Alle mal herhören: Teodor Currentzis mit „Castor et Pollux“ in Salzburg

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Klage um den toten Geliebten: Jeanine De Bique (Télaïre) mit dem Utopia-Chor. © Marco Borrelli

Salzburg hält zu ihm: Teodor Currentzis dirigiert „Castor et Pollux“ in der Felsenreitschule, überraschenderweise als semikonzertante Aufführung. Ein Händchen für Rameau hat er.

Hauptsache, die Kerle kriegen den Hauptpreis: Unsterblichkeit, höchstpersönlich verliehen von Jupiter. Was mit den beiden liebenden, vor allem sterblichen Frauen passiert, dafür hat der Götterchef nur eine Hilfslösung parat – sie haben ihre Männer wieder, bis der Tod alle scheidet. Die Party nach diesem Urteil wirkt daher zwanghaft, auch auf der Bühne der Felsenreitschule. Zur finalen Ballettmusik von Jean-Philippe Rameau tanzen, so etwas kann für Chor und Solisten zu langen, unbeholfenen Minuten werden.

Immerhin gab es für „Castor et Pollux“ überhaupt eine (semi-)szenische Lösung. Ursprünglich war die fünfaktige Oper bei den Salzburger Festspielen als konzertant angekündigt. Doch weil die fast identische Besetzung Anfang des Jahres das Stück an der Pariser Oper herausgebracht hat, ereignete sich unterm Mönchsberg kurz entschlossen eine abgespeckte Version. Eine Art Dreingabe, eigentlich diente der Abend ja „nur“ als Vehikel für Dirigent Teodor Currentzis. Dem hält Salzburg die Treue, obwohl er vielen als politisch kontaminiert gilt: Aus welchen osteuropäischen Töpfen Chor und Orchester von Utopia finanziert werden, ist nach wie vor unklar.

Abgespeckte Pariser Produktion von Peter Sellars

Regisseur Peter Sellars hat das Gros seiner Ideen nach Salzburg mitgebracht, vor allem aber ein paar Requisiten. Küchenzeile, Sitzgruppe, Doppelbett: Dieses antike Personal haust in einer Einraumwohnung. Videos zeigen im Hintergrund anfangs Hochhäuser und dunkle Straßenszenen, später vor allem Bilder aus dem All, mit denen wir die Erde zu umrunden scheinen. Sie überhöhen das Geschehen ins Außerweltliche und schaffen Fallhöhe zum mickrigen Ikea-Schick.

Die Handlung schlägt sich auf die Seite des Patriarchats: Castor (ursprünglich sterblich) und Pollux (unsterblich) begehren dieselbe Frau, nämlich Télaïre. Als Castor im Krieg fällt, macht sich sein Bruder auf in die Unterwelt. Phébé, die Pollux vergeblich begehrt, muss sehen, wo sie bleibt. Typisch Peter Sellars, dass sich in Salzburg alles auflöst in harmonisches Miteinander. Und dass er auf die starken Persönlichkeiten seines Personals vertraut: Diese Sängerinnen und Sänger brauchen keine detaillierte Anweisungen.

Stückgemäß überragen Marc Mauillon (Pollux) und Reinoud Van Mechelen (Castor) die Übrigen. Beide mit ähnlicher Technik: Ihre Stimmen sind extrem gut fokussiert, sitzen in der Gesangsmaske weit vorn, Vokalphrasen speisen und entwickeln sich aus dem Wortklang. Ideal ist das (nicht nur) für diese Barockliteratur. Fast scheint es, als ob sich Mauillons kantiger Bariton verlängert in den hohen Tenor Van Mechelens, als Fachvertreter des franzöischen „Haut-Contre“ ist er konkurrenzlos.

Jeanine De Bique bietet als Télaïre luxuriöse Sopranlyrik. Die kurzfristig eingesprungene Yulia Vakula (Phébé) fügt sich auch vokal gut ein. Nicholas Newton ist in mehreren Rollen aktiv, als Jupiter verströmt er bassbaritonale Autorität, vor allem aber macht er als Tänzer im Finale bella figura. Das tut auch Teodor Currentzis, der hochgefahrene Orchestergraben und Lichtspots sorgen dafür, dass seine ungewöhnliche, mittlerweile etwas gebremste) Schlagtechnik für alle gut sichtbar ist.

Hervorragend besetztes Utopia-Orchester

Ohnehin begreift er sich als Probenfanatiker, Motivator und Bandleader. Currentzis bleibt, ob er Bach, Mahler oder Richard Strauss dirigiert immer Theatraliker. So präzise und geschärft seine Interpretationen sind, so sehr bleiben sie oft nur Klang-Inszenierungen. Die Musik Rameaus allerdings verträgt die Übersteigerung, dieses Hyperaktive gut. Das Utopia-Orchester ist groß und hervorragend besetzt, vor allem mit enormem Ausdruckswillen bei der Sache.

Man staunt über Farbexplosionen, aufregende Mixturen und die zugespitzte Rhythmik. Es ist, typisch Currentzis, die Interpretation eines Extremisten: Immer wieder dimmt er das Geschehen ins Intime und bis an die Hörbarkeitsschwelle. Auch die Tempi spreizen sich, vom Stillstand bis zum Turbo ist alles dabei. So verblüffend das ist, auch beim stark geforderten Chor, so sehr verströmt vieles die Aura des Gewollten. Seht und hört, was wir alles können, auch das sagt dieser Abend.

Trotz der dreieinhalb Stunden inklusive Pause bleibt man dank Currentzis dran, auch weil der Blick von der Bühne immer wieder abschweift zu diesem (Selbst-)Darsteller. Zu den Salzburger Festspielen passt das alles perfekt, wie der Publikumsjubel zeigt. Eine Wiederbegegnung mit ihm unterm Mönchsberg, dann mit einem „richtigen“ Opernprojekt, wäre 2026 keine Überraschung.

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