Dax hängt S&P 500 ab - Was das für Anleger bedeutet

Im ersten Halbjahr 2025 hat zwischen deutschen und US-Aktien ein bemerkenswerter Favoritenwechsel stattgefunden. So erreichte der deutsche Leitindex DAX ein Kursplus in Höhe von rund 20 Prozent, während der Index der größten amerikanischen Aktiengesellschaften – S&P 500 – nur fünf Prozent zulegen konnte. 

Diese Entwicklung ist in vielerlei Hinsicht überraschend, denn US-Aktien haben in den vergangenen Jahren zumeist besser abgeschnitten, vor allem angetrieben durch große Technologieunternehmen wie Nvidia, Microsoft, Amazon, Apple oder Tesla.

Warum die USA davonzogen

Blicken wir daher zunächst auf die vormals ziemlich klare Marktverteilung bis in die zweite Jahreshälfte 2024: Durch den Fokus auf Hochtechnologie erreichten viele US-Unternehmen eine höhere Produktivität und teilweise monopolartige Positionierungen im Vergleich mit deutschen Unternehmen aus klassischen Industriesektoren wie Anlagen-, Fahrzeug- und Maschinenbau oder Chemie. Zudem wurde das Wachstum der amerikanischen Volkswirtschaft jahrelang durch sehr expansive Fiskalprogramme verschiedener US-Regierungen unterstützt.

Das sehr exportabhängige Deutschland hingegen wurde durch die Unterbrechung internationaler Lieferketten während der Corona-Pandemie stärker ausgebremst und leidet unter den intensivierten Handelskonflikten weltweit. Die Rolle Chinas im globalen Wettbewerb hat sich verändert – weg von der billigen Werkbank zur Erzeugung einfacher Vorleistungen hin zur Produktion hochwertiger Endprodukte. Viele deutsche Unternehmen stehen dadurch vor neuen Herausforderungen. Offensichtlich ist beispielsweise die Konkurrenz für deutsche Autobauer durch chinesische Elektroautos. Nicht zuletzt dämpften die zwischenzeitliche Energiekrise nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und eine Vielzahl anderer Standortnachteile die ökonomischen Perspektiven Deutschlands und Europas. Dazu zählen hohe Lohnkosten, fehlende Fachkräfte sowie überbordende Bürokratie und langwierige Verfahren. Internationale Anleger hielten sich entsprechend fern.

Für Privatanleger lohnt sich oftmals ein Blick darauf, wie professionelle Investoren den Markt einschätzen, mit neuen Entwicklungen der Finanzbranche umgehen und ihre Portfolien ausrichten. In dieser Kolumne schreiben Investmentexperten der CFA Society Germany alle 14 Tage für Focus Online. Der Verband setzt sich mit rund 3.000 Mitgliedern aktiv für Finanzbildung in Deutschland ein.

Veränderungen seit 2025

Doch im laufenden Jahr hat sich der Blick verändert. Schauen wir daher auf die Implikationen für Deutschland, Europa und die USA.

USA: 

Die US-Märkte reagierten empfindlich auf die Veröffentlichung des auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Sprachmodells R1 des chinesischen Unternehmens DeepSeek Mitte Januar. Durch die plötzlich auftretende Konkurrenz für etablierte Anwendungen wie ChatGPT standen die erwarteten zukünftigen Gewinne einiger US-KI-Unternehmen und damit deren teils ambitionierte Bewertungen infrage. Mit dem Amtsantritt Donald Trumps als US-Präsident und insbesondere mit der Ankündigung drastischer Zollanhebungen Anfang April trübten sich zudem die Perspektiven der US-Volkswirtschaft ein. Wachstumsprognosen wurden nach unten korrigiert und potenzielle Inflationsgefahren hielten die US-Notenbank Fed von weiteren Leitzinssenkungen ab. Die Rating-Agentur Moody´s senkte die Bonitätseinstufung für US-Staatsschulden in der Annahme, dass diese unter Trump – ausgehend von einem ohnehin hohen Niveau – noch weiter steigen könnten. In der Folge stiegen die Renditen amerikanischer Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten so stark an, dass die USA als Hort der Stabilität und „sicherer Hafen“ der Kapitalanlage einen erheblichen Vertrauensverlust erlitten. Der Dollar wertete deutlich ab.

Deutschland: 

In Deutschland wiederum verbesserten sich die konjunkturellen Aussichten durch die Adjustierung der Schuldenbremse und die Aussicht auf stark steigende staatliche Investitionen zur Ertüchtigung der Infrastruktur sowie zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit. Zudem konnte die neue Bundesregierung bisher glaubhaft vermitteln, dass sie durch Steuersenkungen, Anreize für private Investitionen und den Abbau von Bürokratie bessere Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln schaffen wird.

Europa: 

Ähnliche Ansätze sind auf europäischer Ebene erkennbar. Die Europäische Union und Großbritannien vereinbarten unter dem Eindruck eines möglichen Rückzugs der USA aus der Unterstützung für die Ukraine eine engere Zusammenarbeit, vor allem in puncto Verteidigung und Sicherheit. Gleichzeitig sorgten gesunkene Energiepreise und die Aufwertung des Euro für weiter sinkende Inflationsraten. Da das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2 Prozent schon im Mai unterschritten wurde, konnten die bereits seit September 2024 fallenden Leitzinsen sukzessive auf 2,15 Prozent gesenkt werden. Aufgrund der insgesamt verbesserten wirtschaftlichen Aussichten wurden Wachstumsprognosen für Deutschland und die Eurozone zur Mitte des Jahres 2025 angehoben. Internationale Anleger blickten positiver auf – im Vergleich zu US-Aktienindizes – schon lange günstiger bewertete europäische Aktien und schichteten Kapital in die hiesigen Aktienmärkte um.

Ausblick

Nach Jahren der überlegenen Marktstellung US-amerikanischer Titel rückt Europa wirtschaftspolitisch und als Investment in globalen Portfolien wieder mehr in das Blickfeld. Perspektivisch sollte man US-Aktien jedoch nicht unterschätzen. Nach wie vor zählen viele amerikanische Unternehmen zu den innovativsten und profitabelsten weltweit. Für das laufende Jahr 2025 rechnen Analysten mit einem Gewinnwachstum von zehn Prozent für Unternehmen im S&P 500. Zum Vergleich: Auf Ebene des DAX geht die Prognose tendenziell in Richtung Gewinnstagnation.

Indes: Die grundsätzlich deutlich verbesserten wirtschaftlichen Voraussetzungen in Europa sprechen dafür, dass der „alte Kontinent“ attraktiv für Investoren bleibt. Aktienanleger werden ein zu großes Übergewicht im Dollarraum (also US-Aktien) aus Diversifikationsgründen und angesichts stark gestiegener politischer Unberechenbarkeiten vermeiden.

Carsten Mumm, CFA, ist Chefvolkswirt und Leiter Asset Management bei der Privatbank Donner & Reuschel. Zuvor arbeitete er als Leiter Portfoliomanagement bei Conrad Hinrich Donner. Der gelernte Bankkaufmann und studierte Diplom-Volkswirt ist seit 2006 CFA-Charterholder sowie engagiertes Mitglied der CFA Society Germany.