„China will eine schwache Ukraine“: Was hinter Pekings Strategie im Ukraine-Krieg steckt

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Chinesische Friedenstruppen in der Ukraine – „das wäre ein Epochenwechsel“. Mit einem Platz auf der Zuschauertribüne dürfte sich Peking allerdings nicht begnügen.

Im Ukraine-Krieg steht China an der Seite Russlands. Und doch verändert der Konflikt die Machtbalance zwischen Wladmir Wladimir Putin und Xi Jinping. In ihrem neuen Buch „China und Russland: Kurze Geschichte einer langen Beziehung“ gehen die Historiker Sören Urbansky und Martin Wagner dem Verhältnis zwischen den beiden Nachbarstaaten auf den Grund. Ihr Befund: Die Abhängigkeit Russlands von China hat seit der Vollinvasion der Ukraine drastisch zugenommen. Mit dem Neoimperialisten Donald Trump kommt nun ein weiterer, unberechenbarer Faktor hinzu.

Herr Urbansky, Herr Wagner, am Montag hat Xi Jinping in einem Telefonat mit Wladimir Putin erklärt: „Sowohl die Geschichte als auch die Realität zeigen uns, dass China und Russland dazu bestimmt sind, gute Nachbarn zu sein, und unsere beiden Länder sind wahre Freunde.“ Wie bewerten Sie als Historiker eine solche Aussage?

Sören Urbansky: China und Russland haben sich in der Vergangenheit immer wieder bedingungslose Freundschaft versprochen, und wenig später war diese Freundschaft dann abrupt zu Ende. In den 1950er-Jahren etwa standen sich Peking und Moskau weltanschaulich sehr nah, ein paar Jahre später gab es Scharmützel an der Grenze. Beinahe wäre es zu einem großen Krieg zwischen beiden Ländern gekommen. 

Martin Wagner: Russland und China transportieren nach außen stets das Bild einer unverbrüchlichen Freundschaft. Dahinter verbergen sich aber ganz konkrete Interessenskonflikte, beide Länder ringen um die Führungsposition in einer seit 400 Jahren fast immer asymmetrischen Beziehung.

Heute ist Russland in der Beziehung zu China der Juniorpartner. Wie findet Putin das?

Wagner: Das russische Regime achtet sehr penibel darauf, Russland und China als ebenbürtig darzustellen. Aber natürlich wissen alle, dass das nicht stimmt. China hat die neunfache Wirtschaftsleistung Russlands, und Russland ist ökonomisch viel stärker von China abhängig als umgekehrt. Wir sehen zudem, dass China enorm aufrüstet und mittelfristig Russland in seiner Abschreckungswirkung nach außen übertreffen wird.

Die Interviewpartner

Sören Urbansky ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Martin Wagner forscht als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin zur Geschichte Russlands und Chinas.

Sören Urbansky (links) und Martin Wagner
Sören Urbansky (links) und Martin Wagner © Barak Shrama/privat

„Russland kann im Ukraine-Krieg gegenüber China immer wieder seine Aktionsmacht demonstrieren“

Welche Folgen wird das haben?

Urbansky: Wir sehen schon jetzt, dass China in Bereiche vordringt, die Russland früher als seine exklusive Einflusssphäre betrachtet hat. Für Zentralasien zum Beispiel galt lange Zeit die stille Absprache zwischen beiden Ländern, dass China hier zwar ökonomisch aktiv werden kann, aber nicht militärisch. Inzwischen ist China aber nicht nur der wichtigste Handelspartner aller fünf zentralasiatischen Staaten, sondern engagiert sich dort teils bereits militärisch, etwa in Tadschikistan. Was ebenfalls vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wäre: Nach der Vollinvasion der Ukraine hat Russland Wladiwostok als Transithafen für chinesische Güter geöffnet. All das zeigt, wie sich das Gewicht zwischen China und Russland verschiebt.

Wagner: Gleichzeitig kann Russland im Ukraine-Krieg auch gegenüber China immer wieder seine Aktionsmacht demonstrieren. China, der Seniorpartner in der Allianz, ist dann zum Reagieren gezwungen. Putin bekommt von Nordkorea jetzt etwa Dinge, die er von China nicht bekommen hat, nämlich Söldner und Munition. Und das wiederum macht Nordkorea weniger abhängig von China – was nicht im Interesse Pekings sein kann.

Urbansky: Als Russland im Februar 2022 den Krieg gegen die Ukraine weiter eskaliert hat, hatte Putin die Hoffnung, das Ungleichgewicht zu China ein Stück weit auszugleichen. Putin dachte, mit einem schnellen Sieg könne er auch gegenüber Peking Stärke demonstrieren. 

Das Gegenteil war der Fall.

Urbansky: Genau, die Abhängigkeit Russlands von China hat seit der Vollinvasion drastisch zugenommen. Mit Donald Trump ist jetzt ein weiterer Faktor hinzugekommen. Trump ist, das muss man klar so sagen, ein neoimperialer Fantast. So gesehen befindet er sich mit Putin und Xi in guter Gesellschaft. Für Putin bedeutet das, dass er im US-Präsidenten nun jemanden findet, der seine Sprache spricht – die der Großmachtpolitik. Ein allein für Russland günstiger „Friedensschluss“ mit der Ukraine würde Putin aufwerten, auch gegenüber Xi Jinping.

Wagner: Was aber nicht bedeutet, dass eine vermeintliche Achse zwischen Putin und Trump die Achse Putin-Xi Jinping zerstören könnte. Russland und China sind sich zu ähnlich, beide sind große Kontinentalimperien, die eine gemeinsame, mehrere Tausend Kilometer lange Grenze teilen. Schon allein deshalb können sie einander nicht entkommen. Zudem verfolgen sie als autoritäre Länder ein gemeinsames Ziel: die liberale Weltordnung zu überwinden. 

Wie sieht das konkret aus?

Urbansky: Spätestens mit der Vollinvasion der Ukraine hat sich Russland aus dem internationalen Gerüst, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs besteht, verabschiedet. Putin will die bestehende Weltordnung umstürzen. China hingegen ist ein großer Profiteur des bestehenden Systems, versucht aber gleichzeitig, es zu seinem eigenen Vorteil umzuformen und durch eigene Instrumente zu ergänzen. Sowohl China als auch Russland sprechen zwar immer davon, dass sie eine „multipolare Weltordnung“ anstreben. Was sie darunter verstehen, unterscheidet sich aber deutlich.

„China will eine bipolare Weltordnung. Für Russland wäre da kein Platz mehr“

Inwiefern?

Urbansky: Russland hat lange unter Multipolarität verstanden, dass es mehrere Zentren gebe – Moskau und Peking, aber auch Washington und Neu-Delhi zum Beispiel. China hingegen will eigentlich eine bipolare Weltordnung, in der es seinem Hauptrivalen Washington gegenübersteht. Für Russland wäre da gar kein Platz mehr.

Was bedeutet das für den Ukraine-Krieg?

Urbansky: Für China ist das ideale Szenario eine Ukraine, die weder von Russland noch von den USA abhängig ist. Peking will eine schwache Ukraine, die sich wirtschaftlich auspressen und formen lässt. China verfolgt in der Ukraine schon länger handfeste wirtschaftliche Interessen. Vor der russischen Vollinvasion war die Ukraine ein wichtiger Baustein in Chinas Seidenstraßen-Initiative.

Wagner: China ist zudem stark von Lebensmittelimporten abhängig. Im Jahr 2013 gab es einen chinesischen Vorstoß, im Süden der Ukraine Anbauflächen für Getreide für 50 Jahre zu pachten, größer als Brandenburg. Nachdem China den Deal verkündet hatte, nahm ihn der damalige pro-russische Präsident der Ukraine, Wiktor Janukowytsch, in letzter Sekunde wieder zurück. Mutmaßlich auf Anweisung Russlands.

Urbansky: So gesehen war die russische Invasion der Ukraine für China keine positive Entwicklung, auch wenn Peking von diesem Krieg insgesamt gesehen sowohl geopolitisch als auch militärisch und ökonomisch profitiert hat.

Xi Jinping und Wladimir Putin im Mai in Peking.
Xi Jinping und Wladimir Putin im Mai in Peking sind Partner – und Rivalen. © Sergei Bobylyov/Sputnik/AFP

Xi und Putin haben sich wenige Tage vor Kriegsausbruch in Peking getroffen. Denken Sie, dass sie über die bevorstehende Invasion gesprochen haben?

Urbansky: Das wissen wir nicht. Westliche Geheimdienste hatten aber schon länger vor einer Vollinvasion gewarnt, und diese Informationen dürfte auch Peking gehabt haben. Ich kann mir vorstellen, dass Xi Putin gebeten hat, mit der Invasion bis zum Ende der Olympischen Winterspiele in China zu warten. Das ist allerdings reine Spekulation. Peking war aber vermutlich vom Ausmaß der Invasion überrascht. Zumindest kommt man zu diesem Schluss, wenn man sieht, wie chaotisch die Evakuierung der chinesischen Staatsbürger aus der Ukraine abgelaufen ist.

Donald Trump will den Krieg jetzt zu einem schnellen Ende führen. Welche Rolle kann China dabei spielen?

Wagner: Donald Trump hat China zwar immer wieder ins Spiel gebracht. Ich glaube aber, dass er Gespräche über einen Friedensschluss oder zumindest einen Waffenstillstand allein mit Putin führen will, um am Ende als der Entscheidungsbringer zu wirken.

„Chinesische Truppen in der Ukraine, das wäre ein Epochenwechsel“

Wird sich China mit einem Platz auf der Zuschauertribüne begnügen?

Wagner: Das glaube ich nicht. Es ist ja zum Beispiel die Idee ins Spiel gebracht worden, China könne Friedensgruppen in die Ukraine entsenden, um einen Waffenstillstand abzusichern. Die Frage ist: in welcher Form? Denn Peking hat außerhalb von UN-Missionen keinerlei Erfahrung in der Friedenssicherung.

Die Idee stammt unter anderem vom ehemaligen chinesischen General Zhou Bo. Diskutiert man diesen Vorschlag auch in der chinesischen Regierung?

Urbansky: Es ist durchaus möglich, dass die chinesische Regierung Personen wie Zhou, die keine offizielle Funktion innehaben, bewusst vorgeschickt hat, um auszutesten, wie diese Ideen ankommen. Und je nachdem, wie die internationalen Reaktionen ausfallen, entscheidet man, ob die Idee wieder in der Schublade verschwindet oder zur offiziellen Politik wird. Chinesische Truppen in der Ukraine, das wäre für die Europäer jedenfalls nur sehr schwer vorstellbar, es wäre ein Epochenwechsel.

In der Ukraine stünden sich dann chinesische und russische Soldaten entlang einer Konfliktlinie gegenüber.

Urbansky: So absurd das klingen mag: Es könnte durchaus einen positiven Effekt haben: dass sich Russland zurückhält, um die Lage an einer möglichen Waffenstillstandlinie nicht zu eskalieren. 

Wagner: Denkbar ist aber auch das Gegenteil, nämlich, dass die chinesischen Soldaten ihre Waffen niederlegen und die Russen einfach passieren lassen.

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