Tölzer Weltreisende für den Turnsport: Unvergessliche Erlebnisse in Afrika und bei Olympia
Die Tölzer Kerstin Schilpp und Uwe Reichert sind Kampfrichter. Früher waren beide erfolgreiche Turner. Der Sport hat sie seither nie losgelassen.
Bad Tölz – Wer behauptet, Kerstin Schilpp und Uwe Reichert seien begeisterte Kampfrichter, der untertreibt. Für die Tölzer ist das Kampfrichtersein eine Lebensaufgabe. Sie haben alle Kontinente bereist, um – ehrenamtlich – die Leistungen der Athleten im Turnsport zu beurteilen. Sie waren 2019 gemeinsam bei den „African Games“ in Marokko und bei der Weltmeisterschaft in Japan. Uwe Reichert erlebte als Kampfrichter die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. „Man trifft überall Leute, die verrückt nach dieser Sportart sind – das ist das Schöne“, sagt Reichert. Schilpp ergänzt: „Man kommt in Ecken, in denen man niemals freiwillig Urlaub machen würde – und wird meist positiv überrascht.“
Die Tölzer waren beide erfolgreiche Turner, aber nicht annähernd so erfolgreich wie die Athleten, deren Leistungen sie nun beurteilen. Schilpp stammt aus Hof in Oberfranken, studierte in München und wohnt seit 18 Jahren in Bad Tölz. Als Turnerin schaffte sie es einst immerhin bis zu den Süddeutschen Meisterschaften.
Böse Zungen behaupten, ich kann gar nichts anderes als Turnen.
Der Sport hat sie seither nie losgelassen. Heute arbeitet sie als Sportdirektorin beim Bayerischen Turnverband: „Böse Zungen behaupten, ich kann gar nichts anderes als Turnen“, merkt die 53-Jährige lächelnd an. Reichert war einst für den TV Hauenstein aktiv, ein Verein in Rheinland-Pfalz. Der Bauingenieur leitete in seiner Heimatgemeinde jahrelang eine Trainingsgruppe und stand drei- bis viermal wöchentlich in der Halle. Er ist froh, dass diese Verpflichtung nun wegfällt, da er – ebenso wie Schilpp – auf einer anderen Ebene für den Turnsport gefordert ist: Beide sind für die Einteilung der Kampfrichter zuständig. „Ich muss jedes Jahr so um die 140 Wettkämpfe besetzen“, sagt Reichert. Im Schnitt sei er rund 200 Stunden ehrenamtlich tätig.
Schilpp muss bei den Frauen deutlich weniger Wettbewerbe besetzen, hat es dafür aber mit viel mehr Kampfrichterinnen vor Ort zu tun. Für ihren Einsatz wurde Schilpp 2021 mit dem Ehrenpreis der Deutschen Turnliga ausgezeichnet, Reichert folgte 2023.
Tätigkeit als Kampfrichter bringt die Tölzer an unvergessliche Orte
Und dann gibt es da ja noch ihre Tätigkeit als Kampfrichter, die sie schon an unvergessliche Orte gebracht hat. Als positive Überraschung entpuppte sich beispielsweise Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans: „Eine total spannende Stadt“, sagt Schilpp. Eindrucksvoll seien auch die „African Games“ in Marokkos Hauptstadt Rabat gewesen: „Im August wäre das niemals mein bevorzugtes Urlaubsziel gewesen. Und dann gab es in den Turnhallen auch keine Klimaanlagen.“ Dafür seien die Athleten mit einer unfassbaren Begeisterung bei der Sache gewesen, sie habe Dankbarkeit und Herzlichkeit erlebt: „Manche Athleten haben zum ersten Mal in ihrem Leben an richtigen Geräten geturnt. Sie hatten teilweise nicht mal einheitliche Trikots – das kann man sich bei uns gar nicht vorstellen.“ Athleten aus Nigeria hätten ihn später bei den Weltmeisterschaften wiedererkannt und überschwänglich begrüßt, sagt Reichert: „Das sind so Kleinigkeiten, die die Sache so schön machen.“
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Ganz anders sei die Weltmeisterschaft in Japan während der Corona-Zeit verlaufen, erinnert sich Reichert: „Da durften wir zwei Wochen lang nicht aus dem Hotelzimmer raus – das war schon heftig.“ Corona hatte auch die Olympischen Spiele in Tokio 2020 überschattet. Gleichwohl überwogen die positiven Eindrücke bei Weitem: „In dem Moment, in dem man die fünf olympischen Ringe sieht, ist alles anders“, sagt Reichert. „Das haben auch meine Kollegen gesagt.“ Die Anspannung der Athleten sei noch größer: „Olympia hat einfach einen ganz anderen Stellenwert als Weltmeisterschaften und Europameisterschaften. Es war ein sehr beeindruckendes Erlebnis, wie die Athleten ohne Motivation von außen performt haben. Olympiasieger ist Olympiasieger – auch ohne Zuschauer.“
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Bisweilen geht es am Kampfrichter-Tisch auch recht emotional zu
Dagegen habe die Weltmeisterschaft 2019 in Stuttgart von den Emotionen der Zuschauer gelebt. Parallel fand damals auch noch das Volksfest Cannstatter Wasen statt, was „den Heimweg einiger Kampfrichter verlängert“ habe, wie sich Reichert schmunzelnd erinnert.
Bisweilen gehe es am Kampfrichter-Tisch auch recht emotional zu, sagt er. Gerade während Bundesliga-Wettkämpfen oder bei Deutschen Meisterschaften: „Jeder hat mehr Ahnung als der Schiedsrichter – das ist beim Turnen nicht anders als im Fußball.“ In solchen Fällen suche er den Austausch mit Trainern und Athleten: „Wenn man es sich dann in Ruhe anschaut, ist der eine oder andere sogar in der Lage zu sagen: Hab’ ich nicht so gemeint.“

Absprachen unter den Kampfrichtern wie früher seien längst nicht mehr möglich, betont Schilpp. Zum einen gebe es Trennwände, und zum anderen sei alles „sehr technisch“ geworden, alle Entscheidungen würden kontrolliert und ausgewertet: „Es gibt eine gewisse Range. Wenn der Kampfrichter nicht drin ist, kriegt er so eine Art Gelbe oder Rote Karte.“ Schilpp betont: „Wer sagt, dass die Ergebnisse vorher ausgemacht werden, hat keine Ahnung.“
Das Leuchten in den Augen der Kinder fasziniert die Kampfrichter
Wer Reichtümer verdienen will, sollte übrigens besser eine andere Karriere einschlagen. Als Entschädigung für seine zweiwöchige Tätigkeit bei der Weltmeisterschaft bekam Reichert ein Honorar von 15 Euro: „7,50 Euro, damit wir uns am Anreisetag am Flughafen was kaufen können, und 7,50 Euro für den Abreisetag.“ Wobei Kost, Logis und Anreise gratis sind. Reichert: „Das ist pures Hobby, Idealismus, Spaß an der Freude. Und man trifft bei den Wettkämpfen Menschen, die ähnlich unterwegs sind.“
Das Frühjahr verläuft für Schilpp und Reichert ruhig, da bis Olympia keine Bundesliga-Wettkämpfe mehr stattfinden. Für Schlipp geht’s zu einem Vorbereitungswettkampf auf die Olympischen Spiele nach Paris, während Reichert nach Doha, der Hauptstadt von Katar, fliegt.
Fast noch wichtiger als die Kampfrichter bei großen Wettkämpfen seien die Kampfrichter bei den unzähligen kleineren Wettbewerben: „Es ist extrem wichtig, dass da objektiv geurteilt wird, damit die Motivation der Kinder erhalten bleibt“, sagt Reichert. „Das Leuchten in ihren Augen ist der Grund, warum man das immer wieder macht.“ (pr)
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