Zwei Stücke wecken in Kempten Heimatgefühle

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Musik und Kunst erinnern Eugen Hübert am intensivsten an seine zwei früheren Wohnorte Nowosibirsk und Wiehe. © Lajos Fischer

Kempten – Ein Gemälde und ein Musikinstrument erinnern in der Kemptener Wohnung von Eugen Hübert an zwei frühere Wohnorte, die bei ihm Heimatgefühle erwecken: an Nowosibirsk in Russland und an Wiehe in Thüringen.

Die ersten 40 Jahre seines Lebens verbrachte Hübert in der sibirischen Großstadt. Neben dem Sport gehörte Musik zu seinen großen Leidenschaften. Mit sechs Jahren fing er an, Geige zu spielen. Er besuchte die dortige Musikschule und dann das Konservatorium.

Als er sich bei einem Eishockeyspiel sein Handgelenk brach, hörte er mit dem Geigespielen ganz auf. Es mache keinen Sinn weiterzumachen, denn die Feinmotorik in den Fingern werde nie mehr richtig funktionieren, meinte seine Professorin. „Ich habe 20 Jahre lang nicht mehr gespielt“, sagt der 64-Jährige.

Neue Heimat weckt alte Leidenschaft

Im Jahre 2000 kam er mit seiner Familie als Spätaussiedler nach Deutschland. Nach den Zwischenstationen Friedland und Eisenberg landeten sie in der thüringischen Kleinstadt Wiehe. „Dort habe ich vom ersten Tag an das Gefühl gehabt, das ist eine Heimat für mich“, erzählt der studierte Ingenieur-Mechaniker. Bereits in der zweiten Woche hat er dort eine Arbeit gefunden.

Als er in einem Elektrogeschäft beim Einkaufen war, sprach ihn die Besitzerin an, er soll bei der nächsten Probe der „Wieheschen Stadtmusikanten“ vorbeikommen. Dort wurde ihm eine Geige in die Hand gedrückt. Es stellte sich heraus, dass eine Sozialarbeiterin die Information über seine musikalische Vergangenheit weitergegeben hatte. „Ich habe gedacht, ich werde nie wieder spielen, aber ich war erstaunlich schnell wieder bei der Sache“, erinnert sich Hübert.

Eine Geige und ein Gemälde gelangen nach Kempten

Als fünf Jahre später der Umzug nach Kempten bevorstand, nahm er zwei wichtige „Dinge“ mit: Zum einen die Geige, die ihm die Leiterin der Stadtmusikanten, Hannelore Kutscher, zum Abschied geschenkt hat und auf der er heute im Orchesterverein in Kempten spielt. Es war ein Erbstück von ihrem Vater, ein hochwertiges Instrument aus der Werkstatt eines sächsischen Geigenbauers.

Zum anderen das Gemälde von der Nowosibirsker Malerin Marina Saborzeva, einer Bekannten aus der Jugendzeit. Sie besuchte Hübert in Wiehe und malte das dortige Schloss. Das Bild steht symbolisch für die vielen Verwandten, Freunde und Bekannte aus seiner Geburtsstadt, zu denen er bis heute regelmäßig Kontakt hält.

Freundschaften sind Verbindung zu früheren Wohnorten

Diese Menschen waren für ihn auch die Motivation, im letzten Sommer nach Sibirien zu fliegen. Es hat ihn sehr gefreut, als ihn seine ehemaligen Schüler vom Flughafen abgeholt haben. Auch seine Schwester lebt wieder in Nowosibirsk. Sie kehrte aus Deutschland dorthin zurück, als ihre Mutter pflegebedürftig wurde, um sie zu betreuen. Die Mutter ist vor zwei Jahren gestorben, die Schwester will trotzdem weiterhin in Russland bleiben.

Mit dem Schloss in Wiehe verbindet Hübert auch wichtige Erinnerungen: Er hat mit den Stadtmusikanten dort jedes Jahr bei dem Schlossfest gespielt. Auch jetzt fährt er jährlich einmal nach Thüringen, um seine Freunde zu besuchen. Bei diesem Anlass spielt er wieder als Gast im Orchester mit. Ob das auch in Zukunft funktioniert, ist fraglich, weil die Wieheschen Stadtmusikanten, wie viele Vereine zurzeit, mit Nachwuchsproblemen kämpfen.

„Musik hat keine Nationalität“

Warum kam er ins Allgäu, wenn er sich in Thüringen so wohl gefühlt hatte? „Wegen dem Schnee“, lautet die Antwort. „Ich bin im Schneegebiet geboren und mit Schnee aufgewachsen.“ Neben Eishockey war der Langlauf seine zweite große Leidenschaft. „Ohne Schnee kann ich mir mein Leben nicht vorstellen.“ Als er mit seiner Tochter die Langlaufweltmeisterschaften in Oberstdorf besuchte, fragte sie ihn, ob er hier leben möchte. „Ich habe Urlaub genommen, eine Arbeit und eine Wohnung gesucht, und wir zogen ins Allgäu“, erinnert er sich. Musikalischen Anschluss fand er dann im Orchesterverein, auf den er im Internet aufmerksam wurde.

Beethoven, Mozart, Haydn und Bach gehören genauso zu seinen Lieblingskomponisten wie Tschajkowski, Glinka, Rimski-Korsakow oder Rachmaninow. „Die Musik hat keine Nationalität“, sagt er.

Typische Geschichte für russlanddeutsche Familie

„Musik ist ein Teil meines Lebens seit der Kindheit“, berichtet Hübert. Die Oma hat Klavier gespielt, der Vater, ein Wissenschaftler, komponierte sogar.

Die Geschichte der Familie lässt sich vier Jahrhunderte zurückzuverfolgen. Seine Vorfahren waren Deutsche in den Niederlanden, die vor 300 Jahren über Ostpreußen in das Do­nezk-Gebiet kamen. Unter der stalinistischen Terrorherrschaft wurde sein Großvater „als deutscher Spion“ 1938 hingerichtet, seine Großmutter verbrachte elf Jahre in einem Gulag. Hüberts Vater musste ins Altaj-Gebiet umsiedeln. Er kam durch seine Heirat nach Nowosibirsk, wo Eugen Hübert 1959 geboren wurde. „Eine typische Geschichte für russlandsdeutsche Familien“, meint er.

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