Ukraine-Marine im Umbruch: Vize-Admiral will russisches Gebiet angreifen
Der ukrainische Vizeadmiral will den Krieg nach Russland zurücktragen – mit deutschen Waffen. Vielleicht hat Olaf Scholz doch Grund zur Vorsicht.
Kiew – Mangel beherrscht die Ukraine überall: zu Lande, in der Luft und zu Wasser. Jetzt plant das von Russland überfallene Land, sich vor allem dort zu verstärken: Gegen Wladimir Putins Truppen will die Ukraine auch mit ihrer Marine auf Augenhöhe kommen. Großbritannien soll im Ukraine-Krieg helfen, wie Sky News jetzt berichtet. Neben der Lieferung von Panzern und Raketen gab der britische Verteidigungsminister Grant Shapps im Dezember bekannt, dass zwei Minenjäger der Royal Navy an die ukrainische Marine übergeben würden, obwohl die Schiffe aufgrund des eingeschränkten Zugangs zum Schwarzen Meer bis Kriegsende nicht in ukrainische Häfen einlaufen könnten – die Türkei verweigert deren Durchfahrt ins Schwarze Meer.
Berichten zufolge erwägt Großbritannien auch die Ausmusterung von zwei Fregatten des Typs 23 wegen eines Mangels an Seeleuten. Auch auf diese Schiffe hat die Ukraine ein Auge geworfen. Nach wie vor plant die Ukraine, den Krieg nach Russland direkt zurücktragen und fordert entsprechende Waffen von den Westmächten. Möglicherweise liegt der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seiner Vorsicht letztendlich dann doch richtig. Aktuelle Aussagen der ukrainischen Admiralität lassen aufhorchen.
Die Stärke der ukrainischen Seestreitkräfte ist seit der Annexion der Krim durch Russland 2014 ein Geheimnis. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und der daraus resultierenden Unabhängigkeit der Ukraine befand sich die Schwarzmeer-Flotte der sowjetischen Marine auf dem Territorium der Ukraine – diese kleinste der vier russischen Flotten sollte ursprünglich zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation jeweils zur Hälfte aufgeteilt werden: die rund 300 Schiffe und Boote umfassende Armada sowie die Gebäude und Hafenanlagen. Letztendlich blieben der Ukraine aber wohl lediglich nur rund 60 mehr oder weniger überholungsbedürftiger Schiffe.
Krim-Annexion: Seestreitkräfte der Ukraine ohne Schiffe und ohne Abwehr-Chance
Der Ukraine misslang bisher, eine größere Anzahl davon seetüchtig zu machen oder zu erhalten. Reparaturen beschränkten sich auf das Nötigste oder wurden nur durchgeführt, um das Schiff zu verkaufen. Gegen die Annexion der Krim 2014 hatte die Ukraine folglich keine Abwehr-Chance, außerdem soll in bedeutsamem Umfang auch Personal übergelaufen sein. In den folgenden Jahren wurden daher ein großes Neubauprogramm und zahlreiche Reformen beschlossen, ohne entscheidenden Einfluss auf das Kriegsgeschehen zu nehmen.
1995 vereinbarte der damalige russische Präsident Boris Jelzin mit dem damaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma, dass Sewastopol weiterhin Stützpunkt der russischen Marine bleibt und die militärische Infrastruktur der Krim von Russland genutzt werden darf. Der eisfreie Tiefwasserhafen Sewastopol ist seitdem der Hauptstützpunkt der Flotte; dort waren zu Kriegsbeginn etwa 80 Prozent der Kampfeinheiten Russlands stationiert.
Die Minenjäger, ursprünglich HMS Grimsby und HMS Shoreham, wurden im Juni 2023 in Glasgow in Chernihiv und Cherkasy umbenannt und werden der Ukraine helfen, eine wichtige Route für die Handelsschifffahrt über das Schwarze Meer aufrechtzuerhalten. Russland hatte versucht, die Zugänge zu den ukrainischen Häfen in und um Odessa zu verminen und damit gedroht, zivile Schiffe in die Luft zu jagen, doch der effektive Einsatz von Raketen und Seedrohnen durch die ukrainischen Seestreitkräfte hat die Moskauer Flotte immer weiter zurückgedrängt. Allerdings werden die Schiffe wohl erst nach Kriegsende das Schwarze Meer erreichen: Anfang Januar 2024 blockierte die Türkei die Überstellung dieser beiden Schiffe zur Minenräumung in die Ukraine und verbot ihnen, ihre Gewässer auf dem Weg zum Schwarzen Meer zu durchqueren.
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Ukraine-Krieg: Verlust der Krim ist wohl gleichbedeutend mit Niederlage Russlands
Experten gehen davon aus, dass der Ukraine-Krieg nach dem Verlust der Krim für Wladimir Putin nicht mehr zu gewinnen sein wird. Für Russland ist die Krim erstens ein Prestige-Objekt und zweitens der Brückenkopf ins Schwarze Meer, so das Online-Magazin Dekoder: „Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der neuen Unabhängigkeit der Ukraine seit 1991 wurden die Schwarzmeer-Flotte und insbesondere die in Sewastopol stationierten russischen Soldaten zu einem wichtigen Einflussfaktor Russlands in der Ukraine. Die Schwarzmeer-Fotte war dabei Mittel und Zweck einer russischen Politik der Einflussnahme und der Verhinderung ukrainischer Nato-Ambitionen.“ Die Schwarzmeer-Flotte verhilft Russland überdies zur Stützung des Assad-Regimes in Syrien.
Die Ukraine würde den Krieg schneller gewinnen, wenn sie die Erlaubnis hätte, britische und andere westliche Waffen gegen Ziele tief im Inneren Russlands abzufeuern, sagte jetzt Vizeadmiral Oleksiy Neischpapa gegenüber Sky News; also genau das, was beispielsweise die deutsche Regierung zu verhindern sucht. Neben dem Einsatz der von Deutschland zurückgehaltenen Taurus-Marschflugkörper will der Kommandeur der ukrainischen Marine auch auf See operationsfähig werden. Ohne eigene große Schiffe seien die ukrainischen Verbände vergeblich bemüht, russische Kampfschiffe rund um die Krim zu bekämpfen und diese auch von der Küste der Ukraine fernzuhalten.
Den bisher größten Erfolg der ukrainischen Seestreitkräfte markiert die Versenkung des russischen Raketenkreuzers Moskwa im April 2022. „Damals erkannte die Ukraine, dass Moskau in diesem Krieg geschlagen werden kann“, sagte der Vizeadmiral. Dieses Momentum wolle er ausnutzen. Zuletzt hat die Ukraine in geheimen Operationen mehrere Angriffe gegen die russischen Seestreitkräfte geführt, mit dem Erfolg, dass Moskau seine wichtigen Kriegsschiffe von der Krim nach Noworossijsk verlegt hat. Dabei sollen unter anderem Schnellboote als Seedrohnen, Unterwasserdrohnen und selbst Jet-Skier eingesetzt worden sein. Auch das Hauptquartier der Russen in Sewastopol war getroffen worden, von einem Marschflugkörper. „Unsere Siege in den Jahren 2022 und 2023 basieren auf innovativen Lösungen“, sagte Neischpapa.
Kraft durch Innovation: Marine der Ukraine setzt auf Drohnen und autonome U-Boote
Diese Innovationen sieht er ganz klar in der Automatisierung des Krieges: in Drohnen. Die Verteidiger basteln neben einer Armee von Drohnen inzwischen wohl auch an unbemannten U-Booten, um die Schwarzmeer-Flotte Russlands endgültig auszumanövrieren. Konventionelle Kriegführung ist auf Dauer schlichtweg unbezahlbar – auf dem Land genauso wie zur See. Jetzt startet die Ukraine Ende Januar sogar eine neue Offensive im eigenen Land: einen Hackathon unter der Überschrift „Offensive der Maschinen“ – das Verteidigungsministerium will damit kreative Köpfe versammeln, um die besten technologischen Lösungen zur Verbesserung unbemannter Systeme an der Front zu finden. Der Hackathon „Offensive der Maschinen“ ist eine gemeinsame Veranstaltung des Verteidigungsministeriums der Ukraine, des Generalstabs der Streitkräfte der Ukraine, des Ministeriums für strategische Industrien und des Verteidigungstechnologie-Clusters Brave1.
Allerdings hilft das kurzfristig wenig. Großbritannien, die USA und andere Verbündete einigten sich erst Anfang des vergangenen Jahr darauf, der Ukraine Langstreckenraketen zu liefern. Ukrainische Streitkräfte haben sie eingesetzt, um Ziele in den von Russland besetzten Teilen der Ukraine anzugreifen, jedoch nicht tief im Inneren Russlands; die Europäer befürchten die Eskalation des Konflikts – einen Weltenbrand. Trotz großer Kritik aus Kreisen der Opposition und sogar der eigenen Regierungskoalition weigert sich beispielsweise vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu überlassen und damit womöglich den Zorn Russlands auf Deutschland zu ziehen.
Diskutierendes Deutschland: Bundeskanzler verteidigt sich gegen Regierung und Opposition
Selbst Teile von Bündnis 90/Die Grünen wetzen inzwischen die Messer gegenüber Russland. Der Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Europaangelegenheiten, Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), kritisiert Olaf Scholz für sein wiederholtes Zögern bei Waffenlieferungen für die Ukraine. „Der Bundeskanzler ist bekannt für seine Beratungsresistenz und außerdem für seine langanhaltend falschen Analysen des Ukraine-Kriegs“, machte der Grünen-Politiker gegenüber Phoenix deutlich. Deutschland werde innerhalb der Europäischen Union „seiner Rolle als ein führendes Land nicht ansatzweise gerecht“, sagte Hofreiter. Das schwäche den Abwehrkampf gegen Russland.
Die Gefahr eines ukrainischen Angriffs auf das russische Kernland scheint tatsächlich zu bestehen, denn das, was der Ukraine fehlt, ist die Fähigkeit, westliche Langstreckenwaffen wie die britische Storm Shadow-Rakete oder amerikanische Atacms (Army Tactical Missile Systems) gegen militärische Ziele innerhalb Russlands einzusetzen, um das Übel direkt an der Wurzel zu bekämpfen. Auf die Frage von Sky News, ob er glaube, dass die Ukraine den Krieg mit einer solchen Erlaubnis schneller gewinnen könnte, sagte der Befehlshaber der ukrainischen Seestreitkräfte: „Natürlich werden wir umso schneller gewinnen, je früher unsere Streitkräfte über die notwendigen Kampfmittel und dementsprechende Fähigkeiten verfügen, um die Infrastruktureinrichtungen des Feindes zu zerstören.“
Großzügiges Großbritannien: Zwei Minenjäger kommen und eventuell zwei Fregatten
Hilfe kommt eventuell erneut aus Großbritannien, wie die Zeitung The Telegraph schreibt. Danach fehlen der britischen Royal Navy so viele Seeleute, dass sie Berichten zufolge zwei Fregatten des Typs 23, also der „Duke-Klasse“, außer Dienst stellen muss, um ihre neue Fregatten-Klasse zu besetzen. Damit würde sie die Duke-Klasse von elf auf neun Schiffe verkleinern; zur Disposition stehen laut Informationen aus Verteidigungs- und Regierungsquellen die 1991 beziehungsweise 1994 in Dienst gestellten Fregatten HMS Argyll und HMS Westminster. Weder die Royal Navy noch das britische Verteidigungsministerium sind auf die Behauptungen bisher eingegangen.
Gegenüber Sky News betonte Neischpapa, dass er die Ausmusterungspläne gespannt verfolge. Großbritannien war gegenüber der Ukraine immer großzügig und hat seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 bisher fast 5,5 Milliarden Euro an Militärhilfe und Waffenspenden im Wert von 2,7 Milliarden Euro pro Jahr – zugesagt, aber Großbritannien hat bisher keinen Plan veröffentlicht, wie sie in diesem und im kommenden Jahre weiter verfahren wollen. Auf der Wunschliste der Ukraine sind die Schiffe jedoch schon festgehalten.
Da sich Russland anpasse, müsse auch die Ukraine ihre Strategie anpassen. „Ein moderner Krieg ist ein Krieg der Technologien, und wer auch immer im technologischen Sinn gewinnt, trägt den Sieg davon“, resümierte Neischpapa: „Wir hätten gerne die Möglichkeit, um Russland davon abzubringen, jemals wieder ein Auge auf die Ukraine zu werfen, in diesem Fall auch auf das Meer.“ (Karsten Hinzmann)