„Unser Wohlstand ist in akuter Gefahr“ – Verbände warnen Politik vor schwacher Wirtschaft
Ökonomen und Verbände warnen vor einem wirtschaftspolitischen Stillstand – und einem einseitigen Fokus: Migration und Wirtschaft sind eng miteinander verknüpft.
Berlin – Die AfD fordert in ihrem Wahlprogramm unter anderem eine Rückkehr zur D-Mark und eine Zerschlagung der EU – Maßnahmen, die laut führenden Ökonomen und Unternehmern katastrophale Folgen für Deutschlands Wirtschaft hätten. Dennoch bestimmt statt wirtschaftspolitischer Inhalte längst das Thema Migration den Wahlkampf. Die CDU verschärft den Ton und nimmt die AfD als faktischen Unterstützer bei einem härteren Kurs in Kauf. Kritiker sehen in Maßnahmen wie Kontrollen an deutschen Grenzen und dem Stopp von Familiennachzug ein Zeichen, dass die Brandmauer zur AfD bedrohlich wankt. Parallel warnen Experten davor, dass die wirtschaftliche Stagnation nicht nur übersehen, sondern durch falsche politische Prioritäten weiter verschärft wird.
Verbände fordern wirtschaftspolitische Maßnahmen: „Zukunft des Landes steht auf dem Spiel“
Obwohl Deutschland vor einer dritten Rezession in Folge steht, sollte die Politik nicht gegensteuern. Auch deshalb hagelte es von einigen Verbänden und Institutionen nun deutliche Kritik an den Parteien: Stefan Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA, monierte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung etwa, dass die wirtschaftlichen Herausforderungen bestehen blieben und sieht darin auch gleichzeitig die Lösung für die Migrationsdebatte: „Je stärker unsere Wirtschaft wächst, desto einfacher wird es sein, gesellschaftspolitische Herausforderungen zu bestehen.“ Noch deutlicher wird Christoph Ahlhaus, Geschäftsführer des Mittelstandsverbands BVMW: „Unser Wohlstand ist in akuter Gefahr. Deutschlands Wirtschaft hat keine Zeit mehr zu verlieren“, erklärt er gegenüber ntv und appelliert an die Politiker: Diese sollen sich auf die drängenden Probleme für die deutsche Industrie und Wirtschaft besinnen.

Bereits am Wirtschaftswarntag in Berlin am 29. Januar hatten sich zahlreiche Wirtschaftsverbände unisono positioniert. Die Initiative forderte in einer gemeinsamen Mitteilung von der Politik, endlich das Ausmaß der Krise zu erkennen und entschlossen zu handeln. Marie-Christine Ostermann, Präsidentin der Familienunternehmer, Rednerin am Warntag sagte gegenüber dem Handelsblatt, dass es „uns Unternehmern mit schlechter Wirtschaftspolitik reicht – die Zukunft unseres Landes steht auf dem Spiel“.
Grenzkontrollen gefährden Wohlstand: DIW sieht ohne Migration Wachstum in Gefahr
Doch auch die scharfen Töne der CDU und CSU zur Migration bereiten einigen Wirtschaftsvertretern Sorgen. So warnte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Tanja Gönner, etwa davor, dass Deutschland nicht an Attraktivität für ausländische Arbeitskräfte verlieren dürfe. Hier lägen große Herausforderungen für den Standort. Auch Forderungen nach Grenzkontrollen innerhalb der EU gefährden die ohnehin angeschlagene deutsche Industrie: „Der freie grenzüberschreitende Waren- und Personenverkehr ist für die international vernetzte deutsche Industrie entscheidend“, erklärt Gönner weiter. Wie eng beide Themen zusammen gedacht werden müssen, beweist eine Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Um das Produktionspotenzial der deutschen Wirtschaft langfristig zu steigern, falle demnach der Migration eine zentrale Rolle zu.
Berechnungen des Instituts zeigten, dass „ohne Migration die Wachstumsrate des Potenzials von derzeit lediglich 0,4 Prozent rasch auf null sinken würde.“ Um den Wert wieder auf stabiles Niveau um 1,1 Prozent anzuheben, bedarf es einer Zuwanderung von 1,5 Millionen Erwerbspersonen, so das Institut. Die Pläne der Union zu stärkeren Grenzkontrollen und einer Aussetzung des Familiennachzugs für bestimmte Gruppen würde laut dem DIW-Präsident Marcel Fratzscher die „Integration erschweren, die Arbeitskräftelücke vergrößern und die Kosten für den Staat erhöhen“.
CDU bei Koalitionsverhandlungen beschädigt? Wirtschaftswaisin sieht Fehler der Union
Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel rechnet bei Grenzkontrollen mit Kosten im Bereich von mehreren Milliarden Euro. Unter Umständen könnten bei umfänglichen Kontrollen sogar die Importe aus EU-Staaten um rund drei Prozent zurückgehen, erklärt Matthias Lücke gegenüber dem Spiegel. Gleichzeitig könnten sich die „Grenzkontrollen ökonomisch unter Umständen lohnen“ – da die fiskalischen Kosten bei der Aufnahme von Flüchtlingen „nennenswert“ seien, ergänzt Lücke. Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer blickt hingegen schon auf die Zeit nach der Wahl, wenn es zu Koalitionsverhandlungen komme. In diesem Szenario habe die CDU, die in aktuellen Umfragen mit deutlichem Abstand bei 32 Prozent stärkste Partei ist, mit ihrem Verhalten in der Migrationsdebatte Schaden angerichtet: „Das wird die Koalitionsverhandlungen nicht einfacher machen und die Unsicherheit eher erhöhen, wie zügig nach der Wahl eine Regierungsbildung gelingen wird. Unsicherheit aber schwächt nachweislich die Investitionstätigkeit der Unternehmen“, erklärt Schnitzer im Handelsblatt.
Meine News
Dabei – und da sind sich eigentlich alle Vertreter einig, komme es bei für eine neue Bundesregierung darauf an, so schnell wie möglich Planungssicherheit für die Wirtschaft zu schaffen.