160 Prozent Preisanstieg! Russlands Kartoffel-Krise wird zum Problem für Putin
Die Lage ist so ernst, dass sogar Wladimir Putin höchstpersönlich sich äußerte. Bei einer im russischen Fernsehen übertragenen Sitzung mit Wirtschaftsfunktionären räumte der russische Präsident kürzlich ein: "Ja, wir haben in diesem Jahr zu wenig Kartoffeln."
Ein Satz, der weit über eine banale Erntestatistik hinausgeht – denn in Russland ist die Kartoffel mehr als nur Beilage. Sie gilt als "zweites Brot“, als Symbol für Verlässlichkeit, Selbstversorgung und ein Stück kultureller Identität.
Kartoffel-Krise in Russland: Preise steigen um 160 Prozent
Doch ausgerechnet diese einfache Knolle wird nun zum Politikum: Russland steckt in einer handfesten Kartoffel-Krise. Der Preis stieg laut "Spiegel“ 2025 im Vergleich zum Vorjahr um über 160 Prozent. Der Kilopreis liegt demnach aktuell umgerechnet zwischen 50 und 80 Cent – bei einer russischen Durchschnittsrente von rund 200 Euro ist das viel Geld.
Hinter der drastischen Preisexplosion steht ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Nach einem überdurchschnittlich guten Kartoffeljahr 2023 hatten viele landwirtschaftliche Betriebe ihre Anbauflächen 2024 deutlich reduziert. Der Grund: Die Preise waren zuvor derart gefallen, dass sich der Anbau nicht mehr lohnte. Dann kam der späte Frost im Mai – und traf die verbliebenen Felder hart. Viele Pflanzen erfroren und mussten notdürftig nachgepflanzt werden, oft mit geringem Ertrag.
Das Ergebnis: Die Ernte fiel im Vergleich zum Vorjahr um knapp zwölf Prozent geringer aus. Statt wie üblich rund 17 Millionen Tonnen wurden laut „Frankfurter Rundschau“ nur 15 Millionen geerntet. Zu wenig, um den Bedarf zu decken. Regionalpolitiker sahen sich an manchen Orten bereits gezwungen, harte Maßnahmen zu ergreifen. In der Oblast Leningrad wurde die Ausfuhr von Kartoffeln in Nachbarregionen laut "Spiegel“ beispielsweise verboten, damit sich der Mangel nicht verschärft und die Preise nicht noch weiter steigen.
Kartoffel-Krise hinterlässt patriotische Kränkungen
Im Frühjahr 2025 musste Russland dreimal so viele Kartoffeln importieren wie in den Vorjahren – unter anderem aus Ägypten, China, Pakistan und der Mongolei. Das erzeugte nicht nur höhere Preise, sondern auch patriotische Kränkungen: In Burjatien, einer Region an der Grenze zur Mongolei, äußerte sich der Direktor des staatlichen Landwirtschaftsamtes verärgert auf der Plattform VKontakte.
Er wolle nicht so unangenehme Worte wie "Schande" oder "Zusammenbruch" verwenden, schrieb der Beamte, aber die Kartoffelkrise sei noch erschreckender als die Tatsache, dass sich die Viehzuchtregion nur zu 44 Prozent selbst mit Fleisch versorgen könne. Seit Jahrhunderten würden sie in Burjatien Kartoffeln anbauen, in der Mongolei erst seit den Sechzigerjahren.
Selbst Belarus, traditionell wichtigster Kartoffellieferant für Russland, konnte wegen eigener Missernten keine Hilfe mehr leisten. "Ich habe mit Alexander Lukaschenko gesprochen", erläuterte Putin während seines im Fernsehen ausgestrahlten Statements. "Er sagte, sie hätten bereits alles an Russland verkauft." Aus Mangel an Alternativen hat Lukaschenko bereits das Importverbot für Kartoffeln aus EU-Ländern aufgehoben.
Der Ukraine-Krieg frisst die Kartoffeln
Doch der Mangel ist nicht nur wetterbedingt. Ebenfalls gravierend ist, was in der öffentlichen russischen Berichterstattung bisher weitgehend totgeschwiegen wird: die strukturellen Folgen des Ukraine-Kriegs.
Hunderttausende Männer wurden seit 2022 eingezogen oder meldeten sich freiwillig zum Militärdienst, angelockt vom vergleichsweise hohen Sold. Sie fehlen nun in der Landwirtschaft. "Wenn Arbeiter, Fahrer beispielsweise, beim Militär oder im Rüstungsbereich mehr verdienen können, dann wandern sie ab“, erklärte Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik im "Spiegel“.
Der Krieg verschärft den Arbeitskräftemangel – und steigert gleichzeitig die Produktionskosten. "Die Preise steigen wegen des Kriegs“, sagt auch Alexandra Prokopenko vom Carnegie Russia Eurasia Center. Die Wirtschaft sei zunehmend auf unproduktive Ausgaben umgestellt worden, Löhne müssten steigen, um noch Arbeitskräfte zu finden. Gleichzeitig verschlingt das Militär große Mengen an Lebensmitteln, auch Kartoffeln. Das verschärft die Knappheit.
Kartoffelkrise kommt zu ungünstigem Zeitpunkt für Putin
Laut dem Agrarmagazin "top agrar" hat in den südlichen Regionen Russlands die Ernte von Frühkartoffeln zwar bereits begonnen – bisher kommen die geernteten Knollen allerdings nicht in die Regale der Einzelhandelsketten. Einzelhändler hätten angesichts der Informationen über den Mangel an Kartoffeln in Russland aus der Ernte 2024 schon im vergangenen Jahr erhebliche Mengen Kartoffeln im Ausland bestellt und dafür Anzahlungen geleistet.
Deshalb sei es für diese derzeit unrentabel, den Einkauf einheimischer Kartoffeln zu organisieren, um keine Konkurrenz mit importierten Kartoffeln zu schaffen, die bereits bezahlt sind und sich teilweise in Lagern befinden.
Die russische Regierung tut derzeit alles, um die Bevölkerung zu beruhigen. Landwirtschaftsministerin Oksana Lut versprach, dass sich die Lage mit der neuen Ernte im Sommer entspannen werde. Bis dahin verzichte sie "ganz auf Kartoffeln, damit möglichst viele Knollen auf den Markt kommen".
Für den Kreml kommt die Kartoffelkrise zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Russlands Wirtschaft leidet unter internationalen Sanktionen und internen Problemen. Die Inflation und Produktionskosten steigen weiter an. Hinzu kommt: Die Ölpreise fielen zuletzt im Vergleich zu Jahresbeginn stark. Damit schwinden die finanziellen Mittel für Militär und Wirtschaft.
Was die Kartoffeln angehe, meint Kluge, sei das Ende der Krise tatsächlich in Sicht, wenn die neue Ernte komme. "Aber ich will die Bedeutung dieser Krise auch nicht herunterspielen", so der Experte. Bei einem Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln spürten die Verbraucher den Preisanstieg jeden Tag. Der psychologische Effekt sei wichtig, sagt Kluge, denn die russische Regierung wolle natürlich verhindern, dass die Inflation als hoch wahrgenommen werde.