Schulden-Showdown in Frankreich: Am 8. September könnte die nächste Eurokrise losbrechen
Frankreichs Premierminister François Bayrou ist wahrlich nicht zu beneiden: Die vorherigen Regierungen – und Präsident Macron selbst – haben einen Schuldenberg in Höhe von 3,3 Billionen Euro aufgetürmt, das sind 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit weist Frankreich in absoluten Zahlen die höchste Staatsverschuldung der Eurozone auf vor Italien (3,0 Billionen) und Deutschland mit derzeit 2,7 Billionen Euro. Gemessen am BIP rangieren die Franzosen bei der Schuldenquote auf Platz drei hinter Griechenland (153 Prozent) und Italien (138 Prozent). Deutschland ist aktuell „nur“ mit 62,3 Prozent des BIP verschuldet.
Doch das ist nicht einmal das Schlimmste: Weil sich nach der französischen Parlamentswahl im Jahr 2024 keine klare Mehrheit ergab, muss Bayrou mit seiner Not-Regierung den Spagat zwischen dem rechtsnationalen Rassemblement National und den Sozialisten schaffen. Beide haben wenig gemeinsam – bis auf eines: Sie wollen für ihre eigenen politischen Vorhaben mehr Geld – und schon gar nicht bei den eigenen Wählern sparen.
Bayrou stellt am 8. September die Vertrauensfrage
Der Schuldenberg wächst deshalb immer weiter. Um dem Einhalt zu gebieten, hat Bayrou schon vor Wochen einen drastischen Sparplan vorgelegt, der – wie zu erwarten war – im Parlament keine Mehrheit fand. Deshalb hat der Premier jetzt die Faxen dicke - und stellt am 8. September von sich aus die Vertrauensfrage. Frankreich steht damit eine Woche der Wahrheit bevor, da die Gewerkschaften im Land nur zwei Tage später, am 10. September, zu einem Generalstreik aufgerufen haben.
Darüber hinaus gibt es eine europäische Dimension: Frankreich ist nach Deutschland die größte und wichtigste Volkswirtschaft der Eurozone. Ohne schlüssiges Konzept, wie der Staat das Defizit eindämmen will, könnte das Land in eine Schuldenspirale geraten. Sie hätte das Potenzial, die die gesamte Eurozone zu destabilisieren.
Renditen französischer Staatsleihen schießen nach oben
Schon im Vorfeld haben die Kapitalmärkte reagiert: Französische Staatsanleihen werden verkauft. Dadurch sinken ihre Kurse und die Renditen steigen. Zuletzt stieg die Rendite für zehnjährige französische Staatsanleihen auf 3,5 Prozent und notiert damit über der Rendite ihrer spanischen Pendants und nur knapp unter der Rendite des hoch verschuldeten Italiens. Der Spread, also der Renditeabstand, zwischen deutschen und französischen zehnjährigen Staatsanleihen stieg dadurch auf fast 80 Basispunkte und liegt damit über den Werten der Staatsanleihen Spaniens oder Griechenlands.
Fast 44 Milliarden Euro Kürzungen im Haushalt
Im Sommer 2024 hatte schon einmal ein heftiger Ausverkauf französischer Staatsanleihen die Renditen schlagartig steigen. Damals hatten die Anleger nach der Parlamentswahl eine von den Rechts-Extremisten geführte Regierung befürchtet. Macron war dem entgegengetreten, indem er einen Premier aus den eigenen Reihen bestimmte. Das bremste die aufkommende Panik an den Märkten. Doch der ausgewählte Premier Michael Barnier stürzte bereits Anfang Dezember 2024 über ein Misstrauensvotum. Daraufhin berief der französische Präsident als neuen Premierminister Bayrou.
Seitdem obliegt ihm die nahezu unlösbare Aufgabe, die Staatsfinanzen zu sanieren. „Unserer Ansicht nach ist die Haushaltslage Frankreichs vor allem aufgrund erheblicher staatlicher Mehrausgaben untragbar“, kommentiert die Berenberg Bank. Bayrou ist sich der Lage bewusst und erklärte die Eindämmung des Defizits deshalb zu seiner obersten Priorität: Nachdem das Haushaltsdefizit 2024 noch 5,8 Prozent des BIP betragen hatte, strebt er für 2025 einen Wert von 5,4 Prozent an. Bis 2029 soll es auf drei Prozent sinken. Der aktuelle Streit dreht sich vor allem um den Haushalt 2026, in dem Bayrou Einsparungen von 43,8 Milliarden Euro plant. Dadurch soll das Defizit auf 4,6 Prozent sinken. Um dies zu erreichen, hat er einige unpopuläre Maßnahmen angekündigt, darunter die Abschaffung von zwei Feiertagen, das Einfrieren der Steuertabellen, der Sozialversicherungs- und Rentenzahlungen sowie der meisten Staatsausgaben. Sie alle sollen nicht mehr an die Inflation angepasst werden. Hinzu kommen zusätzliche Steuern für „die Glücklichsten” im Land und Einsparungen im Gesundheitswesen.
Was passiert, wenn Bayrou verliert?
Bayrou geht also ans Eingemachte. Dafür eine Mehrheit zu finden, wäre schon in einer normalen Koalition schwierig. In der aktuellen Konstellation in der Nationalversammlung ist es nahezu unmöglich.
Was also wird passieren? Nach Einschätzung der Berenberg Bank gibt es drei Szenarien, wenn Bayrou das Vertrauensvotum am 8. September verliert:
- Präsident Emmanuel Macron ruft erneut vorgezogene Parlamentswahlen aus. „Dies wäre wohl das wahrscheinlichste Ergebnis – zumindest würde es die Tradition fortsetzen, mit risikoreichen Schritten eine Entscheidung zu erzwingen“, kommentiert die Berenberg Bank. Laut den jüngsten Meinungsumfragen hätte jedoch vermutlich auch im neuen Parlament keines der drei politischen Lager eine klare Mehrheit – selbst wenn die Rechte die relative Mehrheit erringen würde.
- Macron könnte Bayrou auch bitten, als Chef einer Übergangsregierung im Amt zu bleiben. Diese wäre jedoch kaum noch in der Lage, ihre politische Agenda umzusetzen.
- Als dritte Variante könnte Macron wieder einen neuen Premierminister ernennen. Der hätte aber mit denselben Problemen zu kämpfen wie schon Barnier und Bayrou.
Grafik: Spreads für französische Staatsanleihen schießen hoch
(Renditeabstand zu Bundesanleihen)

Folgen für die gesamte Eurozone
In allen Szenarien würden die Renditen französischer Staatsanleihen weiter steigen. In der Folge könnte auch die Stabilität der gesamten Eurozone erneut infrage gestellt werden. Dann würden auch die Renditen der übrigen Euroländer steigen – was auch die deutschen Verschuldungspläne und den Bundeshaushalt treffen würde.
In der jüngeren Vergangenheit, insbesondere in der Eurokrise 2010/2011, griff die Europäische Zentralbank bei solchen Renditeanstiegen zum Teil ein, indem sie die Renditen durch Anleihenkäufe künstlich senkte. Doch das dafür im Jahr 2022 neu beschlossene „Transmission Protection Instrument" (TPI) schreibe vor, dass nur Länder mit einer nachhaltigen Fiskalpolitik dafür infrage kommen, erinnert die Berenberg Bank. Dies sei in Frankreich aktuell nicht gegeben. Zudem seien „im Gegensatz zum Umfeld mit niedriger Inflation und niedrigeren Zinsen“ die Kosten für eine Intervention der EZB nun ungleich höher.
Lassen sich die Sozialisten vom Kapitalmarkt beeindrucken?
Gelänge es Bayrou dagegen, die Abstimmung zu gewinnen, ginge er gestärkt daraus hervor und könnte zumindest Teile seines Sparkurses umsetzen. Aber ist das wahrscheinlich? Es könnte sein, dass der jüngste Anstieg der Anleiherenditen „einige der Mitte-Links-Sozialisten zum Nachdenken darüber veranlasst, ob sie Bayrou wirklich stürzen wollen“, kommentiert die Berenberg Bank. Vielleicht könnte Bayrou die Sozialisten oder sogar den Rassemblement National mit Zugeständnissen besänftigen. Doch selbst in diesem Fall bliebe er wohl ein Premier auf Abruf: „Selbst wenn Bayrou sich durchsetzen sollte, würde der finanzpolitische Weg für Frankreich in den kommenden Jahren weiterhin äußerst steinig bleiben“, schreibt Berenberg.