Unbesetzte Chefposten: Mittelstand droht die stille Massenflucht

Übergabe der Geschäfts an die nächste Generation: Das ist für viele Mittelständler nicht möglich, denn sie finden keine Nachfolger. Getty Images
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Mit 62 Jahren möchte sich Firmenchef Rudolf Kiessling zu Ruhe setzen. Doch er hat ein Problem: Er findet keinen Nachfolger für seinen Heizungs- und Klimatechnikbetrieb, wie er der Nachrichtenagentur Reuters erzählt. Kein Einzelfall: Die Nachfolge-Frage bereitet vielen mittelständische Unternehmen in Deutschland Sorgen.

Rund 231.000 Mittelständler planen laut einer KfW-Umfrage bis Ende des Jahres ihr Geschäft aufzugeben – weil sie keinen Nachfolger finden. Der Hauptgrund für die Nachfolge-Problematik ist der demografische Wandel: Waren noch vor zehn Jahren nur ein Fünftel der Mittelstand-Chefs über 55 Jahre alt, sind es heute mehr als die Hälfte. Zusammen mit dem Mangel an Fachkräften, auch für Führungspositionen, könnten beim Generationenwechsel dann einige Unternehmen leer ausgehen.

Nachfolgeproblem gefährdet Arbeitsplätze und Wirtschaftsleistung

Für die deutsche Wirtschaft könnte das fatal sein. Denn die mittelständischen Unternehmen sind für die Hälfte der Wirtschaftsleistung und für zahlreiche Arbeitsplätze verantwortlich. Wenn Betriebe also schließen müssen, „bedroht [das] nicht nur Arbeitsplätze, sondern schwächt auch die wirtschaftliche Position Deutschlands insgesamt“, warnt Marc S. Tenbieg, Chef des Deutschen Mittelstands-Bunds (DMB), im Gespräch mit Reuters.

Eine weitere Auswirkung der Nachfolge-Krise: Die betroffenen Unternehmen halten sich mit ihren Investitionen zurück. Mit Steuersenkungen, Abschreibungsvorteilen und einem Infrastrukturfonds will die Bundesregierung eigentlich zu mehr Investitionen anregen. Doch solange die Zukunft vieler Betreibe unsicher ist, ziehen diese Anreize nicht. Der Mittelstandverband BVMW kritisiert, dass die Unternehmensnachfolge bei den Fördermaßnahmen der Bundesregierung unerwähnt bleibt.

Junge Arbeitnehmer setzen auf Sicherheit – nicht Selbstständigkeit

Neben der demografischen Entwicklung und dem Fachkräftemangel gibt es auch psychologische Gründe für das Nachfolgeproblem. „Für viele Unternehmer ist ihr Unternehmen wie ein Körperteil – es zu verkaufen kann sich anfühlen, als würde man einen Arm verlieren“, erklärt Experte Holger Wassermann gegenüber Reuters. Das Lebenswerk in neue Hände zu geben, kostet sie emotionale Überwindung. Zeitgleich legen die potenziellen Nachfolger aus der jüngeren Generation häufig mehr Wert auf Sicherheit bei ihrem Job – und sind weniger an der risikoreicheren Selbstständigkeit als Unternehmer interessiert.

Auch in Familienunternehmen ist die Übergabe an die nächste Generation längst keine Selbstverständlichkeit mehr: In einer Umfrage des ifo-Instituts gaben rund 42 Prozent der Familienunternehmen an, nicht mit einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin aus der eigenen Familie zu planen.

Eine Ausnahme: Landwirt Jacob von der Decken, der mit 30 Jahren den familiären Betrieb übernommen hat. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters spricht der junge Unternehmer über die große Verantwortung, die mit dem Generationenwechsel einhergeht. Er will den Hof seiner Familie weiterentwickeln, das Geschäft diversifizieren und setzt zur Optimierung auf Künstliche Intelligenz.