Als die Milch nach Denklingen schwebte: Erinnerung an Seilschwebebahn von 1914
Kleine Weiler wie Menhofen werden oft wegen ihrer Idylle geschätzt, abseits der Dörfer und Städte. Aber vor 110 Jahren gab es dort eine echte Attraktion: eine Milchschwebebahn.
Denklingen – Heutzutage wissen nur noch wenige von der Seilschwebebahn, die vor 110 Jahren Milch von Menhofen nach Denklingen transportierte und von den Einheimischen deshalb Milchschwebebahn genannt wurde. Einer, der darüber noch gut Bescheid weiß, ist Johann Waibl aus Denklingen. In seinem Familienarchiv befinden sich private Aufzeichnungen und Unterlagen über das damalige Projekt.
Sein Großvater, Josef Anton Waibl, wohnte in Menhofen, im Anwesen Hausnummer 3, und war dort Ortsvorsteher. Auf dem Grundstück des Waibl-Anwesens wurden damals das Motorhaus und die Maschinenhalle, der Ausgangs- und Rückkehrpunkt der Drahtseilbahn, von den Einwohnern auch „Bahnhof“ genannt, gebaut. Ziel war das Denklinger Molkereigebäude, denn dorthin wurde täglich die Milch geliefert.
Eine ehemalige Zeitzeugin berichtete, dass sie als Jugendliche oft die bis zu 40 Liter fassenden Milchkübel ihrer Familie mit dem Trageriemen zwei Kilometer nach Denklingen schleppen musste. Die Kinder und Jugendlichen der benachbarten Anwesen hatten die gleiche Aufgabe. Um diese mühselige Arbeit und auch den Transportweg, vor allem in den damals noch schneereicheren Wintern, zu vereinfachen, wurde im Frühjahr 1914 ein lange gehegter Plan angegangen: die Errichtung einer Drahtseilbahn. Zumal war der Plan, Denklingen und den Weiler Menhofen an das Stromnetz der Lech-Elektrizitätswerke in Augsburg anzuschließen.
Für Milchschwebebahn nach Denklingen: Ganzer Wald geschlagen
Die 1200 Meter lange Drahtseilbahn führte vom Waibl-Anwesen in Ost-West-Richtung über das Tal hinauf zur Wegkreuzung am Denklinger Vorderberg, auf Höhe des heutigen Heiß-Anwesens. Von dort verlief sie schräg über die freien Pläne des „Heiler Berges“, wie der Vorderberg von den Einheimischen heute noch genannt wird.
Auf der Anhöhe, oberhalb des früheren Areals der Schreinerei Heiler, senkte sie sich, über die damals noch spärlicheren Anwesen der Berg-, Lorenz-Paul- und Hauptstraße, den Hang hinunter bis hinter den Kamin des Molkereigebäudes im Ortszentrum.
Um das benötigte Geld und Bauholz zur Verfügung zu haben, wurde der komplette Menhofener Genossenschaftswald geschlagen. Dieser wurde erst im Jahre 1925 wieder aufgeforstet, wie aus den Aufzeichnungen zu entnehmen ist. Für die vierzehn bis zu 30 Meter hohen Masten mussten die Menhofener aber die benötigten Baumstämme vom Forstamt kaufen und im Staatswald schlagen lassen.
Der Denklinger Rotwald und der Sachsenrieder Forst sind bekannt für ihren ertragreichen Baumbestand. Mit zum Teil über 50 Metern Höhe stehen heute auf einer zehn Hektar großen Fläche im Schutzgebiet „Stockergässele“ die größten und ältesten Fichten Bayerns.
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Im Frühsommer war es dann soweit. Bevor die ersten Milchkannen nach Denklingen „geschickt“ wurden, war ein „Menhofer Fest“ angesagt, bei dem die Anlage vom damaligen Benefiziaten Ludwig Weinmüller den kirchlichen Segen erhielt. Doch im Laufe der Zeit war das Glück den Menhofenern nicht mehr hold.
Immer wieder tauchten Probleme auf. Ursache waren zeitgeschichtliche und witterungsbedingte Ereignisse sowie eigene Fehler: Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 1. August 1914 war der vorgesehene Stromanschluss vorerst auf Eis gelegt. Ein Benzinmotor, der die Zeit bis zur Elektrifizierung überbrücken sollte, war somit weiterhin notwendig und habe so viel Benzin verbraucht, dass von dem Milchverkauf nicht mehr viel übrigblieb, wie Waibl von den Erzählungen seines Vaters weiß.

Außerdem hatte sich, wohl im Übereifer, eine Unachtsamkeit eingeschlichen: Teile des geschlagenen Holzes wurden noch „grün“ verwendet. Unter Grünholz versteht man in der Holzverarbeitung ein noch im Saft stehendes Holz, das gerade gefällt oder am Trocknen gehindert wurde. Als Folge seien deshalb einige Masten abgefault.
Zwei kurz aufeinanderfolgende Wetterereignisse bedeuteten das „Aus“ der Bahn. Im Jahre 1918 hat ein starker Sturm Teile der Seilbahn umgerissen. Die Schäden seien gemeinschaftlich behoben worden, auch im Hinblick darauf, dass endlich die Stromversorgung des Weilers anstand.
Bei einem weiteren schweren Unwetter im Spätwinter 1919/1920, das über Nacht gekommen war und im Denklinger Rotwald 38 000 Kubikmeter Stammholz umwarf bzw. entwurzelt hat, ist die Seilbahn vollkommen zerstört worden. Bei den enttäuschten und mittlerweile gefrusteten Menhofenern führte das zu dem Entschluss, das Projekt endgültig ad acta zu legen.
Projekt frustriert ad acta gelegt
Das Inventar der Drahtseilbahn sei anschließend versteigert worden, heißt es. Das Fundament vor der Maschinenhalle wurde später mit Birken umpflanzt und zu einem Tanzboden umfunktioniert, wo man an lauschigen Sommerabenden oft beisammensaß und mit der Ziehharmonika aufspielte.
In zahlreichen Anekdoten und Erzählungen über die „Holzkiste mit Rollen“, als einmal eine Kanne beim Transport herausgefallen sei und bei der Gärtnerei Müller das Hausdach durchschlagen habe, oder vom strengen Käsereimeister Johannes Link, dem späteren Mitbegründer des Ersten Bayerischen Butterwerkes in Schongau, der sich nicht gescheut hätte, die vollen Milchkannen postwendend wieder per Bahn zurückzuschicken, wenn sie zu spät angekommen wären, hatte sie ihren Fortbestand.
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Eine historische Aufnahme von der Seilbahn liegt bisher leider nicht vor. Einen optischen Eindruck vermittelt aber das Foto der insgesamt 1700 Meter langen Milchschwebebahn von Ebratshofen nach Pferrenberg im Westallgäu aus dem Jahre 1928.
Eine ausführliche Schilderung über die Menhofener und ihr Projekt sowie weitere historische Beiträge finden sich in den diesjährigen Landsberger Geschichtsblättern, die vor Kurzem erschienen und beim Historischen Verein Landsberg am Lech sowie im Landsberger Buchhandel erhältlich sind. Von Paul Jörg