"Deutschland leider Frauenland“: ARD-Doku zu Sprengstoffthema Islam und Gewalt

Mit seinen Bemerkungen zu den „kleinen Paschas“ hatte CDU-Chef Friedrich Merz bei „Markus Lanz“ im Herbst 2023 viele Menschen provoziert: Er unterstellte den Söhnen vor allem arabischstämmiger Familien, Lehrerinnen gegenüber eher mal verbal ausfällig zu werden. Bei Gegenwind seitens der Lehrkraft würden dann die Väter erscheinen und sich dergleichen verbitten. 

Falls der Merz'sche Vorwurf einen realen Hintergrund hat, wäre es bedenklich. Die Jungen würden bestärkt in der Annahme, dass Männer tendenziell recht haben und Frauen weniger zu sagen. Aus kleinen würden dann mitunter große Paschas. Die es nicht mehr bei der verbalen Gewalt belassen.

Aber ist das tatsächlich so? Das junge Reportage-Format „exactly“ des MDR wollte jenseits solcher Pauschalierungen genauer hinschauen. Für die Doku „Islam und Patriarchat – was befördert Gewalt gegen Frauen?“ (abrufbar in der ARD-Mediathek) suchte das Journalisten-Duo Julia Cruschwitz und Tarek Khello nach Verbindungen zwischen Islam, Patriarchat und häuslicher Gewalt. Oder anders gesagt: Sie wollten herausfinden, ob muslimische Männer Frauen häufiger beleidigen, verletzen, missbrauchen oder gar töten. Und welche Rolle der Glaube dabei spielt.

Was die Kriminalstatistik (nicht) verrät

Ein ambitioniertes Vorhaben, das man in Deutschland meist nur mit medialen Samthandschuhen anfasst aus der nicht unberechtigten Sorge, rassistischen Stereotypen Tür und Tor zu öffnen. 

Die MDR-Doku startet deshalb mit einem Blick in die Statistik, Zahlen lügen bekanntlich nicht. Doch bereits das wird zum Problem, denn: Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasst die Religionszugehörigkeit der Tatverdächtigen bei häuslicher Gewalt gar nicht.

Bleibt der Umweg über die geografische Herkunft. Im Jahr 2023 besaßen in Sachsen 78 Prozent der Tatverdächtigen im weiten Feld der häuslichen Gewalt einen deutschen Pass, in Sachsen-Anhalt und Thüringen waren es jeweils 81 Prozent. Das klingt wie ein Widerspruch zum Klischee, ausländische Männer würden eher zur Gewalt gegenüber Frauen neigen.

Wenn man jedoch weiß, dass der Ausländeranteil in Mitteldeutschland bei neun Prozent liegt, horchen statistisch bewanderte Menschen auf: Wenn kaum jeder zehnte Mensch im MDR-Land nicht-deutscher Herkunft ist, aber jeder fünfte Tatverdächtige keinen deutschen Pass besitzt, untermauern die Zahlen womöglich doch das Stereotyp. In der Gruppe der nichtdeutschen Täter lagen Männer aus der Türkei, aus Syrien, Afghanistan und Polen vorne. Drei dieser vier Länder sind muslimisch geprägt. Zufall?

„Die frommen Frauen sind demütig ergeben“

Vielleicht hilft da ein Blick in den Koran, etwa Sure 4, Vers 34: Da steht, dass die Männer für die Frauen einstehen sollen, „weil Gott den einen von ihnen den Vorzug vor den anderen gewährte und weil sie etwas von ihrem Vermögen aufgewendet haben“. Nach einem Fundament für Babo-Attitüden im häuslichen Umfeld klingt das nicht, da wurde das Alte Testament mitunter deutlicher.

Der Vers geht allerdings weiter: „Die frommen Frauen sind demütig ergeben, hüten das Verborgene, weil auch Gott es hütet. Die aber, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet, die ermahnt, haltet euch fern von ihnen auf dem Lager, und schlagt sie.“ Bietet der Koran also eine Rechtfertigung für Gewalt gegen Frauen?

Schlagen ja – aber bitte, ohne Spuren zu hinterlassen

Der Koran-Vers ist auch innerhalb der muslimischen Gemeinde heftig umstritten, es gibt hier viele unterschiedliche Übersetzungen und Interpretationen. Das „exactly“-Team befragt dazu Imam Assem Alhalak. Der erklärt, dass eine Frau nur dann das Recht habe zu arbeiten, wenn ihr Ehemann es erlaube. 

Und: Laut Koran dürfe die Frau nicht so verletzt werden, dass sie blute, sich eine Rippe breche oder man andere Spuren an ihr hinterlasse. Gewalt ohne blaues Auge also ok? 

Dass ein Moslem – ob Imam oder Glaubender – sich zu diesem Thema vor der Kamera positioniert, ist selten; die Journalisten von „exactly“ stoßen bei ihren Recherchen gerade bei Männern auf eine Schweigemauer. Ein Araber allerdings will reden. Er erzählt, dass er mit seiner Frau 2015 aus Libyen über das Mittelmeer geflohen seien. Vier Jahre später trennt sich seine Frau von ihm, nachdem er sie so geschlagen hat, das sie für zwei Tage ins Krankenhaus musste. 

In Wahrheit habe ihr aber nichts gefehlt, beteuert er. Sie habe lediglich eine empfindliche Haut und bekomme schnell blaue Flecken. Deutschland sei leider ein „Frauenland“, erzählt er, die Frauen hätten hier zu viele Rechte. Und würden das ausnützen gegenüber den Männern.

Diesem Fall stehen etwa die Aussagen der Syrerinnen Rasha und Malak gegenüber, die seit zwei Jahren in Leipzig leben. Sie sagen: "Im Islam sind Frauen gleichberechtigt." Sie berichten, dass vor allem ihr Vater sie zum Abitur und Studium ermutigt habe. Und dass immer mehr muslimische Ehemänner sich einbringen in den Haushalt und die Kindererziehung. Viele junge Moslems fühlen sich von den traditionellen Rollenbildern eingeengt, wollen Frauen gegenüber anders denken und handeln. 

„Ich hatte vorher das klassische Rollenbild: Der Mann muss stark sein, Alleinverdiener, präsent, dominant“, erinnert sich beispielsweise Baran Venegas, der sich seit fünf Jahren bei dem feministischen Jungenprojekt "Berlin Heroes" engagiert. Heute wisse er, "dass du auch zu 100 Prozent ein Mann bist, wenn du nicht rumschreist".

Gewalt im Koran: Alles eine Frage der Auslegung?

Der Koran entstand im 7. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel, damals zählte die Frau zum Hab und Gut eines Mannes. Ähnlich übrigens wie im 10. Gebot der Christen, in dem „die Frau deines Nächsten“ mit seinem Haus oder Feld, seiner Sklaven, seinem Rind oder Esel auf gleiche Stufe gestellt wird. 

Ob der Koran zur Unterdrückung der Frau aufrufe, sei in erster Linie Auslegungssache, findet Dina el Omari, Professorin am Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster: „Der Text gibt beides her.“ Es komme darauf an, was man herauslesen will.

Und das ist der Knackpunkt: Manche muslimische Männer, sozialisiert mit klar patriarchalischem Denken, wollen lieber herauslesen, dass die Frau dem Manne untertan ist. Denn man fühlt sich automatisch erhöht, wenn es jemanden gibt, der in der Hackordnung tiefer steht. 

Für Männer, die als Fremde nach Deutschland kamen und hier nur schwer Zugang zu den klassisch männlichen Insignien – Macht, Geld, sozialer Status – bekommen, ist das Tritt nach unten oft der einzige noch verbliebene Kick fürs Selbstbewusstsein.

Schon das Gendern schmerzt das männliche Ego

Ohnmacht führt zur Machtausübung: Wer zuschlägt, stellt die alte Wohlfühl-Ordnung wieder her. Das allerdings gilt nicht exklusiv für muslimische Männer. Laut Leipziger Autoritarismus-Studie herrscht auch in jedem vierten deutschen Haushalt ein sexistisches Weltbild. Schuld daran ist – was für eine verquere Welt! – tatsächlich die verordnete Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. 

Vor allem unsichere Männer sehen es als Herabsetzung der eigenen Person, wenn Frauen gesellschaftlich mit ihnen auf eine Stufe gestellt werden. Erzogen in dem Gefühl, „die Norm“ zu sein, nährt bereits die Aufweichung des maskulinen Generikums die Verlustangst.

Das Fazit der „exactly“-Journalisten: Der Islam ist nicht die Ursache, sondern dient manchen Moslems eher als Rechtfertigung für Unterdrückung und Gewalt gegenüber Frauen. Das wahre Problem seien patriarchalische Strukturen. Diese aber sind auch in den besten deutschen Familien anzutreffen.

Wer daran zweifelt, dem sei an dieser Stelle das Sachbuch „Wenn die letzte Frau den Raum verlässt“ von Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer empfohlen: Ein extrem erhellender Frontbericht über das, wie in reinen Männerrunden über Feminismus gesprochen wird. Ihrem Buch stellten die beiden Autoren ein Zitat der kanadischen Autorin Margaret Atwood voran: „Männer haben Angst, dass Frauen sie auslachen. Frauen haben Angst, dass Männer sie töten.“ Das gilt leider bis auf Weiteres religions- wie grenzübergreifend.