73 Straßennamen in Kempten auf dem Prüfstand

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Markus Naumann leitet die Kommission für Erinnerungskultur in Kempten. © privat

Kempten – Die Kommission für Erinnerungskultur in Kempten trifft sich unter dem Vorsitz von Markus Naumann seit dem Sommer 2021 viermal im Jahr. Die Sitzungen sind nicht öffentlich. Über das bisher Erreichte berichtete Kulturamtsleiter Martin Fink das erste Mal öffentlich im Kulturausschuss.

Im ersten Schritt wird der Fokus auf Straßennamen gelegt. In Kempten sind aktuell 87 Straßen nach Personen benannt, die zwischen 1933 und 1945 handlungsfähig waren. In 14 Fällen sieht die Kommission keinen Handlungsbedarf, weil es sich um Menschen im Widerstand, um Opfer oder um Personen im Exil handelt. Als Beispiel nannte Fink die Geschwister Scholl.

Über die verbleibenden 73 wurden und werden Kurzbiografien angefertigt, die alle nach dem gleichen Muster aufgebaut sind. In einigen Fällen entschied sich die Kommission dafür, ausführliche Gutachten in Auftrag zu geben. Das passierte etwa in dem Fall der beiden Oberbürgermeister Otto Merkt und August Fischer (Letzterer war in der NS-Zeit Bürgermeister von Burghausen), aber auch bei einigen umstrittenen Künstlern. Die Ergebnisse über Otto Merkt werden 2024 in Buchform veröffentlicht und im Rahmen eines Bewegten Donnerstags vorgestellt.

Kriterienkatalog für einheitliche Bewertung in Kempten

Um die einzelnen Persönlichkeiten einheitlich bewerten zu können, einigten sich die Kommissionsmitglieder auf einen Kriterienkatalog, der sich stark an den in Augsburg verwendeten Bewertungsgrundlagen orientiert. Als besonders belastet gelten Personen, die als Wegbereiter, Unterstützer und Förderer des Nationalsozialismus beziehungsweise des NS-Unrechtsstaates identifiziert werden können, sowie Menschen, die direkt an Verbrechen nationalsozialistischer Prägung beteiligt waren.

Man schaut darauf, in welchem Grade die untersuchten Personen persönlich, beruflich und wirtschaftlich von der NS-Herrschaft profitiert haben. Kritisch betrachtet man die Menschen, die während der Zeit des Nationalsozialismus ein hohes Amt oder eine führende Position im Staat, in der NSDAP, in der öffentlichen Verwaltung oder innerhalb einer nationalsozialistischen Organisation innehatten, aber auch die, die sich in hohem Maße propagandistisch beziehungsweise ideologisch für das NS-Regime engagiert haben. Die Kommission legt einen großen Wert darauf, ob die Belasteten nach dem Krieg mit der eigenen Schuld selbstkritisch umgegangen sind.

Für das Gremium sei es wichtig, sich auf das konkrete Handeln und Wirken einzelner Personen zu konzentrieren, betonte Fink. Eine NSDAP-Mitgliedschaft allein reiche beispielsweise nicht aus, um als besonders belastet zu gelten. Man wolle den Menschen gerecht werden, „Es gibt kein Schwarz-Weiß.“ Die Biografien seien voller Widersprüche.

30 Kurz-Biografien wurden erstellt

Bei der Beurteilung der untersuchten Biografien arbeitet die Kommission mit drei Kategorien: „unbedenklich“, „mit Kontextualisierungsbedarf“, „Vorschlag zur Umbenennung“. Die Ergebnisse legt man erst am Ende des Prozesses dem Stadtrat vor. Auf die Frage von Silvia Schäfer (CSU) betonte Fink, dass man öfters eine Kontextualisierung vorschlagen werde als eine Umbenennung. Das heißt, der Straßenname bleibt, er wird aber durch Informationen ergänzt.

Nach den allgemeinen Informationen will der Leiter des Kulturamtes in der nächsten Sitzung die bereits angefertigten Biografien vorstellen. Die werden im Anschluss auf der Homepage des Amtes veröffentlicht. Mit der Erstellung von 30 Kurz-Biografien wurden Studenten beauftragt, die Professoren Martina Steber und Markus Naumann begleiteten und korrigierten. Am Ende musste man feststellen, dass diese aufgrund ihrer hohen Komplexität eigentlich von Studenten gar nicht leistbar seien, sagte Fink. Er nutzte die Gelegenheit, an Professor Steber einen besonderen Dank auszusprechen, sie ist die treibende Kraft bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Die noch ausstehenden Biografien werden 2024 abgeschlossen.

Causa Knussert neu diskutieren?

In der Diskussion wollte Sibylle Knott (CSU-Fraktion) wissen, ob man den Fall Richard Knussert in die Arbeit einbezogen hätte. Der Stadtrat habe damals aufgrund einer „politischen Motivation“ eine „Bauch­entscheidung“ getroffen. Annette Felberbaum (FW) entgegnete, dass die Grundlage der Entscheidung ein wissenschaftliches Gutachten war. Die Entscheidung sei richtig gewesen.

Bürgermeisterin Erna-Kathrein Groll (Grüne) schlug vor, Knussert in den aktuellen Prozess einzubeziehen, damit „kein Anschein der Bedenklichkeit“ entstehen könne. Michael Hofer (UB/ödp)wies darauf hin, dass der Stadtrat über die Umbenennung der Knussert-Straße bereits eine klare Entscheidung getroffen hat. „Er wäre auch nach den jetzigen Kriterien dran gewesen.“

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