Beim Thema Pünktlichkeit zeigt die Gen Z ihre schlechteste Seite
"Fünf Minuten vor der Zeit ist des Deutschen Pünktlichkeit!" So lautet ein schon zur Bismarck-Zeit bekanntes Sprichwort. Ich will hier nun nicht von der Bahn oder dem Bau des Berliner Großflughafens anfangen – das wissen Sie selbst. Hier soll es um berufliche und private Verabredungen gehen.
Ich habe einen guten Bekannten, der sich als "Pünktlichkeitsfanatiker" bezeichnet. So würde ich mich keinesfalls nennen. Aber auch ich bin bekennende Vertreterin des obigen Zitates.
Mir ist sehr daran gelegen, exakt zu einer verabredeten Zeit zu erscheinen. Selbst das akademische Viertel, also 15 Minuten drüber, ist mir unangenehm, weil ich anderen nichts von ihrer Lebenszeit nehmen will. Lieber komme ich einige Minuten zu früh als zu spät.
Pünktlichkeit hat etwas mit Wertschätzung und Respekt zu tun
Besagter "Pünktlichkeitsfanatiker" ist richtig sauer, wenn jemand mehr als zehn Minuten später als abgemacht erscheint. Und wenn er selbst unpünktlich ist? "Dann steinige ich mich innerlich", sagt er. Das ist vielleicht zu viel der Selbstgeißelung. Doch wo ich ihm recht gebe: Ich finde, es hat etwas mit Wertschätzung zu tun, pünktlich zu sein.
Leider bin ich manchmal ein bisschen chaotisch und deshalb auf dem letzten Drücker am Treffpunkt, aber dennoch so gut wie immer zur abgemachten Zeit. Jemanden nicht unnötig warten zu lassen, gehört für mich zu den Werten, die eine höfliche Gesellschaft ausmachen. Pünktlichkeit hat für mich mit Respekt zu tun. Sie ist eine Eigenschaft, mit der ich zeige, dass ich die Zeit eines Gegenübers schätze.
Über die Kolumnistin
Susanne Nickel ist Rechtsanwältin, Wirtschaftsmediatorin und Expertin für Arbeit und Wandel. Ihre Erfahrung sammelte sie in ihrer langjährigen Tätigkeit als Managerin und Beraterin sowohl in nationalen als auch internationalen Unternehmen und Konzernen. Sie ist in fast allen DAX 30-Unternehmen viele Jahre ein- und ausgegangen. In ihrer Kolumne schreibt Susanne Nickel über gesellschaftliche Veränderungsprozesse und den Wandel in der Arbeitswelt.
Ich entdeckte bei der Recherche zu dieser Kolumne eine Umfrage aus dem Jahr 2010. Da akzeptierten die Deutschen höchstens fünf Minuten Verspätung. Zwei Drittel der Teilnehmer ärgerten sich, wenn sie länger als fünf Minuten auf ihre Verabredung warten mussten. 36 Prozent hielten eine Viertelstunde über der Zeit für akzeptabel – aber auch nur dann, wenn sie einen nachvollziehbaren Grund als Entschuldigung zu hören bekamen.
Lediglich acht Prozent der Frauen und sieben Prozent der Männer nahmen mehr als eine halbe Stunde Verspätung mehr oder weniger klaglos hin. Für bemerkenswert halte ich: Die Leute im Osten waren geduldiger als Westdeutsche. Wie gesagt: Die Angaben sind von 2010, vielleicht hat es sich inzwischen verändert. In der Tendenz sollte es sich aber nicht geändert haben.
Fünf oder zehn Minuten zu spät? Für Gen Z ist das pünktlich
Doch warum erzähle ich Ihnen das eigentlich? Seit ich mein Buch über die Generation Z veröffentlicht habe, mailen mir immer wieder Freunde, Bekannte, Unbekannte und Führungskräfte aus Unternehmen, oft aus Personalabteilungen, Links zu Artikeln, manchmal auch schon etwas ältere, zum Thema "Miteinander der Generationen".
So erhielt ich neulich einen Beitrag aus "Fortune" über eine Erhebung des Unternehmens Meeting Canary, das von etwas mehr als 1000 britischen Erwachsenen unterschiedlichen Alters ihre Einstellung zum pünktlichen Erscheinen befragte. In der Mail stand: "Das ist interessant. Ist vielleicht was für deine Kolumne."
Ich las es durch, prüfte die Richtigkeit der Angaben und dachte: Ja, das ist was für eine Kolumne. Denn laut der Umfrage gab die Hälfte der 16- bis 26-Jährigen – also Angehörige der Generation Z – an, dass im Berufsleben eine Verspätung von fünf bis zehn Minuten bei ihnen noch als pünktlich durchgeht. Je älter der Mensch ist, desto schwerer hält er Warterei aus.
Von den Millennials (1980 bis 1995) akzeptierten rund vierzig Prozent, wenn Kollegen zehn Minuten unpünktlich sind. 26 Prozent der Vertreter der Generation X (1965 bis 1980) haben damit kein Problem.
Und bei den Babyboomern (1946 bis 1964) sind es nur noch zwanzig Prozent, die das einfach durchgehen lassen, ohne zu grollen. Siebzig Prozent der befragten Boomer gaben an, dass sie nicht mal eine Minute über der Treffzeit tolerieren.
Work-Life-Balance statt Stress am Arbeitsplatz
Nun kann man solche Zahlen sehr unterschiedlich auslegen. Man kann vermuten, dass die Boomer halt intolerante Spießer sind. Oder ihnen ist, da sie im letzten Drittel ihres Lebens sind, jede Minute kostbar. Die jungen Leute sind hingegen tolerant und relaxed, machen wegen zehn Minuten Verspätung kein Fass auf, nehmen es einfach hin. Ich sehe es anders, aber darauf komme ich noch.
In dem Artikel von "Fortune“ hieß es, dass es "wenig überraschend" sei, "dass die Generation Z kein strenges Zeitgefühl" habe. Ihre Vertreter "sind während der Pandemie von zu Hause aus ins Berufsleben eingestiegen, wo es üblich war, länger zu warten, bis man sich in eine Besprechung einwählen konnte, falls es technische Probleme gab".
Es folgten weitere Aussagen, die junge Leute in Schutz nahmen. Viele hätten "wahrscheinlich noch nie die peinliche Erfahrung gemacht, zu spät in eine Besprechung zu kommen und von ihrem gesamten Team angestarrt zu werden".
Während der Pandemie eingestellte Mitarbeiter hielten an der in der Corona-Zeit gelernten Flexibilität fest. "Die Generation Z schätzt und priorisiert eher als andere Generationen die Work-Life-Balance und die psychische Gesundheit gegenüber dem Stress am Arbeitsplatz – und das schließt auch das Herumhetzen ein, um pünktlich zu einem Meeting zu erscheinen", zitierte "Fortune" Laura van Beers, Gründerin von Meeting Canary.
"Während die Arbeit von zu Hause aus für die jüngeren Generationen die Grenzen für eine gute Meeting-Etikette verwischt hat, haben ältere Büroangestellte immer noch eine etablierte, traditionelle Auffassung."
Respekt? Disziplin? Für Gen Z keine Priorität
Ich bin sicher, hier kommen wieder einmal die traurigen Eigenschaften der Generation Z zum Tragen: Gleichgültigkeit, Desinteresse, Egoismus, Respekt- und Disziplinlosigkeit sowie Anflüge von Arroganz. Ich glaube, viele kommen zu spät, um für einige Sekunden im Mittelpunkt zu stehen.
Jungen Leuten fehlt es an Respekt, sie denken, dann gedulde ich mich halt, die Alten und Älteren haben sich gefälligst darauf einzustellen. Die anderen müssen halt zehn oder 15 Minuten auf mich warten – so what?! Dass ein Kollege in der Zeit nichts tun kann, ist dabei egal, ebenso wie die Tatsache, dass das Unternehmen das Nichtstun bezahlt. In jedem Fall werden durch solches Verhalten Abläufe gestört.
Kein Wunder also, dass sich Vorgesetzte darüber beklagen, wie schwer es ist, junge Leute zu führen. Ich könnte auch sagen: Sie in den Griff zu bekommen. Disziplin war gestern. Ältere Kollegen, die so was nicht gewohnt sind, bringt es auf die Palme.
Die US-Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Jodie Foster machte sich in einem vor mehr als einem Jahr erschienene Interview mit dem britischen "Guardian" Luft.
Sie sagte über Kollegen der Gen Z: "Sie sind wirklich nervig, besonders am Arbeitsplatz. Sie sagen: 'Nee, mir ist heute nicht danach, ich komme um 10.30 Uhr nach Hause'. Oder ich sage ihnen in E-Mails, dass das alles grammatikalisch falsch ist, hast du deine Rechtschreibung nicht überprüft? Und sie sagen: 'Warum sollte ich das tun, ist das nicht irgendwie einschränkend?'"
Gen Z kennt nur Wohlstand – weiß aber nicht, woher er kommt
Für ihr unverfrorenes Verhalten, aber auch ihre Dummheit haben junge Menschen immer eine passende Ausrede, die den Egoismus dahinter und ihre Unwilligkeit zu lernen kaschiert. Orthographie und Grammatik nicht zu beherrschen, ist nicht einfach doof. Sie zu können, ist umgekehrt in deren Welt die Persönlichkeit "irgendwie einschränkend".
Dann sind die schlechten Pisa-Ergebnisse also in Wahrheit ein Aufbäumen gegen Einengung, ein Ruf nach Freiheit? Wer es glaubt, wird selig. Die Ich-Bezogenheit geht ja sogar soweit, dass junge Leute noch nicht mal anrufen, eine Mail oder WhatsApp schicken, dass sie spät dran sind.
Bei allem Verständnis für die Anti-Burn-out-Strategien der Gen Z: Das Verhalten geht zu Lasten der älteren Generationen, die Zeit verplempern und den Laden am Laufen halten, wenn andere zu spät kommen.
Zu vielen jungen Menschen fehlt es an der richtigen Einstellung zur Arbeit und zum Leistungsgedanken. Sie kennen nur unseren Wohlstand, den die Generationen vor ihnen erwirtschaftet haben. Übrigens auch, weil sie Müßiggang ablehnten und immer pünktlich waren.