Putins Cyberangriffe auf Deutschland: „Keine Kommune und kein Betrieb, die nicht Opfer geworden sind“
Putins hybride Kriegsführung gegenüber Europa nimmt weiter zu. Auch Deutschland steht im Fokus der Angriffe. Was tun?
Straßburg – Seit Donald Trumps Amtsübernahme in den USA gerät die europäische Sicherheitsarchitektur aus den Fugen. Die Rede des US-Vizepräsidenten J.D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz machte endgültig klar: Die Partnerschaft zwischen Europa und den USA bröckelt. Gleichzeit steigt die Gefahr einer Konfrontation zwischen der EU und Putins Russland. Die EU-Abgeordnete Lena Düpont (CDU) erklärte im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau wie die EU neben der Nato die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger gewährleisten kann.
Die Nato ist – neben den nationalen Regierungen – der zentrale Akteur für die Verteidigung der westlichen Welt. Inwiefern kann die Europäische Union seine Bevölkerung vor äußeren Gefahren wie Russland unter Präsident Wladimir Putin schützen?
Nicht nur in den Nato-Verträgen gibt es eine Beistandspflicht im Falle eines Angriffes, sondern auch in den EU-Verträgen mit Artikel 42, Absatz 7. Zumindest würde ich den Artikel als Solidaritätsklausel bezeichnen, weil dort festgeschrieben ist: Die Mitgliedsländer müssen bei einem „bewaffneten Angriff auf das Hoheitsgebiet“ unterstützen. Diese Klausel wurde bisher einmal aktiviert während der Anschlagsserie der islamistischen Miliz „Islamischer Staat“, bei der 128 Menschen in Frankreich 2015 starben. Zwar ist die EU nicht primär ein militärischer Akteur, die Verträge geben aber alle Möglichkeiten der Unterstützung her – auch im Bereich der zivilen Sicherheit.

Wie kann diese Hilfe aussehen?
Ganz unterschiedlich. Ein wichtiger Bereich ist die Krisenvorsorge. Dabei geht es übrigens nicht nur um militärische Konflikte, sondern auch um Naturkatastrophen, die mit dem Klimawandel zunehmen werden. Die gemeinsame Unterstützung zwischen den europäischen Staaten wird in diesen Zeiten immer wichtiger. Und wir müssen noch viel lernen – beispielsweise bei der hybriden Kriegsführung.
Da spielt die Cybersicherheit eine wichtige Rolle, natürlich auch in der Nato. Im Verteidigungsbündnis kümmern sich die baltischen Staaten hauptverantwortlich um dieses Thema. Wie kann die EU ihre Bevölkerung besser vor Cyberangriffen schützen?
In den vergangenen Monaten hat die EU einige Gesetze für verbesserte Cybersicherheit verabschiedet: beispielsweise das Cyberresilienzgesetz. Damit sollen die Sicherheitsstandards von Produkten mit digitalen Komponenten erhöht werden. Ein noch wichtigeres Beispiel ist die NIS2-Richtlinie, mit der die Sicherheit von Netzwerk- und Informationssystemen geschützt werden soll. Jetzt ist es wichtig, dass die Mitgliedsstaaten diese Beschlüsse umsetzen. Ein wichtiger Sektor ist der Gesundheitsbereich, weil Einrichtungen wie Krankenhäuser besonders verletzlich sind.
Meine News
Putins Russland attackiert Deutschland mit Cyberangriffen
Bei Cyberangriffen denken viele Menschen vermutlich eher an Attacken auf wichtige Einrichtungen der kritischen Infrastruktur.
In Deutschland gibt es keine Kommune und keinen Betrieb, die nicht in irgendeiner Weise Opfer eines Angriffs geworden ist. Und diese Bedrohung wirkt sich sehr konkret auf das Leben der Menschen aus. Aus diesem Grund müssen wir auf EU-Ebene weitere Strategien gegen Cyberangriffe entwickeln. Sanktionen gegen Angreifer sind ein weiteres Instrument. Allerdings ist auch klar: Die Sicherheit der eigenen kritischen Infrastruktur muss jeder Mitgliedsstaat für sich ernstnehmen.
Ein zurzeit sehr bekanntes Beispiel der hybriden Kriegsführung sind die – wohl durch Russland – zerstörten Kabel in der Ostsee. Was kann die Europäische Union gegen Putins Schattenflotte ausrichten?
Die Kontrolle und Überwachung des Gebiets sehe ich im militärischen Bereich – also vorrangig bei der Nato. Allerdings wird der Schutz der kritischen Infrastruktur ein Teil der neuen EU-Strategie zur Inneren Sicherheit sein, indem die Union unterschiedliche Akteure sinnvoll zusammenbringt, um die Kommunikations- und Operationsfähigkeit sicherzustellen. Zudem kann die EU weitere Sanktionen beschließen und den wirtschaftlichen Druck erhöhen. In einem Bereich sehe ich noch enormes Potenzial.
EU und Russland befinden sich nicht mehr im Frieden
In welchem?
Der europäischen Bevölkerung muss noch deutlicher klar werden, dass wir uns zwar noch nicht in einem Krieg mit Russland befinden. Aber: Wir leben nicht mehr im Frieden. Die Bürgerinnen und Bürger werden mehr Eigenverantwortung wahrnehmen müssen – beispielsweise, wie man sich selbst vor Desinformationen besser schützen kann oder eigene Krisenvorsorge betreibt. Das beginnt bei der Frage von Bevorratung lebenswichtiger Dinge wie Medikamente und Lebensmittel, geht über die Auffrischung Erster-Hilfe-Kenntnisse, aber auch in die Auseinandersetzung mit Krisen- und Kriegsszenarien. Wo sind meine wichtigsten Dokumente? Was bedeutet welcher Sirenenton und wo kann ich im Ernstfall Schutz suchen? Das ist nicht angenehm, trägt aber entscheidend zur eigenen Resilienz bei.
Noch heute wird über den Begriff „Kriegstüchtigkeit“ von Verteidigungsminister Boris Pistorius diskutiert. Haben wir Deutsche überhaupt verstanden, dass sich die Zeiten radikal verändert haben?
Natürlich muss sich unsere Gesellschaft noch viel resilienter entwickeln. Mit Privatpersonen war ich bisher nachsichtiger. Wer setzt sich schon gerne mit den beängstigenden Umbrüchen unserer Zeit auseinander? Sich selbst mit den neuen Gefahren und Bedrohungen zu konfrontieren, ist nicht einfach. Aber von den politisch Verantwortlichen erwarte ich deutlich mehr. Wir müssen uns auf alle Szenarien vorbereiten – idealerweise, damit sie niemals eintreten. Sinnvollerweise in der Zusammenarbeit zwischen EU, Nato und allen Mitgliedsstaaten.
Möglicher Krieg mit Russland: Europa vor Problemen – „Schon Feuerwehrschläuche passen nicht“
Was bedeuteten die Veränderungen für Deutschland?
In Deutschland müssen wir unsere föderalistische Staatsstruktur im Blick haben. Wenn ein Notfall eintritt, stellen sich die Fragen: Was kann der Bund machen? Wie reagieren die Länder und Kommunen? Auch zivilgesellschaftliche Akteure wie Hilfsorganisationen spielen eine große Rolle. Und ich frage mich: Wissen alle, was sie im Zweifelsfall tun müssen? Ich glaube, dass wir noch viele Herausforderungen vor uns haben. Als Europäerin weiß ich, dass wir Deutsche hier viel von den Finnen, Schweden und Balten lernen können.
Jetzt haben wir viel über den zivilen Sektor gesprochen. Wie kann die Union die militärischen Einsätze nationaler Armeen erleichtern?
Ein wichtiger Bereich ist die Infrastruktur. Die EU muss Mobilitätshindernisse erkennen und beseitigen. Das ist besonders mit Blick auf Deutschland wichtig. Ein Großteil der militärischen Mobilität führt über deutsche Straßen und Brücken. Ihre Tragfähigkeit muss gesichert sein. Wir haben das Potenzial von transeuropäischen Verkehrsnetzen wie Zugschienen und Autobahnen noch nicht ausgeschöpft. Und wir müssen alle bürokratischen Verwaltungshürden abbauen.
Und sicherlich könnte die EU dabei helfen, den europäischen Rüstungsmarkt zu stärken.
Ja, ein Großteil der jetzigen Politiken betrifft den Binnenmarkt für Verteidigungsgüter. Parallel dazu müssen vorhandene Systeme aneinander angepasst werden, damit sie von verschiedenen Armeen genutzt werden können. Übrigens gilt das nicht nur für die militärische Seite, sondern auch für die zivile. Ein Beispiel ist die tragische Flutkatastrophe in Ahrtal. Unsere Nachbarn konnten uns aus einfachsten Gründen nicht so effektiv unterstützen, weil die Einsatzkräfte feststellen: Die Schläuche der einen Feuerwehr passen grenzüberschreitend nicht zu den Schläuchen der anderen. Solche Erkenntnisse will ich nicht erst im Ernstfall gewinnen. (Interview: Jan-Frederik Wendt)