Grillabend mit fatalem Ausgang: Mädchen wird von Auto 80 Meter weit mitgeschleift – Mann (51) vor Gericht
Der Vorfall sorgte im September 2023 für Entsetzen. An einer Unterkunft am Melkstattweg in Bad Tölz eskalierte ein Streit. Zwei Männer wurden angefahren, ein Mädchen von einem Auto 80 Meter weit mitgeschleift und dabei schwer verletzt. Seit Donnerstag steht der Tatverdächtige vor dem Landgericht München II.
Bad Tölz/München – Mehrmals muss der Angeklagte im Sitzungsaal der Münchner Strafkammer tief durchatmen, bevor der Prozess beginnt. Der 51-Jährige, ein kleiner Mann mit tiefen Augenringen, wirkt bedrückt. Auf den Zuschauerbänken sitzen vier Angehörige, sie haben Tränen in den Augen.
Vorfall an Asylunterkunft in Bad Tölz: Ukrainer steht vor dem Landgericht München
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ukrainer versuchten Totschlag in drei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor. Am 6. September vergangenen Jahres soll es zu der entsetzlichen Tat gekommen sein. Der Angeklagte, der eigentlich in Peißenberg wohnte, besuchte mit seinen beiden Neffen sowie einem Freund eine entfernt bekannte ukrainische Familie, die erst seit Kurzem in der Asylunterkunft am Melkstattweg in Bad Tölz wohnte. Gemeinsam grillten sie. Dabei floss wohl auch jede Menge Alkohol. Gegen 22 Uhr kam es zwischen den beiden Familien zum Streit. Die beiden Neffen sollen zwei Mitglieder der Gastgeberfamilie zu Boden geschlagen haben.
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Gemeinsam mit ihrem Freund sollen sie in den BMW des 51-Jährigen gestiegen sein, der auf dem Grünstreifen neben der Straße abgestellt war. Er wartete dort bereits auf dem Fahrersitz. Um das Quartett an der Flucht zu hindern, soll sich eine 17-Jährige vor das Auto gestellt haben. Der Angeklagte soll daraufhin schwungvoll losgefahren sein. Dabei soll er die beiden zuvor geschlagenen Männer überfahren haben. Sie wurden leicht verletzt. Die junge Frau geriet laut Staatsanwaltschaft beim Anfahren unter das Fahrzeug und wurde rund 80 Meter mitgeschleift. Erst beim Abbiegen wurde sie herausgeschleudert. Sie wurde schwer verletzt. Im Krankenhaus mussten ihr ein Finger vollständig und drei weitere Finger teilamputiert werden. Die Frau sei für ihr Leben gezeichnet, sagte Nebenklägerin Christina Keil. Drei flüchtige Ukrainer wurden später an der Grenze zu Frankreich gefasst. Seitdem sitzt der 51-Jährige in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim.
18-Jährige wird schwer verletzt: Sie ist für ihr Leben gezeichnet
Die inzwischen 18-jährige junge Frau wurde am ersten Prozesstag am Donnerstag per Videoübertragung aus einem Nebenraum zugeschaltet. Sie wollte dem mutmaßlichen Täter nicht gegenüberstehen. Mehrmals schaute sie bei der Vernehmung zu Boden, versteckte ihre verstümmelte Hand in der Jackentasche. „Wir haben zusammen Schaschlik gemacht, alles war gut“, ließ sie über eine Dolmetscherin verlautbaren. „Dann haben die Männer angefangen, uns zu beschimpfen.“ Das ukrainische Wort für „Schlampe“ soll dabei gefallen sein, sagte die junge Frau, die selbst aber nur Ungarisch fließend spricht. Gemeinsam mit weiteren Familienmitgliedern habe sie die Männer aus dem Anwesen hinausdrängen wollen, sagte sie. Das sei später auch gelungen.
Dann hätten die beiden Neffen des 51-Jährigen ihren Bruder sowie ihren Schwager zu Boden geschlagen. „Ich stand unter Schock“, erinnerte sie sich. Der Angeklagte sei „wahnsinnig schnell losgefahren“. Als er sie mit dem Auto mit sich schleifte, „hat sich das angefühlt, als würde ich gebraten“. Das Mädchen erlitt laut Gutachten der Rechtsmedizin Verbrennungen dritten Grades an 20 Prozent der Körperoberfläche. Sie lag einen Monat auf der Intensivstation.
Angeklagter will nicht bemerkt haben, dass er drei Menschen überfahren hat
Verteidigerin Olga Sommer zeigte sich zunächst angriffslustig. So monierte sie etwa, weshalb die junge Frau nur per Videoschalte als Zeugin befragt werden könne, sie aber auch nach dem Unfall noch regelmäßig auf der Social-Media-Plattform Tiktok Videos hochlade.
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Später geriet sie jedoch arg in Bedrängnis. Die Situation sei „warum auch immer eskaliert“, erklärte sie. Ihr Mandat „wollte nur seine Leute in Sicherheit bringen“. Der 51-Jährige behaupte, er habe die junge Frau nicht gesehen, „sonst wäre er nicht losgefahren“. Auch die beiden am Boden liegenden Männer, die er ebenfalls angefahren haben soll, habe er nicht gesehen. Beim Fahren habe er nicht bemerkt, dass er das Mädchen mitschleift, sagte Sommer.
Schlagabtausch zwischen Richter und Verteidigung: „Frau Rechtsanwältin, ich bin doch nicht naiv“
Richter Thomas Bott ließ sich darauf nicht ein. „Frau Rechtsanwältin, das ist doch alles nebulös. Ich bin doch nicht naiv“, entgegnete er erzürnt. „Er redet sich raus.“ Ihr Mandant könne sich alles nicht erklären, antwortete Olga Sommer. „Menschen machen Fehler. Es tut ihm leid, wie das gelaufen ist, und er stellt sich der Verantwortung.“ Bott konterte: „Ich frage mich, wie viel diese Entschuldigung wert ist.“ Schließlich sei der Angeklagte bis zur Grenze nach Frankreich geflohen. „Ich höre hier bislang nicht, dass er Verantwortung übernimmt. Das ist weit weg von einem einsichtigen Geständnis“, so der Richter.
Der 51-Jährige auf der Anklagebank nahm das alles weitgehend regungslos zur Kenntnis. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe. Es sind vier weitere Prozesstage angesetzt.