Ökosysteme - Kolossaler Eisberg löst sich und gibt faszinierende Unterwasserwelt frei
Am 13. Januar 2025 ereignete sich ein beeindruckendes Naturphänomen in der Antarktis: Ein riesiges Stück Eis löste sich vom George-VI-Eisschelf und driftet seitdem entlang der Küste des Südkontinents. Dieses Ereignis legte eine 510 Quadratkilometer große Meeresboden-Fläche frei, die in etwa so groß ist wie die US-Stadt Chicago.
Forschungsschiff entdeckt Erstaunliches auf bisher nahezu unberührtem Meeresboden
Zufällig befand sich das Forschungsschiff „R/V Falkor (too)“ des Schmidt Ocean Institute in der Nähe und änderte sofort seinen Kurs, um das bislang nahezu unberührte Gebiet zu erforschen – mit erstaunlichen Ergebnissen, wie die beteiligten Organisationen berichteten.
Unter dem Schelfeis verbirgt sich ein extrem lebensfeindlicher Lebensraum, der durch ständige Dunkelheit und Kälte gekennzeichnet ist. Tiere sind dort ständig der Gefahr ausgesetzt, vom bewegenden Eis zerquetscht zu werden. Dennoch entdeckte das Forscherteam um Pedro Martínez Arbizu vom Institut Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven mit dem ferngesteuerten Tauchroboter „ROV SuBastian“ eine lebendige Unterwasserwelt.
Schelfeis in der Antarktis
- Schelfeis ist eine große schwimmende Eisplatte, die von Gletschern, Eisströmen oder Eiskappen gespeist wird und aus dem Meer ragt.
- Das antarktische Schelfeis ist oft 200 bis 1000 Meter dick. An seinen Rändern brechen regelmäßig Eisberge ab, was als Kalben bezeichnet wird.
- Die Stabilität des Schelfeises ist wichtig für den Meeresspiegel, da das Schmelzen von schwimmendem Eis den Meeresspiegel leicht ansteigen lässt und das Ablösen des Schelfeises ein schnelleres Abfließen der Inlandgletscher ins Meer ermöglicht.
- Die größten Schelfeisflächen befinden sich in der Antarktis, darunter das Ross-Schelfeis (487.000 km²) und das Filchner-Ronne-Schelfeis (449.000 km²).

Beobachtungen am Meeresboden zeigen große Artenvielfalt
Acht Tage lang untersuchten sie den Tiefseeboden in Tiefen von bis zu 1300 Metern – eine Zone, in der das Schelfeis bereits schwimmt und nicht mehr auf Grund liegt. Ihre Beobachtungen brachten eine Vielzahl von Arten ans Licht, darunter große Kaltwasserkorallen, Schwämme, Seeanemonen, Oktopusse, riesige Seespinnen und Eisfische. Die Forscher vermuten, dass sich unter diesen Lebewesen noch unbekannte Arten befinden könnten.
Patricia Esquete von der Universidade de Aveiro in Portugal äußerte ihre Überraschung: „Wir hatten nicht erwartet, ein so schönes, blühendes Ökosystem zu finden. Auf Grund der Größe der Tiere gehen wir davon aus, dass diese Gemeinschaften seit Jahrzehnten, vielleicht sogar seit Hunderten von Jahren existieren.“
Meeresströmungen könnten eine wichtige Rolle beim Nährstofftransport spielen
Allerdings bleibt unklar, wie dieser Lebensraum mit Nährstoffen versorgt wird. Normalerweise erfolgt dies durch herabsinkendes organisches Material, doch das Gebiet war bis Januar durch eine 150 Meter dicke Eisschicht isoliert. Arbizu und sein Team vermuten daher, dass Meeresströmungen eine wichtige Rolle bei der Nährstoffzufuhr spielen.
Neben den biologischen Daten analysierte das Team auch die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Ökosystems, insbesondere die Rolle des Schmelzwassers. Seit Jahrzehnten verliert das George-VI-Schelfeis an Masse und zieht sich zurück, was sich in Zukunft noch verstärken könnte.

Starke Schmelzwasserzuflüsse wurden beobachtet
Die Forscher stellten starke Schmelzwasserzuflüsse vom Schelf ins Meer fest und beobachteten gleichzeitig eine hohe biologische Produktivität, möglicherweise begünstigt durch eingetragene Nährelemente wie Eisen. Die freigelegte Fläche bietet nun die Möglichkeit, langfristig zu beobachten, wie sich das Ökosystem im Laufe der Zeit verändert.
Die Entdeckungen rund um das George-VI-Eisschelf eröffnen neue Perspektiven für die Forschung und geben Einblick in bislang unerforschte Lebensräume. Die Wissenschaftler sind gespannt darauf, weitere Geheimnisse dieser faszinierenden Unterwasserwelt zu lüften und die Auswirkungen des Schmelzwassers auf das Ökosystem langfristig zu untersuchen.
Vor der Küste der Antarktis driftet der Eisberg A-84 mit hoher Geschwindigkeit
Dieser abgebrochene Eisberg namens A-84 hat kürzlich für Aufsehen gesorgt. Er driftete in nur einem Monat rund 250 Kilometer weit. Der Eisberg, fast so groß wie Chicago, wurde von Forschern des U.S. National Ice Center vermessen: Er ist rund 30 Kilometer lang und 17 Kilometer breit. Die Nasa-Missionen Terra und Aqua sowie der Satellit Suomi-NPP dokumentierten die Bewegung von A-84 zwischen dem 15. Januar und dem 15. Februar 2025.
Die schnelle Bewegung des Eisbergs überraschte die Wissenschaftler, da sich Eisberge dieser Größe normalerweise langsamer bewegen. Das Abbrechen von A-84 ist ein starkes Indiz für den Klimawandel, auch wenn es keinen nennenswerten Einfluss auf den Meeresspiegel hat, aber die Meeresströmungen beeinflussen könnte. Wissenschaftler verfolgen den Weg des Eisbergs genau, um mehr über die Reaktion des antarktischen Eises auf steigende Temperaturen zu erfahren.
Das Original zu diesem Beitrag "Eisabbruch legt unbekannte Lebenswelt frei" stammt von Spektrum.de.