Der Hüter der Grenzen: 89-jähriger Feldgeschworener kennt das Geheimnis der Siebener
Knut Arndt aus Egling ist Geheimniskrämer, Vertrauensperson und Streitschlichter für immer. Er setzt Grenzsteine und legt geheime Zeichen in den Boden.
Egling – Er wacht über die Gemeindegrenzen und legt geheime Zeichen. Sein Wissen behält er ein Leben lang für sich – das hat er unter Eid geschworen: Knut Arndt ist ein Feldgeschworener, ein Siebener. Er gehört zu einer selten gewordenen Art. Der 89-Jährige setzt Grenzsteine und kontrolliert sie, er vermittelt und vermisst. Unsere Zeitung hat den Senior im Einsatz begleitet.
Mit festem Griff sticht der 89-Jährige seinen Spaten in den Boden. Er hebt eine volle Schaufel schwarzbrauner Erde aus und legt sie neben das kreisrunde Loch, das jetzt im Boden klafft. Seine Bewegungen sind routiniert und effektiv. Wenn man ihm zuschaut, glaubt man nicht, dass er bald 90 Jahre alt wird. Der hagere Mann in blauer Arbeitshose geht in die Knie und schaufelt weiter. Feldgeschworene führen ihre Tätigkeit ehrenamtlich aus. Sie arbeiten mit dem Vermessungsamt zusammen, legen Grenzsteine in den Boden. Arndt macht das seit 27 Jahren.
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Menschen verlassen sich auf ihn
„Wer vom Gemeinderat oder anderen Feldgeschworenen zu dieser Tätigkeit bestimmt wird, darf eigentlich nicht ablehnen“, erzählt der Rentner und blickt mit seinen blauen Augen unter dem hellen Filzhut hervor. Er trägt ein kariertes Hemd und eine dicke Weste gegen die Kälte. Ausgewählt werden nur vertrauenswürdige Bürger, erklärt Arndt. „Die Menschen verlassen sich darauf, dass die Feldgeschworenen neutral bleiben und immer gerecht und ehrlich sind.“ Streiten sich Grundstückseigentümer über den Verlauf ihrer Grenzen, vermittelt Arndt.
Was ihm hilft: „Ich kenne die Leute hier“. Und die Leute kennen ihn. Auf Wunsch eines Grundbesitzers sucht der Feldgeschworene sogar die Grenzpunkte und deckt sie auf. Arndt selbst wurde mit 62 Jahren für das älteste kommunale Ehrenamt in Bayern vorgeschlagen. „Einst gab es in jeder Gemeinde sieben Feldgeschworene“, weiß der gelernte Elektrotechniker. Deshalb werden sie auch als Siebener bezeichnet. Die Zeiten haben sich geändert. In Egling gibt es nur noch drei Siebener.
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Ihr Siebener-Geheimnis hüten die Feldgeschworenen hingegen noch immer strengstens. „Das ist ein geheimes Zeichen, das nur die Feldgeschworenen kennen. Sonst niemand.“ Unbeobachtet von fremden und neugierigen Blicken graben sie in einer ganz bestimmten – nur ihnen bekannten – Anordnung Tonscherben, Steine oder andere unauffällige Merkmale im Boden um den Grenzstein ein. Über ihr Wissen halten sie Stillschweigen. Denn an den Zeichen erkennen nur Eingeweihte, ob Grenzen verschoben oder Markierungen bewegt wurden. Arndt: „Wir sind auf Lebenszeit zu strengster Geheimhaltung, Verschwiegenheit und Bewahrung des Siebener-Geheimnisses verpflichtet.“
Kleine Entschädigung für die Arbeit
Für das körperlich anstrengende Amt erhält Arndt eine kleine Entschädigung. „Es ist kein Zuckerschlecken, wenn man bedenkt, dass ich auch bei Regen und Kälte arbeiten muss“, sagt der 89-Jährige. Mit einer Eisenstange stochert der Rentner energisch im Loch im Boden herum. Er lockert damit die Erde auf. Das Loch soll noch tiefer werden.
Dann geht er zu seinem Auto und öffnet den Kofferraum. Er hievt eine etwa 50 Zentimeter lange Säule heraus. Sie ist aus Granit, so wie die meisten Grenzsteine, die Arndt setzt. Den Granitbrocken stellt der Feldgeschworene in das Erdloch. „Früher habe ich in jeder Hand einen Stein getragen und bin so ins Moor gegangen“, erinnert er sich.
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Mit Blick auf sein Alter sagt der Siebener: „Wenn es nicht mehr geht, höre ich auf.“ Bis es aber so weit ist, möchte Arndt seinem Ehrenamt, in dem er mehr als nur eine Pflicht sieht, weiterhin nachkommen: „Ich sehe das als Aufgabe, anderen zu helfen.“ Dann schaufelt er das Loch wieder zu. Geübt und kräftig.