Weil Behörden untätig bleiben: Sozialhilfe-Empfänger darf in zu teurer Wohnung bleiben

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Behinderungen können den Zugang zum Wohnungsmarkt erschweren. Ein Gericht entschied, dass Betroffene einen Anspruch auf Unterstützung haben.

Frankfurt – Bezieht man keine Sozialhilfe, steht einem der reguläre Wohnmarkt offen. Als Sozialhilfe-Empfängerin und Sozialhilfe-Empfänger sieht es aber anders aus. Dann dürfen bestimmte Richtwerte für den „angemessenen Wohnraum“ beziehungsweise Wohnkosten in „angemessener Höhe“ nicht überschritten werden.

Für schwerbehinderte Sozialhilfe-Beziehende ist der Zugang zum Wohnungsmarkt besonders erschwert, etwa durch Vorbehalte von Vermieterinnen und Vermietern gegenüber diesem Personenkreis. Erkennbare Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten könnten die Chancen zu preisgünstigerem Wohnraum mindern. Ein Kasseler Urteil zeigt, dass das Sozialamt behinderte Menschen bei der Wohnungssuche dann nicht allein lassen darf.

Ein behinderter Mann sitzt auf dem Sofa.
Menschen mit erkennbaren Beeinträchtigungen haben meist einen erschwerten Zugang zum Wohnungsmarkt © imagebroker/ Unai Huizi/ Imago

Sozialamt: Wohnkosten „nicht angemessen“ – Behinderte Sozialhilfe-Empfängerin wehrt sich

Geklagt hatte eine Frau, die mit ihrem Ehemann seit dem Jahr 2010 in einer Mietwohnung in Minden lebt. Bei ihr wurde aufgrund eines Epilepsie-Leidens ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt. Sie bezieht eine Erwerbsminderungsrente und zudem Sozialhilfe. Ihr Ehemann ist geistig behindert (GdB 90) und arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Er bekommt eine auskömmliche Rente und ist deshalb nicht auf Sozialhilfe angewiesen.

Dem Sozialamt in Minden ist die Miete des Paares von 565 Euro monatlich warm zu hoch. Dagegen wehrte sich die Frau. Behinderte Menschen können bei der Wohnungssuche besondere Schwierigkeiten haben. Angesichts ihrer Behinderungen seien sie froh gewesen, überhaupt eine Wohnung zu finden. Bemühungen um eine günstigere Wohnung seien erfolglos gewesen.

In einem anderen Streitfall muss das Sozialamt die Kosten für Endrenovierung eines Sozialhilfeempfängers zahlen – ebenfalls wegen einer Besonderheit.

Gericht entscheidet: Behindertes Ehepaar kann wegen relevanter Besonderheit in teurer Wohnung bleiben

Wie das Branchenportal gegen-hartz.de berichtet, können „schwerbehinderte Sozialhilfe-Bezieherinnen und Sozialhilfe-Bezieher Anspruch auf Unterstützung bei der Wohnungssuche durch den Leistungsträger haben“.

Nach dem Urteil (Az.: B 8 SO 7/21 R) des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel, darf „der Träger der Sozialhilfe Hilfeempfängern, die individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt aufweisen, nicht ohne Weiteres auf den allgemeinen Wohnungsmarkt verweisen, sondern hat sie bei der Wohnungssuche bedarfsgerecht zu unterstützen“. Individuelle Beeinträchtigungen können zu einer „erheblichen Einschränkung oder Verschließung des Wohnungsmarktes“ führen. Kommt man der Verpflichtung nicht nach oder könne auch keine günstigere Wohnung finden, sei „grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der (bisherigen) Wohnung auszugehen“. Hilfeempfängerinnen und Hilfeempfänger können folglich in ihrer gegenwärtigen Wohnung bleiben, auch wenn das Sozialamt diese für zu teuer hält, entschied das BSG.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen soll nun nach diesen Maßgaben den Umfang der Beeinträchtigungen des Paares prüfen und dann erneut über den Streit entscheiden. 

Abnahme der Sozialwohnungen: Menschen mit Behinderung fehlt es an Wohnraum

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) leben rund acht Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Gleichzeitig gibt es weniger als 1,1 Millionen Sozialwohnungen bundesweit. Wie die Tagesschau berichtet, sinkt seit Jahren die Zahl der Sozialwohnungen weiter.

Durch den Mangel an barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum werde insbesondere Menschen mit Behinderung strukturell benachteiligt, so Janina Bessenich, Geschäftsführerin Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie in der Pressekonferenz zur neuen Wohnungsbau-Studie des Pestel-Instituts.

Immer mehr Senioren in Deutschland reicht die Rente nicht zum Leben – viele sind zusätzlich zu ihrer Rente auf Sozialhilfe angewiesen. (vw)

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