„Finden die meisten ziemlich eklig“: Sie tauchen, wo niemand hinwill - Fachleute im Klärwerk-Turm

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Und runter in den Faulturm: Ein Industrietaucher wird im Weidacher Klärwerk in einen der beiden Türme abgeseilt. Zwischen Fäkalien und Schlamm macht er sauber. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Die Faultürme im Klärwerk müssen gereinigt werden. In den Fäkalien und dem Schlamm tauchen dafür Experten. Wir haben die Industrietaucher besucht.

Unter 15 Metern Schlamm ist es dunkel und warm. Für gut 90 Minuten versucht der Fachmann sich dort unten zurecht zu finden, zwischen Fäkalien, Klärschlamm und anderen unappetitlichen Bestandteilen. „Wenn er die Augen aufmacht, ist es, als würde er direkt gegen eine schwarze Wand gucken“, sagt Willy Kraus. Der Industrietaucher war selbst schon im Faulturm des Klärwerks am Isarspitz. Er weiß, wovon er spricht. Weit unter ihm, unter Tonnen menschlicher Ausscheidungen, bahnt sich gerade ein Kollege blind den Weg durch den Faulturm. Er ist auf der Suche nach gefährlichen Kristallen aus Phosphat und Stickstoff und er macht sauber zwischen Fäkalien und Schlamm.

Sie tauchen dort, wo wirklich niemand hinwill: Im Klärwerk-Turm sind Fachmänner am Werk

Alle paar Jahre müssen die Faultürme gereinigt werden – und das heißt im Falle eines Bauwerks, in dem Fäkalien und andere Abwasser-Bestandteile faulen: Sie müssen von festen Bestandteilen befreit werden, sogenannte MAP-Kristalle müssen entfernt oder zersplittert werden, dazu werden Textilfasern abgesaugt, die sich zu Pfropfen formen. Es gibt zwei Möglichkeiten, das zu tun: Entweder wird der Turm komplett abgelassen und gereinigt – was Wochen dauert und viel Geld kostet – oder Industrietaucher steigen in den bräunlich-schwarzen See. Klärwerksleiter Lorenz Demmel ist froh, dass es die Taucher gibt. „Ich würde das für kein Geld der Welt machen.“

Faulturm-Taucher Wolfratshausen
Die Vorbereitung auf den Tauchgang ist Teamarbeit. Bevor Sascha Gothe absteigt, wird er von Azubi Henning Menke und Jürgen Mahncke vorbereitet. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Tauchen im Faulturm - Industrietaucher im Klärwerk

Willy Kraus kennt diese Reaktion. „Die meisten sehen das so“, sagt der Hamburger. Neben ihm steht Azubi Henning Menke. Wenn er erzählt, dass er als Industrietaucher auch mal in Faultürme hinabsteigen muss, „dann finden das die meisten Leute ziemlich eklig. Das ist die häufigste Reaktion.“ Menke hat sich bewusst für die Ausbildung entschieden. „Ich wollte etwas außergewöhnliches machen – und etwas, wofür man besondere Fähigkeiten braucht.“ Und die sind im Klärschlamm nötig. Unbedingt sogar.

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Körperlich ist der Job nämlich brutal anstrengend. „Der Kollege schwimmt da unten nicht wie in Wasser. Der kämpft sich durch tonnenschweren Wackelpudding“, sagt Kraus. Der Druck, der auf ihn wirkt, ist enorm. Deshalb bleibt er auch nie lange unter Wasser. Etwa 90 Minuten dauert sein Arbeitseinsatz. Dann beginnt das Auftauchen – und das dauert lange. Etwa 50 Minuten rechnet Kollege Kraus ihm ein. Dekompression nennt sich der schrittweise Vorgang, auf verschiedenen Zwischenstufen muss der Taucher beim Auftauchen warten, damit er sich wieder an den normalen Druck gewöhnt. „Wenn wir da nicht genau aufpassen, kann er die Taucherkrankheit kriegen.“ So nennen die Experten Verletzungen oder körperliche Störungen, die dadurch entstehen, dass sie zu schnell wieder auftauchen.

Tauchen im Faulturm: Experten leisten Schwestarbeit

Die Kollegen halten während jedes Tauchgangs Kontakt. Im Helm ist ein Funkgerät verbaut. Ansonsten sieht die schwarze Ausrüstung ein wenig aus der Zeit gefallen aus. Auf dem Rücken trägt der Taucher eine Sauerstoff-Flasche. Die kommt nur im Notfall zum Einsatz: Frische Luftzufuhr erhält er durch einen Schlauch. Damit ist auch ein Kommunikationskabel verbunden. Einen dritten Schlauch hält der Taucher in der Hand: Kaltes Wasser läuft dort heraus.

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„Damit kann sich der Kollege abkühlen“, erklärt Jungtaucher Menke. Denn dort unten, unter all dem Schlamm, ist es drückend warm. Im Durchschnitt hat der Faulturm eine Temperatur von 37 Grad, erklärt Klärwerks-Chef Lorenz Demmel, am Einstieg ist es etwas wärmer, unten kälter. „Die Temperatur ist anstrengend, aber wenn man Sauna-Gänge mag, ist es eigentlich ganz angenehm. Ich mag‘s so warm“, erklärt Willy Kraus. 67 Kilogramm wiegt die Ausrüstung, die der Taucher anzieht, bevor er ins Loch steigt.

Sie tauchen nach Kristallen im Schlamm: Faulturm-Taucher im Klärwerk

Der Taucher hat einen Sauger dabei, um kleine Stücke, Verkrustungen und Hartstoffe zu entfernen. Sind große MAP-Kristalle dabei, nutzt er einen Eimer, der von den Kollegen hochgezogen wird. MAP, das steht für Magnesium-Ammonium-Phosphat und bezeichnet Ablagerungen, die den Faulturm verstopfen. „Das passiert immer öfter“, sagt Demmel. Vor nicht allzu langer Zeit kamen die Faulturm-Taucher noch routinemäßig alle fünf Jahre vorbei am Klärwerk am Isarspitz. In diesem Jahr sind sie schon zum zweiten Mal in Weidach.

Teamarbeit ist das A und O: „Waren schon in Griechenland beim Tauchen“

Die Kristalle werden zum Problem. Sie entstehen, wenn sich der ph-Wert im Schlamm gravierend verändert, sagt der Klärwerksleiter im Gespräch mit unserer Zeitung. Er zeigt ein gesäubertes Originalstück aus dem Faulturm. Das ist etwa so groß wie eine Zeitung und so dick wie ein Leitz-Ordner. Eigentlich sind die Kristallisationen ganz hübsch, wenn sie sauber sind. Vor allem sind sie aber teuer und lästig – denn in den Faultürmen sammeln sich die MAP-Stücke am Boden und an den Wänden, bilden undurchdringliche Schichten. Die müssen zerschlagen und mühselig aus dem Schlamm getaucht werden. Das Hamburger Unternehmen macht das in Teamarbeit. Sie kennen das gut. Sie waren ja auch schon oft zusammen unterwegs. „Wir waren schon in Griechenland beim Tauchen“, sagt Willy Krause. Er spricht aber nicht vom Mittelmeer.

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