"Kann sich nicht auf Wahlversprechen verlassen": Rentnerin entrüstet über Stromsteuer-Debakel

Am Mittwochabend haben die Spitzen der schwarz-roten Koalition im Kanzleramt endgültig entschieden, dass es vorerst keine Senkung der Stromsteuer für alle geben wird. Wie kommt das bei den Bürgern an, denen Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) die Entlastung im Koalitionsvertrag versprochen hatten?

Rund 500 Meter vom Ort der Entscheidung entfernt, vor dem am nächsten am Kanzleramt gelegenen Supermarkt, haben fast alle Kunden die Ergebnisse von Mittwochabend mitbekommen. Die Enttäuschung vor der Aldi-Filiale ist groß.

Stromsteuer-Senkung wäre für manche echte Entlastung gewesen

Delia, einer alleinerziehenden Mutter, hätte die Entlastung konkret geholfen. "Die finanzielle Situation von Menschen wie mir ist jetzt schon derb und sie wird noch derber werden", erklärt sie. 

Für einen Haushalt mit zwei Personen hätte die Stromsteuer-Senkung monatlich etwas mehr als vier Euro gebracht. "Das ist zweimal Brötchen holen für mich und meine Tochter – zweimal ein Frühstück, das ich mir sonst nicht leisten kann."

Friedrich Merz und Lars Klingbeil
Kanzler Friedrich Merz und Vizekanzler Lars Klingbeil haben verabredet, dass es vorerst keine Stromsteuer-Senkung geben wird. Kay Nietfeld/dpa

Die meisten anderen Kunden beteuern hingegen, dass sie sich nicht wegen der abgesagten Entlastung ärgern würden. "Vielleicht hätte ich dann mal Butter statt Margarine gekauft, aber die paar Euro machen sich nicht auf dem Konto bemerkbar", erklärt ein Rentner. Auf die gleichen Einsparungen könne man auch kommen, wenn man Strom sparen oder zu einem günstigeren Anbieter wechseln würde. 

Resignation wegen "Dauerschleife von gebrochenen Versprechen"

Für den Rentner geht es eher darum, dass die Entscheidung aus dem Koalitionsausschuss zusammen mit anderen Entscheidungen ein Muster ergibt: Regelmäßig werden Wahlversprechen gebrochen. Auch wenn manche der Aldi-Kunden sich "belogen" oder "getäuscht" fühlen, ist bei den meisten keine übermäßige Wut zu spüren – sondern auffällig viel Resignation. 

"Man hätte eigentlich schon vorher wissen können, dass es so kommt. Auf Wahlversprechen kann man sich eh nicht verlassen", erklärt eine Rentnerin, die ihren Namen nicht sagen will. Jutta, 69 Jahre alt und ebenfalls Rentnerin, stimmt dem zu und erklärt: "Ich wüsste leider auch nicht, wie man die Politik zum Einhalten ihrer Wahlversprechen bringen kann. Ich gehe zwar noch wählen, aber scheinbar macht das keinen Unterschied mehr." Susanne, eine 62-jährige Selbstständige, beklagt eine "Dauerschleife von gebrochenen Versprechen".

Insa-Chef Binkert: "Das nutzt insbesondere der AfD"

Dass die Entscheidung von CDU, CSU und SPD das Vertrauen in die Politik belastet, glaubt auch Hermann Binkert. Der Chef des Meinungsforschungsinstitutes Insa sagte zu FOCUS online: "Mehrheitlich befürworten Bürger immer, was sie entlastet und sind enttäuscht, wenn politische Versprechen nicht eingehalten werden. Das und der spürbare Sand im Getriebe von Schwarz-Rot belastet die die Regierung tragenden Parteien."

Die Entscheidung im Koalitionsausschuss schwäche die Glaubwürdigkeit und verstärke die Resignation, so Binkert. "Das nutzt den Oppositionsparteien und hier insbesondere der AfD, deren Kritik an der Stromsteuer authentisch ist."

Das befürchtet auch Hans, der an diesem Donnerstagmorgen in dem Berliner Aldi einkauft. "Die Regierung fokussiert sich viel auf die AfD und spricht über sie", beklagt der politisch interessierte 85-Jährige. "Am einfachsten könnten sie die Umfragewerte der AfD aber sinken lassen, wenn Friedrich Merz und Lars Klingbeil einfach mal umsetzen, was sie versprochen haben."

Mütterrente statt Strompreis-Senkung: falsche Prioritäten?

Auch andere Kunden kritisieren die Prioritäten der Regierung. Eine junge Mutter ärgert zum Beispiel, dass die Bundesregierung zu viel Geld für Rüstung ausgebe, dann aber bei der Entlastung von Bürgern gespart werde. Einer anderen Frau stößt sauer auf, dass statt der Stromsteuer-Senkung nun die Erweiterung der Mütterrente kommen soll. 

Einige wenige Befragte blicken hingegen gelassen auf die Entscheidung im Koalitionsausschuss. "Es gehört dazu, dass man im Wahlkampf mehr verspricht, als am Ende umgesetzt werden kann", erklärt eine Studentin. "In der Politik muss man eben Kompromisse machen." Die junge Frau glaubt nicht, dass die Entscheidung das Vertrauen in die Regierung oder gar die Politik allgemein untergraben könnte.

Auch Insa-Chef Binkert plädiert, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen: "Es gibt selbstverständlich auch noch viele andere Themen, die die Bürger beschäftigen. Das relativiert die Bedeutung dieses einen Themas. Wie sehr, das hängt auch von der weiteren Debatte ab."