Kempten: Areal Allgäuhalle – Das mit „Wiener Charme“ vorgestellte Leitbild findet breite Zustimmung.
Wie geht es weiter mit dem Areal Allgäu-Halle? Ein Projektteam beschäftigt sich seit Dezember 2023 mit dieser Frage. Jetzt wurden die Ergebnisse in einer gemeinsamen Sitzung des Werk- und des Kulturausschusses vorgestellt und diskutiert.
Kempten – Es handle sich um das letzte große Filetstück in zentraler Lage in der Stadt, betonte Oberbürgermeister Thomas Kiechle in seiner Einleitung. Nachdem die Allgäuer Herdebuchgesellschaft diesen Standort verlassen hatte, hätte sich der Stadtrat für den Verkauf, für Wohnungsbau oder für eine Parkplatzbewirtschaftung entscheiden können, fügte er später hinzu. Da bereits damals viele Ideen aus der Bevölkerung geäußert wurden, entschied man sich stattdessen für einen Bürgerbeteiligungsprozess. Dieser sei immer riskant und erfordere Mut, so der OB, weil man nicht wisse, was dabei am Ende herauskomme. Er stehe zu dieser Entscheidung: „Es war eins zu eins richtig.“
Josef Lueger, Gesellschafter des mit der Prozessbegleitung beauftragten Büros „Modul5“ hob zunächst die bunte Zusammensetzung des etwa 30-köpfigen Projektteams hervor. Nach Workshops, Meinungsaustausch mit der Jugendkommission sowie einer Veranstaltung für Bürgerinnen und Bürger erfolgt die zunächst abschließende Diskussion über das erstellte Leitbild am 24. Juli im Stadtrat.
Areal Allgäu-Halle: Was steht zur Diskussion?
Das vorgestellte Ergebnis bezeichnete Lueger als ein „Leitbild“, was den ersten Schritt darstelle, wenn man etwas verändern wolle. Ingrid Vornberger (SPD) betonte, es handle sich um kein Konzept, sondern um eine Vision, deren Verwirklichung sie nicht mehr erleben dürfte. Auch der OB sprach von einer langen Zeit des Experimentierens und Ausprobierens. Annette Hauser-Felberbaum fand den Begriff Vision falsch und schlug Orientierung vor. Lueger sprach von einem „freien Feld“: Die an diesem Ort entstandene Leere soll über Generationen ein Möglichkeitsraum bleiben, ohne eine dauerhafte Festlegung. Für das An- und Nebeneinanderreihen von Zwischennutzungen wolle man jedoch bestimmte Leitplanken (Leitlinien und Leitziele) festlegen.
Was wird abgelehnt?
Das Modell eines externen Betreibers für das Areal lehnt sowohl das Projektteam als auch die Bürgerschaft ab. Die Stadt müsste weiterhin die Oberhand behalten und bei ihrem Vorgehen von einem gesellschaftlich breit aufgestellten Beirat begleitet werden. Auch ein Genossenschaftsmodell nach dem Muster des Leutkircher Bürgerbahnhofs schließt man nicht aus. Das Gelände soll für alle frei zugänglich bleiben, ohne jeglichen Konsumzwang. Eine davon abweichende Möglichkeit zur kommerziellen Nutzung will man auf zehn Tage im Jahr limitieren. Parteipolitische Aktivitäten dürfen im Areal nicht stattfinden.
„Denk Mal!“
Das Projektteam schlägt vor, das Gelände konzeptionell auf drei nicht scharf abgetrennte Zonen aufzuteilen. Zwischen der Stierskulptur „Roman“ und der Allgäuhalle plant man einen Denkraum. Hier kommen die Besucher an, hier erhalten sie die erste Orientierung und hier verlassen sie das Gelände. Im Eingangsbereich wird eine Gedenkstele aufgestellt, die erste Informationen vermittelt über die „Braunen Messen“ und sonstige NS-Veranstaltungen, über die Vieh- und Kriegswirtschaft, aber vor allem über das KZ-Außen- und Ostarbeiterlager.
An der Stelle, wo sich der Appellplatz befand, gibt es heute Parkplätze, die weichen müssten. Dort, wo in der NS-Zeit die brutalsten Regeln herrschten, sollte etwas Ungeregeltes entstehen: ein sich ständig wandelnder Spiel- und Biergarten, ohne Konsumzwang, aber mit der Möglichkeit, aus der Kulturwirtschaft etwas zu essen und zu trinken zu holen. Lueger empfiehlt, für diesen „Beteiligungsgarten“ einen internationalen Gestaltungswettbewerb auszuloben und diese Fläche dem Motto „Denk Mal!“ entsprechend auszurichten.
Die historischen Hallen
Die Allgäuhalle und die Kälberhalle, mit einem Pavillon auf der Freifläche dazwischen, sollen als Zone des „Transfers“ und als „Labor“ dienen. Hier konzentrieren sich die Aktivitäten – nach Möglichkeit miteinander verwoben – aus den Bereichen freie Kunst, Kultur, Geschichte, Handwerk, agrarische Vermarktung. Das sind die Orte der Präsentation, des Austausches, des gegenseitigen Inspirierens. Aber auch der Erinnerung, der man mit einem Museum alleine nicht gerecht werden könne, wie Lueger betonte. Das Projektteam bevorzuge zeitgemäße, gegenwartsbezogene Formen der Erinnerungskultur, die eines größeren Rahmens bedürften.
In der Diskussion war Annette Hauser-Felberbaum (FW) der Meinung, dass Kultur (in der Allgäuhalle) und Geschichte (in der Kälberhalle) jeweils einen eigenen Platz bräuchten. In der Kälberhalle, wo „unendlich viel Leid passiert ist“, könne sie sich themenbezogene Workshops, aber auf keinen Fall einen Töpferkurs vorstellen. Franz Josef Natterer-Babych (ÖDP) sagte: „Unsere christlichen Gebote haben auf diesem Platz alle versagt.“ Es sei wichtig, diesen Ort als Mahnmal zu erhalten.
Bei der Bürgerbefragung wurde bestätigt, dass die Flohmärkte in der Allgäuhalle gut funktionieren und vorgeschlagen, diese durch Themenmärkte zu erweitern. Die Bürgerinnen und Bürger brachten auch klar zum Ausdruck, dass das Angebot des Kulturquartiers Allgäuhalle auf eine breite Zustimmung stößt und als offener Kultur- und Begegnungsort für alle Generationen ein enormes Potenzial mit sich bringt. Die Kulturwirtschaft soll in dem vorgestellten Leitbild als zentrale Anlaufstelle mit Basisversorgung dauerhaft etabliert werden.
Spiele und Experimente
Die Freifläche zwischen Kälberhalle und der ehemaligen Zulassungsstelle (die Parkplätze dahinter wurden in die Betrachtung nicht einbezogen) könnte niederschwellig für Spiel und Sport, als Liegewiese, aber auch irgendwann als Experimentierfeld für neue Wohn- und Arbeitsformen genutzt werden. Bei der Bürgerbefragung war ein wichtiges Anliegen der Anwohner, dass die Aktivitäten im Areal nicht zu laut sein dürften. Lueger schlug vor, mit ihnen eine transparente und moderierte Kommunikation zu führen. Um das Areal alltagstauglich zu machen, wären ein paar kleinere Investitionen notwendig, zum Beispiel öffentlich zugängliche Toiletten, Mülleimer und Radabstellanlagen.
„Freies Feld“ mit Werten
Die Wertevorstellungen, die die Menschen langfristig mit diesem Ort verbinden und die in den zukünftigen Aktivitäten Ausdruck finden sollten, fasste das Team in vier Punkten zusammen: 1. Hier soll ein Raum ohne Barrieren entstehen, in dem alle Menschen gleich sind und gleiche Chancen auf Teilhabe und Mitgestaltung bekommen. 2. Das Areal ist ein Freiraum, in dem sich Kunst, Kultur, Jugendinitiativen und vieles mehr frei entfalten können. 3. Eine einladende Atmosphäre dient als Ansporn für ein gutes Miteinander und der Lebensfreude. 4. Die Verbundenheit mit der Geschichte des Ortes soll sich in den Aktivitäten widerspiegeln. Zu den formulierten Leitzielen gehört auch die Auslotung von Grenzen und Verbindungen zwischen Stadt und Land, entsprechend der Geschichte des Ortes und Kemptens Rolle als „Oberzentrum“.
„Wiener Charme“ kontra „finanzielle Talfahrt“
Am Ende war Josef Mayr (CSU) der Einzige, der dem Gutachten (Empfehlung für den Stadtrat) nicht zustimmte. Nach der Vorstellung erhielt er als erster das Wort, um seine Position zu begründen. Wenn man den finanziellen Aspekt beiseiteschieben würde, könnte er vielen Inhalten zustimmen, betonte er. Lueger habe diese mit seinem Wiener Charme überzeugend dargestellt. Dieser treffe aber auf die finanzielle Talfahrt der Kommunen. Es gebe keine Spielräume, um etwas Neues anzufangen. Er sei sich sicher, wenn man heute zustimme, entstehe bald der Druck, mit der Umsetzung des Konzepts voranzukommen.
„Heute beschließen wir keinen Euro“, entgegnete Kiechle. Das Leitbild ermögliche eine Phase der experimentellen Nutzung. Man werde gute Ideen sammeln und ausprobieren. „Viele von ihnen gehen flöten, manche schlagen ein. Wie bei Start-ups.“ Man werde zum richtigen Zeitpunkt zur Nutzung kommen, die die Stadt brauche. „Wann und wie das kommt, weiß ich nicht.“ Man sollte Prioritäten setzen und schauen, was schnell und in Form von „Selfmade“ umgesetzt werden könne, sagte Gerti Epple (Grüne).
Alle Großveranstaltungen in der Stadt würden nur noch in der Organisation der Verwaltung stattfinden, sagte Natterer-Babych. Diesem Trend könne man entgegenwirken, indem man den Leuten hier Freiraum biete. „Lasst mal dort die Ideen laufen!“ Manches funktioniere sicher auch ohne städtische Mittel. Es sei eine große Herausforderung gewesen, Wünsche mit den Möglichkeiten zusammenzubringen, sagte Andreas Kibler (FW) und das habe Lueger in seinem Vortrag sehr gut geschafft.
Reizthema Parkplätze
„Wir wollen eine Einkaufsstadt sein und dafür braucht man Parkplätze“, betonte Hans-Peter Hartmann (FW). Diese seien von früh bis spät belegt. Außerdem habe man auf dem Platz ELadesäulen mit 15 bis 20 Jahre Laufzeit installiert. Die Allgäuhalle sei der einzige Bereich des Eigenbetriebs, der schwarze Zahlen schreibe, und das wegen der Parkplatzvermarktung, fügte Helmut Berchtold (CSU) hinzu. Auch wegen der Nähe der Berufsschule und der Hochschule könne man die Parkplätze noch lange nicht aufgeben, so der OB. Man brauche hier ein Areal mit Ausstrahlung, so Natterer-Babych, aber Parkplätze strahlten nicht. Man sollte die Stellplätze anderswo gleichwertig ersetzen, schlug Kibler vor.
Zwei Sichtweisen
Zwischen der Sichtweise der Stadträtinnen und Stadträte, die im Projektteam mitgewirkt haben und derer, die nur die Ergebnisse präsentiert bekommen, gibt es eine große Diskrepanz, stellte Ingrid Vornberger (SPD) fest. Sibylle Knott (CSU-Fraktion, parteilos) bestätigte: „Sehr viele schöne Worte, nichts Konkretes“, dachte sie vor der Sitzung. Die Präsentation habe sie jedoch überzeugt: „Die Herangehensweise ist sehr gut.“ Sie sei mit einer anderen Meinung in die Sitzung hereingekommen, aber jetzt könne sie gut mitgehen.
„Es ist klar, dass von der Stadt finanziell nichts zu erwarten ist“, so Vornberger. Aber man hätte sich den ganzen demokratischen Prozess sparen können, wenn das gelte, was Mayr gesagt habe. Natterer-Babych betonte seinerseits: Das Areal biete bereits jetzt gesellschaftliche Events an, obwohl erst „ein kleines Pflänzchen“ da sei. „Diese Entwicklung dürfen wir nicht aufhalten.“
Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.
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