Ein Konzert mit Symbolkraft: Liberation Concert mit dem Jerusalem Symphony Orchestra in St. Ottilien
Am 27. Mai 1945 erklingen in St. Ottilien Klassiker, jüdische Volkslieder und die Hymne der Aliierten. Jüdische Musiker aus den Konzentrationslagern spielen das erste Liberation Concert für die hoffnungslosen Überlebenden – als Displaced Persons Orchestra.
St. Ottilien – Am vergangenen Samstag, 79 Jahre und vier Monate später, gab es wieder ein Konzert. Nicht wie damals zwischen dem heutigen Tagesheim und der Schulkirche St. Michael in St. Ottilien, sondern in der Klosterkirche. Der Andrang der Besucher war so groß, dass sich die Warteschlange im Eingangsbereich mehrmals von hinten nach vorne zog. Gerade noch pünktlich fanden auch die Letzten ihren Platz auf den Kirchenbänken und lauschten dem mittlerweile sechsten Erinnerungskonzert. In diesem Jahr zu Gast: das Jerusalem Symphony Orchestra unter der Leitung von Julian Rachlin.
Liberation Concert in St. Ottilien - Faszinierendes Horn-Solo
Eröffnet wurde der Abend allerdings von einem anderen Musiker: Bar Zemach. Der 24-Jährige Horn- und Schofar-Solist des West-Eastern Divan Orchestras füllte mit dem Klang seines einzigartigen Antilopen-Horns den Kirchenraum von St. Ottilien. Das traditionell-jüdische Musikinstrument hatte er von seinem Großvater zum 18. Geburtstag bekommen, mit dem Auftrag, seinen Klang durch die Welt zu tragen, was für Staunen und regen Applaus bei den Zuhörern sorgte, unter denen auch Ehrengäste wie Schirmherrin Charlotte Knobloch, der frühere Kanzlerberater von Helmut Kohl, Prof. Dr. Horst Teltschik, die Generalkonsulin Israels Talya Lador-Fresher und ihr US-Kollege Dr. James Miller saßen. Ebenfalls zum Konzert gekommen waren Bundestagsabgeordneter Michael Kießling (CSU), Antisemitismusbeauftragter Dr. Ludwig Spaenle und Staatsminister a.D. Dr. Thomas Goppel.
Still wurde es in der Kirche beim Cellospiel von Maximilian Hornung und seiner Interpretation von Peter Tschaikowskys Nocturne d-Moll. Vor allem begeisterte der gebürtige Augsburger mit seinem Spiel des Cellokonzerts Nr. 1 in C-Dur von Joseph Haydn und der Vertonung des jüdischen Gebets Kol Nidrei von Max Bruch aus dem Originalprogramm des Jahres 1945. Hornung war für den erkrankten Altmeister Mischa Maisky eingesprungen und entlockte seinem begeisterten Publikum mit dem Prélude aus der Bach-Cello Suite Nr. 1 als Zugabe den ein oder anderen „Bravo!“-Ruf – genauso, wie das Zusammenspiel des Orchesters.
Führendes Orchester
Das Jerusalem Symphony Orchestra wurde im Jahr 1938 von Emigranten aus Deutschland als Rundfunkorchester von Palästina gegründet und gilt als führendes israelisches Orchester. Musiker aus West- und Ostjerusalem, Emigranten aus der Ukraine, Russland, Israelis und Musiker aus Jordanien formieren das Orchester, das unter der Leitung von Julian Rachlin steht. Der Chefdirigent ist ebenfalls jüdischer Abstammung und emigrierte 1978 nach Österreich.

Für ihn hat das Liberation Concert eine spezielle Bedeutung: Die ganze Familie seiner Großmutter war im Dritten Reich umgebracht worden. „Insofern ist dieses Thema für mich und meine Familie allgegenwärtig. Auch als Chefdirigent des Jerusalem Symphony Orchestras. Ich erlebe sowohl die Problematik des Antisemitismus als auch die sehr wichtige emotionale Kraft der Musik“, sagte Rachlin in einem Interview der AMMERSEErenade. Auch für Abtprimas Jeremias Schröder OSB hat die Musik eine besondere Energie. Das Konzert vor 79 Jahren sei eine trotzige Geste gewesen: Wir leben noch! „Vielleicht wird uns jetzt wieder das Geschenk der Hoffnung zuteil wie im Mai 1945.“
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„Eine schöne und wichtige Tradition ist gewachsen, die die Erinnerung an die Überlebenden und jenes Konzert vom 27. Mai 1945 auf künstlerische Weise lebendig hält“, betonte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern in ihrem Grußwort. Doch sei in diesem Jahr etwas anders. So wie seit dem 7. Oktober 2023, dem Überfall der Hamas, alles anders ist – in Israel und für die jüdischen Gemeinschaft weltweit.