Frankreichs Schuldenkrise: „Seit gestern zahlen wir mehr Zinsen als Italien“
Jahrelang galt Frankreich als Hoffnungsträger in Europa. Während Deutschland im politischen Ringkampf der Ampel erstarrte, schien Präsident Emmanuel Macron mit seiner Partei „Renaissance“ den richtigen Mix aus sozialen Zugeständnissen und der Investition in Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz gefunden zu haben.
Doch eine Größe ließ er dabei außer Acht. Die Staatsverschuldung. Die hat mittlerweile mit mehr als 3000 Milliarden Euro eine kritische Größe erreicht. Im laufenden Jahr werden Zinszahlungen und Schuldentilgung eine Höhe von 67 Milliarden Euro erreichen, warnt Finanzminister Éric Lombard. Das ist mehr als alle Ministerien gemeinsam ausgeben. In drei Jahren könnte dieser Betrag auf 100 Milliarden steigen, warnt Lombard. Das gefährde Investitionen und wirtschaftliches Wachstum in Frankreich.
„Kamikaze-Plan“ von Premierminister Bayrou
Premierminister François Bayrou wird kommende Woche im Parlament einen Vierjahresplan präsentieren, mit dem er das Staatsdefizit von 5,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf unter drei Prozent bis 2029 senken will. Damit würde Frankreich dann erstmals seit 2008 wieder dieses Maastricht-Kriterium erfüllen.
Doch der Plan steht vor enormen Herausforderungen. Denn seit der Parlamentswahl im vergangenen Sommer stehen sich im Parlament der rechtsgerichtete „Rassemblement National“ und die Linken der „Nouveau Front Populaire“ unversöhnlich gegenüber. Dazwischen agiert Bayrou mit einem bürgerlich-konservativen Kabinett, das Macron de facto angeordnet hat. Eine stabile Mehrheit dafür hat Bayrou nicht.
Einsparungen von 100 Milliarden Euro wären nötig
Erst recht nicht für unpopuläre Maßnahmen. Die aber wären dringend erforderlich. 45 Milliarden Euro will Bayrou insgesamt einsparen. Und das ist manchen noch viel zu wenig.
Wie die „Welt“ berichtet, rechnete ein hoher Beamter des Finanzministeriums am vergangenen Wochenende bei einem hochrangigen Treffen von Politikern und Ökonomen in Aix-en-Provence vor, dass der Staat glatte 100 Milliarden Euro Ausgaben streichen müsste. Dafür gebe es seiner Ansicht nach genug Spielraum, schließlich machen die Staatsausgaben in Frankreich mittlerweile 57 Prozent des BIP aus. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im vergangenen Jahr 49,5 Prozent.
Frankreichs „Griechenland-Moment“
Die Staatsverschuldung ist auch dadurch auf 114 Prozent des BIP angewachsen –die öffentliche Haushaltslage wird zunehmend instabil. Frankreichs Schuldenberge erinnern damit an die Griechenlandkrise. Trotz Bemühungen um Haushaltskonsolidierung fehlt es dem Land an finanziellen Mitteln für Investitionen, während die Schuldenlast immer schwerer wiegt. Die Regierung Bayrou hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Schuldenberg zu bekämpfen. Doch die Nationalversammlung ist so gespalten, dass keine größeren Gesetze mehr verabschiedet werden können. Bayrou ist auf die Unterstützung der extremen politischen Flügel von links und rechts angewiesen. Permanent besteht die Gefahr, dass die Regierung stürzt. Doch eine politische Blockade würde die ohnehin angespannte Finanzlage weiter verschärfen.
Durch die hohen Zinszahlungen und die fehlenden Mittel für Investitionen verschlechtert sich die Wirtschaftslage Frankreichs zusehends. Das Land verliert jüngsten Umfragen zufolge an Wettbewerbsfähigkeit, während andere europäische Staaten ihre Möglichkeiten nutzen, in Innovation und Wachstum zu investieren. In einer Zeit, in der Europa dringend seine Wettbewerbsfähigkeit stärken muss, vor allem gegenüber den USA und China, gerät Frankreich ins Hintertreffen. „Seit gestern Abend zahlen wir mehr Zinsen als Italien“, warnte Finanzminister Lombard Beichten zufolge vergangenes Wochenende in Aix-en-Provence.

Sogar der Euro steht auf dem Spiel
Sollte Frankreich sein Schulden nicht in den Griff bekommen und Maastricht-Kriterien weiterhin deutlich verfehlen, könnte das Auswirkungen auf die gesamte EU haben. Die Stabilität des Euro und der Wirtschaft der gesamten Europäischen Union wäre gefährdet, wenn Frankreich als zweitgrößte Volkswirtschaft in der EU finanziell ins Taumeln geriete.
Die nächsten Jahre werden entscheidend sein. Sollte Bayrous Plan scheitern, könnte das Land in einer langanhaltenden Krise stecken bleiben. Investitionen in die Infrastruktur und die Wirtschaft sind dringend erforderlich, doch die finanziellen Mittel sind begrenzt. Und auch in Frankreich wächst der Druck auf die Sozialsysteme. Wenn es nicht gelingt, das Defizit zu senken und die Schulden zu reduzieren, könnte das Land auf Dauer die Unterstützung von Investoren und Kapitalmärkten verlieren.
Scheitert Bayrou, verliert Frankreich den Anschluss
Für andere große EU-Staaten muss die französische Krise eine Warnung sein. Als größter europäischer Partner könnte Deutschland durch eine wirtschaftlich geschwächte französische Volkswirtschaft ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies könnte zu weiteren Instabilitäten in der Eurozone führen und Europas Wettbewerbsfähigkeit insgesamt gefährden.
Dass dringende Reformen notwendig sind, um das Land aus der Krise zu führen, ist unbestritten. Sollte Bayrous „Kamikaze-Plan“ jedoch scheitern, droht Frankreich endgültig den Anschluss an die europäischen Wettbewerber zu verlieren. Die Folge wäre, höchstwahrscheinlich, eine mehrjährige Wirtschaftskrise.
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