurde laut Caritas-Jahresbericht 2023 in 278 (2022: 246) Wohnungsnotfällen kontaktiert. Davon waren 125 von Wohnungslosigkeit betroffen und 75 von Wohnungslosigkeit bedroht. Mehr als 70 Prozent der Klienten waren zwischen 21 und 59 Jahre alt, wobei die Altersklasse der 50- bis 59-Jährigen mit 49 Fällen den größten Anteil bildete. 67 Prozent aller Klienten war männlich. Zum Grund des Wohnungsverlustes wurde überwiegend keine Angabe gemacht, bei 45 Personen war die Kündigung durch den Vermieter die Ursache.

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