Die deutsche Wirtschaft schlägt Alarm – doch was könnte wirklich helfen?

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Beim Warntag schlug die deutsche Wirtschaft Alarm – und forderte schnelle Maßnahmen. Diese reichten jedoch nicht aus, um die komplexen Probleme zu lösen, kritisiert nun ein Ökonom.

Düsseldorf – Insolvenzen, Stellenabbau, miese Konjunkturprognosen. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr: Der deutschen Wirtschaft geht es schlecht. Wie ernst die Lage tatsächlich ist, mahnte gestern das „Aktionsbündnis Wirtschaftswarntag“ mit zentralen Kundgebungen in ganz Deutschland an. Das Bündnis veröffentlichte dazu einen Forderungskatalog, der die „Wirtschaftswende“ einläuten soll. So wie bisher geht es nicht weiter, sagt auch der Ökonom Jens Südekum. Doch um dem Wirtschaftsstandort zu einem Wachstumsschub zu verhelfen, reichten die geforderten Maßnahmen nicht aus. 

Beim gestrigen Warntag schlug die deutsche Wirtschaft Alarm – und forderte schnelle Maßnahmen. Diese reichten jedoch nicht aus, um die komplexen Probleme zu lösen, kritisieren Ökonomen.
Beim gestrigen Warntag schlug die deutsche Wirtschaft Alarm – und forderte schnelle Maßnahmen. Diese reichten jedoch nicht aus, um die komplexen Probleme zu lösen, kritisieren Ökonomen. © Hannes P Albert/dpa

Wirtschaft funkt SOS mit bundesweitem „Warntag“ und veröffentlicht 10-Punkte-Forderungskatalog

Über 100 Verbände und zahlreiche Unternehmen hatten am Donnerstag (30. Januar) zum sogenannten „Wirtschaftswarntag“ aufgerufen. Unter anderem in Berlin, Hamburg und München machten sie auf Kundgebungen auf die ernste wirtschaftliche Lage in Deutschland aufmerksam und forderten die kommende Bundesregierung zum Handeln auf.

 Die Probleme der deutschen Wirtschaft sind zu komplex, um sie mit Bürokratieabbau, Steuersenkungen und Senkungen von Arbeits- und Lohnkosten zu lösen.

Insgesamt zehn Punkte umfasst der Forderungskatalog des Bündnisses der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, darunter Bürokratieabbau, Steuersenkungen und eine Obergrenze der Sozialabgaben von 40 Prozent. Doch Ökonomen geht dieses Konzept nicht weit genug: „Die Probleme der Wirtschaft sind zu komplex, um sie mit Bürokratieabbau, Steuersenkungen und Senkungen von Arbeits- und Lohnkosten zu lösen“, so Jens Südekum, Ökonom und Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.

„Toxischer Mix“: Deutsche Wirtschaft schlägt Alarm – doch Ökonomen fordern mehr

Deutschland als Wirtschaftsstandort leide unter einem „toxischen Mix“, einer Gemengelage aus strukturellen Problemen und Nachfragemangel. „Diesen Komplex löst man nicht mit Schlagworten auf“, erklärt Südekum. Für eine wirksame Therapie reiche kein Abbau der Bürokratie aus, „auch wenn das sicher eine vernünftige Maßnahme ist“.

„Fehlende Nachfrage verträgt sich nicht mit Sparkurs“: Ökonom fordert Agenda mit massiven Investitionen

Eine fehlende Nachfrage vertrage sich nicht mit einem Sparkurs, so der Ökonom vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE), „darum braucht es eine Agenda, die massive Investitionen enthält – und zwar sowohl öffentliche als auch Anreize für private Investitionen bietet“. 

Der größte deutsche Industrieverband BDI hat in einer Studie solide Berechnungen aufgestellt sowie politische Handlungsempfehlungen erarbeitet, wie Deutschland wieder auf Wachstumskurs kommen kann.

„Eindimensionale Berechnungen“: Ökonom erklärt, was der Wirtschaft wirklich helfen könnte

Das Forderungs-Papier sei „eindimensional“ vernachlässige diesen Punkt und ließe jede schlüssige Rechnung für eine Gegenfinanzierung vermissen. „Die Kampagne wäre erfolgreicher, wenn sie ein durchfinanziertes Konzept vorstellen würde“. 

Südekum wundert sich darüber, denn dieses gebe es eigentlich: „Der der Initiative nahestehende größte deutsche Industrieverband BDI hat Ende des vergangenen Jahres mit der Studie ‚Transformationspfade‘ eine solide Berechnung aufgestellt sowie politische Handlungsempfehlungen erarbeitet, wie Deutschland wieder auf Wachstumskurs kommen kann“, sagt der Wirtschaftsexperte. 

Um wieder auf Wachstumskurs und auf Zielkurs bei der Klimatransformation zu kommen, müssen bis 2030 1,4 Billionen Euro zusätzlich investiert werden.

Studie des Industrieverbandes: Wachstumskurs braucht „1,4 Billionen Investitionen zusätzlich“

„20 Prozent der deutschen Industrie sind akut gefährdet, wenn nicht gegengesteuert wird. Um wieder auf Wachstumskurs und auf Zielkurs bei der Klimatransformation zu kommen, müssen bis 2030 1,4 Billionen Euro zusätzlich investiert werden“, heißt es dort. Es sei klar festgehalten, dass ein Investitionsvolumen von 450 Milliarden aus staatlichen Mitteln, 950 Milliarden aus privaten Investitionen nötig sei, rechnet Südekum, „das bedeutet, der Staat muss jährlich zusätzlich 70 Milliarden in die Hand nehmen”. 

In der Studie werde auch benannt, wo Potenziale zu Einsparungen liegen, aber es werde auch thematisiert, dass fehlende Mittel für Investitionen aus Sondervermögen rekrutiert werden sollten. „Diese könnten dann in der Verfassung verankert werden, wie es auch bei den Ausgaben für die Bundeswehr geschehen ist“, so Südekum. Das müsse möglichst schnell geschehen, denn „Deutschland verliert wertvolle Zeit“

„Riesiger Bedarf bei Infrastruktur und Transformation“: Deutsche Wirtschaft in Schräglage

Schon länger mahnen internationale Top-Ökonomen an, dass Deutschlands Geschäftsmodell „kaputt“ sei. Der dänische Ökonom Jacob Kirkegaard, Forscher am Peterson-Institut für internationale Wirtschaft in Washington, D.C. warnte davor, dass das Land mit falschem Geiz in eine tiefe Rezession schlittern werde – und erklärte das Einhalten der Schuldenbremse zur makroökonomischen „Verrücktheit“. „In den Bereichen Infrastruktur, Investitionen und Transformation besteht riesiger Handlungsbedarf“, bestätigt auch der Wirtschaftsexperte Südekum. 

„Werden niemals günstiger produzieren als China“: Qualitätsherrschaft statt Lohndumping

Ein weiteres Problem, das den Industriestandort bedrohe, sei ebenfalls nur über eine Investitionsoffensive lösbar: der internationale Wettbewerb um Preise. Südekum nennt das Beispiel Autoindustrie, konkret: die Elektromobilität. „Hier ist es der falsche Weg, beim Lohndumping anzusetzen“. Man werde niemals günstiger produzieren können als China. Das Gleiche gelte für die Stahlindustrie. „Hier geht es darum, die Qualitätsherrschaft zu übernehmen – und mit einem hervorragenden Preis-Leistungs-Verhältnis zu punkten“. Dafür müsse in die Technologieentwicklung investiert werden. 

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