Seniorin liegt über zwei Tage hilflos im kalten Keller – Zeitungszustellerin rettet ihr das Leben
„Sie ist mein Schutzengel“: HNA-Zustellerin Melanie Schweighöfer hat der 81-jährigen Renate Apfel aus Kassel das Leben gerettet.
Kassel – „Ohne sie wäre ich nicht gerettet worden. Sie ist mein Schutzengel“, sagt die 81-jährige Renate Apfel am Samstagnachmittag, als sie sich im Bett des Elisabeth-Krankenhauses aufrichtet, und drückt der 51-jährigen Melanie Schweighöfer die Hand. Beide Frauen kennen sich seit zwei Jahren. Oft haben sie miteinander geredet, wenn Melanie Schweighöfer die HNA in Kirchditmold zugestellt hat. Besonders gern haben sich die beiden Frauen über Katzen unterhalten.
Seit einer Woche haben die Zustellerin und die Seniorin eine ganz enge Verbindung. Die 51-Jährige hat der 81-Jährigen das Leben gerettet. Als Schweighöfer am Samstagmorgen, 31. August, die HNA in den Zeitungskasten von Renate Appel steckte, bemerkte sie, dass dort noch die Ausgaben von Donnerstag und Freitag lagen. „Da stimmt was nicht, habe ich mir gesagt.“
Rufe von Seniorin zweieinhalb Tage nicht gehört
Die 51-Jährige steckte einen Zettel in den Briefkasten der Nachbarin von Renate Apfel, die einen Schlüssel zu deren Haus hat, und bat diese, sich bei ihr zu melden. Das machte die Nachbarin am Vormittag. Daraufhin begab sich die Zustellerin wieder zum Haus der alten Dame. Beide Frauen trauten sich allerdings nicht, die Haustür aufzuschließen, weil sie nicht wussten, was sie dort erwartet. Deshalb riefen sie die Polizei. „Ich bin dankbar, dass die Beamten mich ernst genommen haben und sofort gekommen sind.“ Sie öffneten die Tür und riefen nach Frau Apfel. Die habe sofort reagiert und gerufen, dass sie im Keller liege.
Wie sich herausstellte, war die 81-Jährige am Mittwochabend in den Keller gegangen und hatte dort wohl nach dem Rechten sehen wollen. In einer Ecke sei sie dann gestürzt und habe sich mit dem Rücken an der Wand eingeklemmt. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, aufzustehen, berichtet Renate Apfel, die verwitwet ist und alleine lebt. Ihre Rufe wurden durch die geschlossenen Fenster zweieinhalb Tage nicht gehört.
„Seinen Schutzengel muss man doch duzen
Der Notarzt habe später zu ihr gesagt, dass sie wohl keinen weiteren Tag ohne Wasser und ihre Medikamente überlebt hätte, sagt Renate Apfel. Sie und Melanie Schweighöfer duzen sich jetzt. Das hat die Ältere der Jüngeren angeboten. „Seinen Schutzengel muss man doch duzen“, sagt die 81-Jährige und lächelt.
Wenn man die beiden Frauen so beobachtet, dann könnte man denken, es sind Mutter und Tochter, die ein ganz inniges Verhältnis haben. Seitdem die 51-jährige Melanie Schweighöfer vor einer Woche der 81-jährigen Renate Apfel das Leben gerettet hat, indem sie die Polizei alarmierte, sehen sich die beiden regelmäßig.
Laut Arzt wäre Seniorin nach einem Tag mehr gestorben
HNA-Zustellerin Schweighöfer geht fast täglich ins Elisabeth-Krankenhaus, wo Renate Apfel stationär aufgenommen worden ist. Zweieinhalb Tage, von Mittwochabend bis Samstagvormittag, lag die Seniorin allein in ihrem Keller. Sie konnte nicht mehr aufstehen, ihre Hilferufe blieben ungehört.
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Sie habe sehr gefroren, sagt die 81-Jährige, weil sie auf den kalten Fliesen gelegen habe. Das sei allerdings auch großes Glück gewesen, fügt Melanie Schweighöfer hinzu. Wenn es wärmer gewesen wäre, wäre ihr Körper wohl noch stärker dehydriert. „Hätte sie dort noch einen Tag länger gelegen, wäre sie wohl an Flüssigkeitsmangel gestorben.“
Melanie Schweighöfer ist seit drei Jahren Zustellerin, seit zwei Jahren trägt sie die HNA in Kirchditmold aus. Und sie achtet auf ihre Kunden. An dem Freitag habe ihr Sohn sie beim Austragen vertreten, sagt die 51-Jährige. Wenn sie an dem Tag bereits festgestellt hätte, dass die Donnerstagausgabe noch in der Zeitungsrolle steckt, dann hätte sie schon da Hilfe gerufen. Es sei wichtig, dass die Menschen aufeinander achten, sagt die Zustellerin.
Retterin: „Habe noch nie in meinem Leben jemanden gesehen, der so froh war, mich zu sehen“
Sie hat ihre neue Freundin auch davon überzeugt, sich einen Hausnotruf anzuschaffen. Wenn Renate Apfel solch einen Notrufknopf bei ihrem Sturz dabei gehabt hätte, dann hätte sie sofort Hilfe rufen können. Während sie im dunklen Keller eingeklemmt gelegen habe, habe sie kein Zeitgefühl mehr gehabt, sagt die Seniorin, die bei dem Sturz keine Uhr trug.
Zwischenzeitlich sei sie eingeschlafen. „Ich hatte wüste Träume und wusste irgendwann nicht mehr, wo ich bin“, sagt Renate Apfel. Todesangst habe sie allerdings nicht empfunden. „Ich habe mich nur gefragt, wie kommst Du hier wieder raus.“
Als Melanie Schweighöfer mit den Polizisten am Samstagvormittag Renate Apfel im Keller fand, da habe diese aber „tough gewirkt“, so die Zustellerin. „Du hast nicht geweint, Du warst glücklich“, sagt sie zu ihrer mütterlichen Freundin. „Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden gesehen, der so froh war, mich zu sehen.“
„Das ist meine Wiedergeburt“
Renate Apfel fügt hinzu, dass sie jetzt auch wisse, warum ihr Vater den Namen Renate für sie ausgewählt habe. „Renate bedeutet die Wiedergeborene. Das ist meine Wiedergeburt.“
Melanie Schweighöfer und Renate Apfel wollen sich künftig regelmäßig treffen, nicht nur an der Haustür kurz über Katzen reden, die sie beide so sehr mögen. „Ich lasse sie nicht mehr alleine“, sagt Melanie Schweighöfer zu Renate Apfel.
Am Samstagmittag ist Renate Apfel dann doch etwas traurig, dass sie abends nicht zur Museumsnacht gehen kann, die ja nur wenige Meter von ihrem Bett eröffnet wird. Darauf habe sie sich gefreut. Melanie Schweighöfer verspricht ihr, dass sie nächstes Jahr auf alle Fälle das kulturelle Highlight besuchen kann. Zusammen mit ihr. (Ulrike Pflüger-Scherb)